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Winterkorrespondenz: Leipziger Oper plagiiert zu Guttenberg

Paul Dessau hatte das neue Werk 1947 aus dem Exil mitgebracht, bot es, wie er 1966 schrieb, "hüben wie drüben" mehrmals zur Aufführung an. Fehlanzeige. Keiner wollte das "Miserere" bringen, zu frisch waren die Kriegsgräuel. Schließlich erbot sich Franz Konwitschny, es am Tag des Sieges des Jahres 1951 uraufzuführen; Korrespondenzen flogen hin und her. Das Textbuch: 28 Epigramme aus Brechts "Kriegsfibel" sind da mit Gedichten aus dem Jahr 1933 angereichert, schließlich mit klassenkämpferischen Nachkriegssentenzen versetzt: "Freilich er musste noch sterben, der / Sohn des uneinigen Volkes. / Die Brüder kennen sich nicht / Aber der Henker kennt sie…" Das fiel irgendwie auseinander, und dann: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch…": doch nicht hier, mag man damals gedacht haben, bei uns, zwischen Zinnowitz und Zittau? Kurz: das Unternehmen scheiterte.

Erst 1966 leitete Herbert Kegel die Uraufführung im Rahmen der "Tage zeitgenössischer Musik"; auch die Rezensenten trauten dem Werk nicht über den Weg, nur in Lokalzeitungen und der Leipziger Ausgabe des "Neuen Deutschland" erschienen kurze Meldungen. Bis heute ist das "Miserere" nicht auf Tonträger eingespielt, es gab überhaupt nur vier (!) weitere Aufführungen; die erste "im Westen" erst im September 1989, in Hamburg.

Deutschland, bleiche Mutter… (Fotos: Andreas Birkigt)

Insofern erst einmal keine abwegige Idee der Leipziger, wiederum an die düstere Nummernrevue zu erinnern. Chefregisseur Peter Konwitschny träumte indes von einer szenischen Umsetzung: Warum er nicht selbst die Bühnenbilder zu den Zeitungsbildern lieferte, die Brecht als Vorlage benutzt hatte, bleibt im Dunkeln. Er beauftragte den Regisseur Dietrich W. Hilsdorf; der brachte Dieter Richter (Bühne) und Renate Schmitzer (Kostüme) mit.

Dessaus Musik? Grandios, und vielschichtig. Man hört all die scharfen, schrillen Töne, das Schlagzeug setzt Pointen, bittere und schöne. Aber unter dem jungen Alejo Pérez fehlt dem Gewandhausorchester zumindest noch zur Premiere der nötige Pfeffer. Der Opernchor ist dagegen gut geputzt (Einstudierung: Volkmar Olbrich, der nach fast zwanzig Jahren Abwesenheit nun wieder Chordirektor in Leipzig ist). Wir nehmen uns vor, unbedingt wiederkommen, wenn das Orchester sich freigeschwommen hat. Aber dann hören wir mit geschlossenen Augen zu.

Denn die mit Spannung erwartete szenische Umsetzung ist, kurz gesagt, ziemlich erbärmlich ausgefallen. Verhärmte, bleiche, grau in grau gekleidete Duckmäuser tappen da am Anfang verängstigt auf einen offenbar kriegszerstörten Bahnhof, suchen mit Fotos nach Angehörigen. Die Nazis – das sind die anderen. Die kommen später. Hermann Göring, Joseph Goebbels in natura, zu bunt blinkernden Zirkusbirnchen am Bühnenrand. Und immer wieder flachbrüstige Eins-zu-eins-Adaptionen Brechts: gehts um Fahnen, sehen wir welche. Gehts um Feuer, wird prompt eins entfacht. Gehts um Eisenwagen, sehen wir – Eisenwagen. "Heil"-Schreiende. Pferde. Kriegslosungen. Und so weiter. Und weil, nachdem der Schoß der "deutschen Mutter" (Gabi Dauenhauer) mit einem kleinen Hitler-Püppchen gestopft ist, noch ein draller Gegenwartsbezug her muss, gehts flott mit Burka weiter (projizierter Wandtitel für Spätmerker: "Afghanistan."). Ein deutscher, übrigens sehr gut dressierter Schäferhund darf selbstredend nicht fehlen; und der Kinderchor mit kleinen Stahlhelmchen rundet das Bild. Jetzt zündet auch der gute Witz der Inszenierung: eine Leipziger Oma kommt da aus dem Halbdunkel des Zuschauerraums seelenruhig vor und knipst ihr fähnchenschwenkendes Enkelchen – gut beobachtet, Hilsdorf! (Oder war’s am Ende gar nicht inszeniert…?)

Was tut ein Regisseur, wenn ihm partout keine Interpretation einfallen will? Er lässt Schauspieler mit Pappmasken aktueller Politiker auftreten.

Das Opernpublikum ertrug das alles stumm. Einzelne Seufzer waren nur zu hören, als die Inszenierung im letzten Fünftel auf ihren Tiefpunkt zusteuerte: das aktuelle Merkel-Kabinett, von Schauspielern mit entsprechend bedruckten Pappgesichtern markiert, schreitet da durch Kunduz – und wirft achtlos Blumen und Kränze in ein offenes Grab. Und jetzt der schlechte Witz: Schäuble, der Rollstuhlfahrer, frisst sich an den Gleisen fest, die über die Bühne führen. Schiebt dagegen an, wieder und wieder. Das mag dem alternden Klamauk-Konwitschny gefallen haben. Sonst konnte irgendwie niemand lachen.

 

"Miserere" – Versuch über die Möglichkeit zu trauern
weitere Aufführungen: 27.3., 10.4., 5.6. 2011, jeweils 18 Uhr
Tickets: Tel. 0341 / 12 61-261