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Wahnsinn, dein Name sei Tanz!

Da ist etwas faul im Staate Dänemark. Furios agieren junge Militärs über einer Generalstabskarte. Ein wilder Tanz um einen Tisch mit Sprüngen und Stürzen, Klamauk und Clownerie. Frappierender Körpereinsatz eröffnet mit diesem Prolog ohne Musik den neuen Chemnitzer Ballettabend. Der englische Choreograf Joseph Sturdy hat seine Hamlet-Choreografie mit der Chemnitzer Kompanie auf der gnadenlos leeren Bühne des Schauspielhauses neu inszeniert. Zu erleben ist kraftvolles Tanztheater mit starken Bildern bei höchstem Körpereinsatz der Protagonisten zu einer Auswahl an Musik von Bach, Philipp Glass, Michael Nyman, Arvo Pärt, Thomas Tallis, Richard Wagner und Hans Zimmer, dem Meister des amerikanischen Cinemasounds.

Musikalisch sind das starke Vorgaben; das Zusammentreffen so unterschiedlicher Klänge und Zeiten spiegelt etwas von der überbordenden Motivfülle der dramatischen Vorlage Shakespeares, die aus vielen Schichten gewachsen ist. Für T.S. Eliot heißt das im Hinblick auf eine der bekanntesten aller dramatischen Dichtungen, „Wir müssten etwas verstehen, was Shakespeare selber nicht verstand.“ Für den Choreografen bedeutet das, jene Motive zueinander zu fügen, deren Spannung sich als signifikante Teile des Ganzen, allein durch Bewegung und Musik vermitteln lassen. So rast dieses Tanzdrama in 17 Teilen samt Prolog mit seinen getriebenen, wie fremd gesteuert wirkenden Protagonisten in zwei spannenden Stunden durch die Handlung als gelte es Varianten des Wahns in unaufhaltsamer Abfolge darzustellen.

Ein Wahnsinn, was den Tänzern abverlangt wird (Fotos: Dieter Wuschanski)

Was Sturdy dabei den Tänzerinnen und Tänzern abverlangt, was sie zu geben in der Lage sind, das lässt sich selbst nur als Wahnsinn bezeichnen. Zwei junge Menschen, Hamlet und Ophelia, revoltieren mit aufbäumender Körperlichkeit gegen Verpflichtungen die ihnen aufgezwungen werden. Hamlet taugt so wenig als Rächer seines ermordeten Vaters wie Ophelila als Spionin. Für Hamlet, auf dessen Weg durch dieses Labyrinth aus Intrigen, Fallen und Verführung zum schnöden Zweck von Machterhalt sich das getanzte Drama konzentriert, bedeutet dies ein Rollenspiel in vielen Varianten.

Mit dem jungen Tänzer Valentin Juteau verfügt die von Lode Devos offensichtlich erfolgreich geleitete Chemnitzer Kompanie über einen charismatischen Darsteller für diese Rolle. Juteau in seiner unschuldshaften Jungenhaftigkeit mit den blitzenden Augen und dem schwarzen Lockenschopf beherrscht die Wechsel der Rollen dann doch so verblüffend, dass seine Tanzdarstellung auch Angst machen kann vor dem gebändigten Potenzial an Undurchschaubarkeit.
Ob dieser Tänzer Arme und Beine weit weg zu schleudern scheint, wild springt, am Boden robbt, gemein ist oder zärtlich, er ist im Kampf mit sich, er flieht vor sich und vor dem Geist des Vaters, dem geerbten Wahn der Rache. Und nichts ist diesem jungen Mann der von Studium in Deutschland voller Wittenberger Ethos zurückkehrt an den Hof in Helsingör fremder als Rache, Vergeltung oder gar erst Mord.

Hamlet versteckt sich nicht nur in den Rollen, im Clownsspiel etwa, flieht nicht nur in die Fantasie, er schleppt ganz gegenständlich eine mächtige schwarze Kiste mit sich. Das ist der Schrank mit vielen Türen, schnell wandelbarer Fluchtort, die Bühne für Verwirrspiele, der Sarg am Ende. Hamlets schwere Last ist auch das Grab, aus dem die zarte Hand des Totengräbers, getanzt von Laura Lamy, wie im Grimmschen Märchen sich noch einmal flehend an den strengen Vater wendet.

Wie nahe auch das Komische dem Tragischen ist um umgekehrt wird immer wieder deutlich, so bei höfischen Tänzen mit Brechungen aus dem Repertoire der Show. Das berühmte Theaterspiel, in dem die Kunst den von Christian Bauch grandios getanzten Claudius als Mörder von Hamlets Vater entlarvt, ist ein komischer, wackeliger Stummfilm in überdrehter Manier. In flammendem Rot mit schmiegsamer und zugleich verunsicherter Körperlichkeit tanzt Simone Elisabeth Elliott eine so attraktive wie eindrückliche Königin Gertrud.

Christiane Devos hat Kostüme entworfen, deren partielle Farbigkeit aus der nachtschwarzen Bühne hervorsticht, oder wie bei Alexandra Audhuy als berührende Ophelia in Schnitt und Dekor kindhafte Unschuld andeutet. In unbändige Wut bricht Denislav Kanev als Laertes nach dem Tod seiner Schwester aus, ein satanischer Spielmeister der Intrige ist Enrico Palvarini als Polonius, eiskalt und ungerührt übernimmt Armin Frauenschuh als Fortinbras das ganze Erbe, nicht ohne gründlich aufzuräumen und den unschuldigsten der Tragödie, Hamlets Freund Horatio, den Timo Korjus tanzt, gegenwärtig und kinogerecht abzuknallen. Da ist der eiserne Vorhang gefallen, das Finale mit Wagner und Bühnenschnee mag mit der Beschwörung eines Klischees dazu angetan sein, eine Handlung auf dem Theater zu beenden, die längst zu einer unendlichen Geschichte geworden ist.

Weitere Aufführungen: 18. 02.; 20. 03.; 23.04.