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„Der erste Schritt dieser Stadt seit 1989, kulturell Neues zu schaffen“ – Ein Plädoyer für das Kulturkraftwerk

Vergleiche von Äpfeln und Birnen schmeicheln meist nicht dem Obst – und wenn wer als Birne tituliert wird, dürfte es um dessen Intellekt ohnehin nicht zum Besten bestellt sein. Derlei kam Ende November in den Sinn, als es für Dresden wiedermal eine Kanzlerinnen-Warnung gab, die ziemlich sinnfrei mit terroristischem Großaufgebot gepaart war. Kulturell engagierter Bürgersinn kam dennoch nicht zu kurz, trotz martialischem Militäraufmarsch und polizeilicher Lahmlegung weiter Teile der Innenstadt fanden zahlreiche kulturvoller Interessierte den Weg zum Forum Tiberius.

"Aufmarsch der Fackelmännchen" (Foto: M. Morgenstern)

Wer Montag Abend zur Podiumsdiskussion des Forum Tiberius vordringen wollte, das vom Internationalen Forum für Kultur und Wirtschaft abgehalten worden ist, musste Geduld und starke Nerven aufbringen. Denn Dresden glich – mal wieder – einer Polizeihochburg. Mit vor sich hin dieselnden Mannschaftswagen musste steuerteuer ein militärisches Massengelage am Elbufer gesichert werden. Trotz allgegenwärtiger Uniformmenschen-Präsenz schaffte es eine stattliche Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern in die sogenannte Kajo-Schommer-Lounge des QF-Hotels am Neumarkt, um einer Debatte um das Kulturkraftwerk Mitte beizuwohnen.

Nein, die Kosten für den uniformierten Aufmarsch der Fackelmännchen mit den in Stahlhelme verpackten Hirnen dürfen natürlich nicht mit möglichen Kulturausgaben gegengerechnet werden. Äpfel und Birnen, siehe oben. Aber allein der CO²-Ausstoß der auf Gehwegen und in Fußgängerzonen vor sich hin rußenden Staatsmacht-Mobile hat wohl mehr als den Gegenwert von hohlen Sprechblasen der Dresdner Oberbürgermeisterin imitiert. Nein: Immittiert!

Die hat immerhin gezeigt, dass Umdenken möglich ist, und akzeptierte den schwachen Vorsprung der Befürworter eines Projekts mit Namen Kulturkraftwerk Mitte. Kurz zuvor plädierte CDU-Frau Helma Orosz bekanntlich noch vehement für den Einzug der Operette ins Wiener Loch. Als ob dieser überteure Schildbürgerstreich, der jeden Dresden-Besuch gleich vorm Hauptbahnhof empfängt, nicht auch so schon Operette mehr als genug ist!

Doch genau darum ging es bei dieser Debatte. Denn mit Waldschlösschenbrücke und Kulturpalastumbau hat diese Stadt mehr als genug Potential, es mit Stuttgart 21 aufzunehmen. Der dringend nötige und seit Jahren auf die lange Dresdner Bank geschobene Neubau von Staatsoperette und Theater der Jungen Generation (TJG) soll endlich Ort und Gestalt annehmen. Beide Theater residieren in desolaten Spielstätten, zehren von baupolizeilichen Ausnahmegenehmigungen und befinden sich ziemlich publikumsunfreundlich weit außerhalb des Stadtzentrums. Derartige Projekte sind stets mit ortsüblichen Diskussionen begleitet und die dauern hier nun einmal lang und sind etwa so fruchtbar goldene Äpfel und Abrissbirnen. Schneller geht es nur, wenn die konservative Macht sich gleich so monarchisch selbstherrlich gebärdet wie einst Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der für sich verbuchen darf, sogar einen Frank Stella mit dem Moderne-Projekt einer Kunsthalle vertrieben zu haben.

Davon nicht abhalten lassen hat sich Architektenkollege Peter Kulka, der seiner Geburtsstadt trotz einiger Blicke weit über den Tellerrand hinaus noch stets die Treue gehalten hat. Er sieht, wie beim Forum Tiberius ebenso sachkundig wie schalkhaft vorgetragen, in der Idee einer Umnutzung des seit 1994 leerstehenden Areals vom einstigen Kraftwerk Mitte am Wettiner Platz als künftiges Kulturkraftwerk eine Chance nicht nur für Operette und Jugendtheater. Dies könne vielmehr Ansporn für eine nachhaltige Stadtteilentwicklung sein und würde der gesamten Friedrichstadt dienen, zeigte er sich überzeugt. Ein solches Projekt, das kurzfristig den Fortbestand des letzten noch eigenständig agierenden Operetten- und Musicaltheaters in Deutschland sowie des für Kinder und Jugendliche enorm wichtigen und von ihnen ebenso enorm frequentierten TJG sichere, ziehe einen Aufschwung der sogenannten Kreativwirtschaft nach sich. In deren Folge sei mit gastronomischen Ideen ebenso zu rechnen wie mit einer insgesamt attraktiveren Lebenssituation in unmittelbaren Umfeld. Kulka wäre sogar bereit, selbst in diese Gegend zu ziehen. Die „Turm“-Landschaft von Loschwitz sei ihm jedenfalls längst schon zuwider.

Dresdens einstiger Kulturbürgermeister Lutz Vogel, Kuratoriumsmitglied des Forums, plädierte ebenso für Weitsicht und Mut, um heute etwas zu schaffen, das noch für Jahrzehnte von Wert sei. Immerhin, dies nebenbei, wäre eine Bespielung dieser wahrhaft spannenden Architektur der erste, der erste (!) Schritt dieser Stadt seit 1989, kulturell etwas Neues zu schaffen. Dass es mit Oberbürgermeistern vom Schlage eines Ingolf Roßberg und einer Helma Orosz nicht eher zu schaffen war, verwundert nicht. Der Freistaat hat trotz Kurt Biedenkopf und Stanislaw Tillich immerhin den neuen Konzertsaal der Musikhochschule, die Fortsetzung der Schloss-Rekonstruktion sowie die vielen Novitäten der Staatlichen Kunstsammlungen gestemmt. Schlimm genug, wie selten Stadt und Land an einem gemeinsamen Strang ziehen.

Ein solches Forum macht vor, wie es auch geht. Da werden nämlich Äpfel und Birnen in die Waagschale geworfen, um etwas aufzuwiegen, das für junge und alte Menschen von Wichtigkeit ist, die Vitamine der Kultur. Werden auf diesem Gebiet Mangelerscheinungen bemerkt, dann ist es meist schon zu spät.

Damit es nicht so weit kommt, initiiert die vor gut fünf Monaten gegründete Interessengemeinschaft Kraftwerk Mitte am 11. Dezember ab 11 Uhr einen Tag der offenen Tür in der Industriebrache, die womöglich schon bald zum Hort avancierten Kulturlebens auferstehen könnte. Nein: Sollte!