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Ein knallbunter Elfenbeinturm – Vielgestaltige Kunst und Neue Musik bei den 2. Tonlagen Hellerau

Das "Tonlagen"-Festival der zeitgenössischen Musik Hellerau geht im Oktober in sein zweites Jahr – insgesamt wird seit nunmehr 24 Jahren immer im Herbst die Neue Musik in den Vordergrund des kulturellen Interesses in Dresden gerückt. Intendant Dieter Jaenicke hat innerhalb von zwei Jahren das Festspielhaus neu profilieren können und dabei bereits bestehende Tendenzen fortentwickelt – zeitgenössische Musik ist längst angekommen im bunten Mix der Kunstausübung.

Jaenicke stellt sich der Auseinandersetzung mit dem provokanten (und dabei uralten) Thema "Populär versus Elitär" und wird diese Fragestellung sowohl im Symposium als auch in einer Diskussionsreihe "Hellerau Talks" aufwerfen, doch die Besucher der Tonlagen werden sich in rund 24 Veranstaltungen vom 1. bis zum 16. Oktober selbst davon ein Bild (und Ohr!) machen können, ob diese Gegenüberstellung in der Realität anwendbar ist. Jaenicke vermochte keinen Höhepunkt zu nennen, dafür biete das Festival in diesem Jahr "eine Fülle von musikalischen Erfahrungen und Experimenten". Die Hellerauer setzen auf reichlich Reibungs- und Kontaktflächen zwischen den Künsten, kaum ein Konzert der Tonlagen wird als klassischer "Frontalunterricht" stattfinden.

50 Gongs verursachen eine Menge Lärm – oder auch Musik? Zu überprüfen bei den "Tonlagen".

Sinnlichen Klangwirbel wird ein Prolog von Moritz Gagern verursachen: Ein Konzert für 50 Windgongs und Ensemble lädt bereits am Sonnabend, 4. September zu einem besonderen Erlebnis ein – als begeh- und bespielbare Installation sind die Gongs dann auch während der Tonlagen präsent. Schlagwerke spielen ohnehin eine besondere Rolle: dem altehrwürdigen Drumset wird (im Quartett!) ein Uraufführungskonzert am 3.10. gewidmet, bei dem Zappa, Reich und Varèse sich die Hand geben. Kooperationen mit der Dresdner Philharmonie und den Dresdner Sinfonikern dürften zwei große, aber völlig unterschiedliche Konzertereignisse bescheren: die Philharmonie lädt mit dem österreichischen Dirigenten und Chansonnier HK Gruber zu einem Pandämonium namens "Frankenstein!", während sich die Sinfoniker auf eine Klangreise nach Ost-Anatolien begeben. "Neue Musik" heißt dann vor allem unbekannte Kulturkreise zu entdecken, ebenso wie in "Waft" 500 Jahre alte Sutartiné-Gesänge aus Litauen auf eine audiovisuelle Performance trifft (11.10.). Im Projekttheater läßt sich dieser Kulturschatz einen Tag vorher pur genießen (Trys Keturiose, Gesang – 10.10., 17 Uhr).

"Neue Musik" kann auch unbekannte Musik ethnischer Herkunft sein. Dieses Jahr steht Anatolien auf dem Reiseplan.

Ensemblekonzerte bilden eine Konstante des Festivals, denn neue Kammermusik bildet ein unerschöpfliches Feld. Ensemble Resonanz, Ascolta und courage gastieren mit außergewöhnlichen Programmen zwischen Aktion und "Avantcore"; Uraufführungen wird es dabei u. a. von der Performerin und Komponistin Jennifer Walshe (11.10.), Michael Hirsch, Klaus Lang und Michael Wertmüller geben. Ein Musiktheater des amerikanischen Elektronik-Pioniers Morton Subotnick namens "Jacob’s Room" nach Virginia Woolf wird die Festspiele am 1.10. eröffnen. Neben Theater und Konzert sind auch Film (Andy Warhols Screen Tests neu betrachtet und vertont, 5.10.) und Tanz (Gastspiel der kanadischen Compagnie O Vertigo am 14.10.) in das Festival integriert. Eine Neuauflage des MELT-Klubs am 16.10. dürfte ein Publikumsmagnet sein, am 2., 8. und 14. Oktober wird zudem jeweils um 21.30 intimere Elektronika-Kultur vorgestellt.

Die Musikhochschule wird nicht nur Partner für das Symposium (1. und 2.10. im Wettinum) sein, sondern auch Aufführungsort für das Jahreskonzert der Komponistenklasse Dresden (16.10., 16 Uhr). Zwei Konzerte sind der Orgel gewidmet, davon dürfte das Konzert am 8.10. in der Auferstehungskirche Plauen in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Gesellschaft für Musik schon aufgrund einer Uraufführung von Jörg Herchet ("Namen Gottes") spannend geraten. Die Tonlagen genießen wird, wer die Bilder, Töne, Worte und Aktionen täglich mit Neugier und Offenheit empfängt – was mit einem Festivalpass ermöglicht wird. Kombitickets und ein Gruppentarif werden ebenso angeboten. Fest steht in diesem Jahr: keiner wird leer ausgehen, und den vermeintlichen Elfenbeinturm gilt es selbst knallbunt anzumalen, die Palette mit den Farben hält Hellerau bereit.

Vollständiges Programm und Kartenbestellung bei www.hellerau.org

Eine Textfassung des Artikels ist am 3. September in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

Fotos: PR EZKH Hellerau