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„Schön spielen hilft nicht immer“ – Mira Wang im Gespräch

Seit 2006 ist das Moritzburg Festival um eine Kammermusik-Akademie ergänzt. Nach einem strengen Auswahlverfahren werden nun jeden Sommer talentierte Musiker eingeladen, die meist kurz vor Beginn einer Solo- oder Orchesterkarriere stehen. Das Akademiekonzept, musikalische Charaktere und überhaupt die gesamte Musikerpersönlichkeit zu fördern, ist gut aufgegangen, sagen die Veranstalter. Bereits heute kann die Festival Akademie auf herausragende Erfolge ihrer Teilnehmer verweisen. So traten mehrere von ihnen Engagements bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden an; weitere Musiker haben inzwischen beim Orchester der Metropolitan Opera New York, beim WDR Sinfonieorchester Köln oder an der Komischen Oper Berlin einen Vertrag unterschrieben.

Dieses Jahr hatten sich 250 Studenten um einen der begehrten Plätze beworben, 38 wurden ausgewählt. Unter der Anleitung von international renommierten Künstlern spielen sie dieser Tage nun gemeinsam Piazzolla, Brahms oder Hindemith – und zur Abwechslung Tischtennis. Während Martin Morgenstern also mit der in Beijing ausgebildeten Geigerin Mira Wang sprach, war vor dem Fenster immer wieder lauter Jubel zu hören – die Nachwuchsmusiker spielten "chinesisch"…

 

"Spielt weniger musikalisch" (Foto: PR)

Erfolge in namhaften Wettbewerben sind wichtig für Musikerkarrieren. Will ich gewinnen, muss ich die gesamte Jury überzeugen. Wo bleiben da Musikerpersönlichkeiten, die stilistisch auch mal eigene Wege gehen?

Mira Wang: Ich glaube, die Gefahr, dass wir immer stromlinienförmigere Musiker ausbilden, besteht nicht mehr. Da hat sich in den letzten zehn Jahren unglaublich viel geändert. Klar, Wettbewerbe öffnen Türen, das ist nach wie vor so. Aber Karrieren werden daran nicht mehr gemessen. Es gibt genügend Preisträger, denen die kurze Aufmerksamkeit gar nichts genützt hat. Eher ist es eine persönliche Genugtuung: Ich habe nun ein bestimmtes technisches Level erreicht. Die haben mir einen Preis gegeben, so schlecht kann ich also nicht sein.

Werden andere Karrierewege, beispielsweise über Meisterklassen oder Sommerkurse, wieder wichtiger? Da kann man nicht zuletzt mal über den Tellerrand der eigenen Hochschule schauen.

Die Lehre ist im Zeitalter des globalen Reisens international geworden. Wir haben Youtube, jedes Werk ist überall auf CD in perfekter Qualität erhältlich. Die Menschen langweilt das aber inzwischen. Wir kommen dahin zurück, wo die Musik herkommt. Die Moritzburg Festival Akademie lädt junge Musiker zum gemeinsamen Musizieren ein. Dabei geht es nicht um "Wow, der ist technisch besser als ich". Man lernt sich besser kennen und reift auch musikalisch ein bisschen.

Wie wählen Sie denn die Teilnehmer aus, wenn nicht nach technischen Aspekten?

Natürlich müssen die Bewerber technisch sehr gut sein. Aber noch mehr zählt der Charakter, den ich auf meinem Instrument ausdrücken kann. Manche Teilnehmer kommen mehrmals, aber am meisten profitieren wohl die jüngeren Musiker. Es ist eine ganz eigene Arbeitsatmosphäre hier in Moritzburg. Neben dem harmonischen Arbeiten ist genug Zeit, um auch mal richtig Spaß zu haben und den Sommer zu genießen.

Die 2006 gegründete Akademie dauert dieses Jahr erstmals zwei Wochen…

Ja, nach einer Kennenlernwoche, bei der das Orchesterspiel im Mittelpunkt steht, folgt dieses Jahr eine zweite, in der die Akademieteilnehmer in kleinen Kammermusikensembles spielen und hochklassigen Unterricht erhalten. Für uns Lehrer ist es so möglich, richtig an die Essenz zu gehen, die Meinungen der Schüler bis ins letzte zu erforschen. Die Resultate sind fantastisch.

Wie hat sich die Akademie insgesamt in den letzten Jahren entwickelt?

Das musikalische Level hat sich dieses Jahr enorm gesteigert. Am Anfang war es schwer, die Studenten dazu zu bewegen, sich zu bewerben. Inzwischen hat sich "Moritzburg" herumgesprochen. Der Fakt, dass wir jedes Jahr andere, interessante Dirigenten einladen, sorgt für frische Ideen. Und das Zusammenfinden im Orchester macht das anschließende gemeinsame Arbeiten an kammermusikalischen Werken viel intensiver.

Die letzte Stunde haben Sie mit Ihren Eleven am Tempo eines Piazzolla-Stücks gefeilt, Extreme herausgekitzelt und immer wieder gesagt: "Ich will, dass ihr das weniger musikalisch spielt."

So empfinde ich dieses Werk. Ich höre viel Tangomusik, sie braucht scharfe Kanten. Der Rhythmus, der Puls, das sind die wichtigsten Elemente. Da muss man auch mal richtig auf der Saite kratzen. Schönspielen hilft eben nicht immer…