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Zu schade fürs Vergessen

Filmmusik hat es oft (und oft zu Recht) nicht leicht in einer Welt voller Meisterwerke. Was soll man da erst über die Stücke für die kleine Bühne des Theaters sagen? Was bleibt hängen bis zum nächsten Tag? Musik hat selten die Chance, den Erinnerungswettlauf zu gewinnen, erst recht dann, wenn das Programm aus dem Repertoire genommen ist. Nicht anders liegen die Dinge beim „Dresdner Brettl“. Aber: Der Theaterkahn kämpft dagegen an, dass die schönen, in Noten gesetzten Gedanken einfach so von der Zeit fortgespült werden.

Jetzt ist eine CD voller saftiger Lieder von und mit Michael Fuchs zu haben. Der Dresdner Komponist, Musiker und Kopf der Hausband „Michael-Fuchs-Trio“ hat in seinem Fundus von über 200 meist für das Brettl geschriebenen Stücken gestöbert, um einen Teil noch einmal neu im Studio aufzunehmen und so vor dem Vergessen zu retten. Die Vertonungen weltumspannender Texte von Heinrich Heine bis Erich Kästner entstanden zwischen 1981 bis 2006 für Abende wie „Capri-Fischer“, „Traumtänzer“ oder ein Brecht-Programm. So „wahllos“, wie Michael Fuchs sie bescheiden nennt, geschah die Zusammenstellung freilich nicht. Die CD ist keine Dokumentation fürs Archiv, sondern beweist, dass Stücke wie „Die Stille“ (Text: Joseph von Eichendorff), „Keuschheitsballade“ (Bertolt Brecht) oder „Sie zu ihm“ (Kurt Tucholsky) originell und stark genug sind, ein Leben auch abseits der Bühne zu führen, dem man gern beiwohnt.

Neben dem als Musiker hauptamtlich Klavier spielenden Fuchs treten viele Szene-Bekannten der letzten Jahre ans Gesangsmikro: Monika Hildebrand, Friedrich-Wilhelm Junge, Joachim Nimtz, Ahmad Mesgarha und Tom Quaas, dazu die junge, beeindruckend reife Stimme von Conny Kanik. „Ich wollte sie alle bedienen“, erklärt Fuchs und dankt mit großem Handwerk, bettet die Vokalstimmen in geschliffene, stilistisch variable und farbig instrumentierte Arrangements, die mal spartanisch, mal üppig ausfallen und auch Branchen-Exoten wie das Fagott einbetten. Im Kern der Band agieren seine Trio-Kollegen Roger Goldberg (Bass) und Volkmar Hoff (Drums), Lars Kutschkes Gitarre gibt den Stücken einen markigen Tonfall. Stets hat Fuchs beim Komponieren den Text im Blick, trifft den Ton im besten Sinne und unerhört feinsinnig. Weder entwirft er blasse Untermalungen noch kapriziöse Gegenspiele. Es ist Understatement von hohem Eigenwert.

Zudem gefällt die CD durch ihr ausgewogenes Verhältnis von gesungenem Lied und gesprochenem Wort. Fuchs kam die Idee erst unterwegs, seine Lieder mit Wortspielen und aphoristischen Miniaturen von Friedhelm Kändler zu würzen. Auch der in Hannover lebende Dichter ist Theaterkahn-Besuchern ein Begriff aus dem Programm „Waste brauchst ist Liebe“. Neben den schon Genannten liest hier auch Tom Pauls.

Kästners „Traurigkeit die jeder kennt“ lieh der CD den Namen. Ein düsteres Werk ist es aber nicht geworden. Es ist nur reich an Lebenserfahrung, die den Frohsinn mit den Jahren relativiert. „Verluste wie Günther Hörig im letzten Jahr erinnern auch daran, das wir alle älter werden“, sagt Michael Fuchs. Die bemerkenswerte Sammlung schließt leise, alle Beteiligten kommen noch einmal zusammen, um mit Ringelnatz zu befinden: „Was wir haben, was wir hatten, was wir… eines morgens ist alles fort“.


CD: Michael Fuchs, „Traurigkeit die jeder kennt“ (Ami Productions), erhältlich u. a. im Theaterkahn Dresden, Musikhaus Opus 61, bei Sweetwater Schallplatten, im Buchhaus Loschwitz und in der Buchhandlung „Lesensart“