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„Ohne Rhythmus geht nichts“ – Alondra de la Parra leitet die Moritzburg Festival Akademie

Mit einem festlichen Eröffnungskonzert in der VW-Manufaktur begann heute Vormittag das diesjährige Moritzburg Festival. Ausgestaltet wurde es vom Orchester der Moritzburg Festival Akademie: 38 junge Musiker aus 17 Nationen musizierten ein Programm mit Werken von Ludwig van Beethoven, Samuel Barber und Daniel Schnyder, der als Composer in Residence im Eröffnungskonzert, aber auch als Saxofonist zu erleben sein wird. Die erst 29jährige mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra leitet die Festival-Akademie; am Rande der Proben sprach Alexander Keuk mit ihr.

Foto: Abby Ross

Sie hatten soeben eine Probe mit der 3. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Wie gestaltet sich das Musizieren in der Moritzburg Festival Akademie?

Sehr gut, ich mag es mit jungen Leuten zu arbeiten, weil man da die wunderbare Möglichkeit bekommt, die Musik mit ihnen gemeinsam zu erforschen. Viele spielen die "Eroica" von Beethoven zum ersten Mal und es ist gut ihnen die Zeit zu lassen, das Stück für sich selbst und gemeinsam zu entdecken. Es sind sehr gute Musiker, und doch ist es anders, als mit einem professionellen Orchester zu arbeiten. Es ist eine andere Inspiration – Profis haben doch die Eroica so oft gespielt,
dass es anders klingt, klingen muss. Die jungen Musiker haben keine vorgefertigten Urteile, wie es sein müsste, sie entdecken es selbst. Da ist ein Hauch von Freiheit darin, den ich sehr mag.

So werden wir einen ganz neuen Beethoven erleben?

Nicht ganz – natürlich erarbeite ich das Werk ähnlich als ich es vor einigen Wochen mit dem russischen Nationalorchester getan habe. Aber der Wille, bestimmte Dinge zu formen und geschehen zu lassen, ist hier größer, weil die jungen Leute die Musik sehr wichtig nehmen.

Auf dem Programm des Eröffnungskonzertes des Moritzburg Festivals stehen auch zeitgenössische Werke. Da müßte doch der Zugang zur Gegenwart für die jungen Musiker leichter sein als bei der "alten" Musik?

Beide Wege können aufregend sein. Aber es gibt kein Stück in der gesamten Musikgeschichte, das der "Eroica" ähnelt. Es gibt darin immer wieder Neues zu entdecken, egal wie oft man es musiziert hat. Die Eroica ist Leben, ist Tod und alles was dazwischen ist. Es sind alle Fragen die man stellen kann, alle Kämpfe des Lebens, alle Träume. Es ist eine unglaubliche Architektur der Themenentwicklung und der Nuancen – nichts ist vorhersehbar in diesem Stück, aber alles klingt unausweichlich.

Ich habe bemerkt, dass Sie in den Proben bis auf den Grund der Musik gehen – eine Passage wurde eben komplett pizzicato geprobt.

Ja, das hatte rhythmische Gründe. Einer meine Lehrer hat mir dies mitgegeben und es ist wahr: Man muss zuerst das Haus bauen, dann kann man es anmalen oder dekorieren. Aber es muss erst auf festen Füßen stehen. Der Rahmen muss klar definiert sein.

Warum ist ausgerechnet der Rhythmus dann so wichtig?

Im Rhythmus existiert die Musik ja erst und die Arbeit am Rhythmus mit den Orchestern ist immens wichtig. Es erschreckt mich oft, wenn Orchester diese Basis vermissen lassen. Das ist, als ob ein Maler ohne Leinwand malen würde. Wenn man weiß, wo der Rhythmus ist, dann fängt die Musik an, dann kann man interpretieren. Aber niemals ohne.

Hat diese Herangehensweise mit ihrer mexikanischen Herkunft zu tun?

Das kann sein, ich wuchs in Mexiko auf und ich wuchs auch mit dem Tanz auf, zuerst im Ballett, später spielte ich auch Schlagzeug – Latin, Folk, daher bin ich vielleicht so stark vom Rhythmus geprägt.

Neben Beethoven gibt es zwei amerikanische Werke im Programm…

Ja, Daniel Schnyders "Songbook" wird er selbst interpretieren, es hat viele Einflüsse, er ist ja selbst eigentlich Jazz-Saxophonist. Schnyder schafft Orte der Imagination in dem Stück, es ist eine sehr aktuelle, dennoch tonale Musik. Barbers "Adagio" hingegen ist in Amerika ein Klassiker und wird sehr oft gespielt.

Sind sie in Mexiko auch ausgebildet worden? Wie kam es zum Dirigierberuf?

Ich ging mit 15 nach England und studierte Klavier, Cello und Komposition, kam dann aber sehr schnell zum Dirigieren, weil mich Orchestermusik immer schon faszinierte: die Kunst einen Klang zu formen, sich mit Klang auszudrücken, das sind riesige Möglichkeiten für einen Musiker und es war eine völlig natürliche Sache für mich, dies anzugehen – die Ausbildung war dann in der Manhattan School of Music in New York, wo ich auch heute lebe. Zudem ist mir beim Musizieren immer der Kontakt zu den Menschen wichtig, mit ihnen zu kommunizieren – das ist ohnehin das Wichtigste beim Dirigieren.

Sie haben dann sehr bald, mit 23 Jahren, selbst ein Orchester gegründet, das "Philharmonic Orchestra of the Americas"…

Ja, es ist nunmehr ein Profi-Orchester in New York. Wir spielen Musik des ganzen amerikanischen Kontinents, vornehmlich zeitgenössisch und wir haben auch ein Jugendprogramm initiiert; wir gehen in die Schulen mit den Instrumenten – auch in den USA ist es sehr notwendig, die musikalische Grundausbildung mit solchen Projekten zu unterstützen.

Und als Mexikanerin sind Sie auch Botschafterin Ihrer Kultur in New York?

Ja, just in diesen Tagen erscheint meine erste CD "Mi Alma Mexicana" – "Meine mexikanische Seele" mit dem Orchester.* Sie ist ganz der mexikanischen klassischen Musik gewidmet, die sehr farbenreich und vielfältig ist und auch eine Geschichte von über 200 Jahren hat, leider ist das kaum bekannt, ebenso wie viele Richtungen von Folk und Jazz, die Mexiko ausgeprägt hat.

*CD-Tipp: "Mi alma Mexicana" (Sony), Werke von Moncayo, Chavez, Ponce u. a. Philharmonic Orchestra of The Americas, Leitung Alondra de la Parra

Revidieren müßte man sicher auch ein oft negatives Bild eines harten und entbehrungsreichen Lebens, das oft in Kinofilmen aus Mexiko kolportiert wird?

Es wäre fatal, wenn dies das Bild von Mexiko alleine wäre. Ja, es gibt Probleme, aber Sie dürfen nicht vergessen, wir sind ein Land von über 100 Millionen Einwohnern, mit einer unglaublichen Kultur und Geschichte, das läßt sich schwerlich reduzieren. Um so wertvoller ist es doch, wie edelmütig die Mexikaner zu ihren Besuchern sind, wie stark in Mexiko die Familie als Wert besteht oder welche Vielfalt der Kulturen und der Natur wir in einem Land vereinigen. Diese Vielfalt präsentieren wir in der Musik ja gerade mit unserem Orchester, im September werden wir zu den 200jährigen Unabhängigkeitsfeiern von Mexiko spielen, das erfüllt uns mit großem Stolz.