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„Als Dresdnerin finde ich mich manchmal in meiner Stadt nicht wieder.“ Eva-Maria Stange im Gespräch über Kultur und Unkultur der Dresdner

Als Politiker – wie übrigens als Musikkritiker – wird man so gut wie nie für seine Arbeit öffentlich gelobt. Umso mehr zählt die öffentliche Hochachtung, die Dresdner Kulturschaffende der Frau zollen, die von 2006 bis 2009 als Kunst- und Wissenschaftsministerin wichtige Akzente in der Kulturpolitik des Freistaates setzen konnte. Eva-Maria Stange im Gespräch mit Martin Morgenstern über verpasste Chancen, über politische und kulturelle Luftschlösser, über liberale Beruhigungspillen und den Grund, warum sie bei bestimmten Personalentscheidungen im Haus ihrer Nachfolgerin "kein gutes Gefühl" hat.

"Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache" – Staatsministerin a.D. Eva-Maria Stange (Foto: SMWK)

Frau Dr. Stange, beim Thema „Porzellanschloss“ erleben wir momentan wieder das übliche Reiz-Reaktionsmuster von Politik und Medien.  Lassen wir die Parteigrenzen doch mal einen Moment hinter uns. Ich frage Sie: was läuft in der sächsischen, in der Dresdner Kulturpolitik momentan prinzipiell richtig, was läuft falsch?

Ich erzähle Ihnen mal ein Beispiel von letzter Woche, was mich wirklich positiv überrascht hat. Im Kleinen Haus fand vor einigen Tagen der „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nichtwissen“ statt. Ich war erstaunt, wie viele Leute, vor allem junge, daran teilgenommen haben. Als die Moderatoren vorher bei mir waren, sagte ich Ihnen: „Das ist doch ein großes Experiment, gerade in Dresden. Ob das angenommen wird?“

Sie hätten die positiven Reaktionen hier nicht erwartet?

Nein. Die Entwicklung Dresdens als Kulturstadt ist an vielen Enden zum Stillstand gekommen. Ich vermisse einen kulturvollen Dialog um die Weiterentwicklung der Stadt, der nicht in Beschimpfungen ausartet oder in parteipolitische Engstirnigkeit. Sehr vorsichtig ausgedrückt: mich befremdet es, was jedes Mal für Beschimpfungen zwischen den verschiedenen Gruppierungen stattfinden, beispielsweise aktuell aus der Ecke der Gesellschaft Historischer Neumarkt. Leute, nehmt euch doch mal ein bisschen zurück und versucht auch, den „Gegner“ zu verstehen!

Dieser Eindruck lässt sich in Dresden tatsächlich verallgemeinern, ob es nun um Brücken, Tunnel, Konzerthäuser, Kulturkraftwerke, die Operette, Alt- oder Neumarkt geht.

Tatsächlich, ja. Das hat uns ja bei der Brücke solche Schwierigkeiten gemacht: die Fronten waren am Ende so verhärtet, dass man nicht mehr auf Kompromissangebote gehört hat.

Als irritierender Faktor auf dem Gebiet der Kultur kommt dazu: Stadt und Land ziehen an verschiedenen Fäden, ein gemeinsames Arbeiten scheint nicht möglich zu sein.

Das irritiert mich sehr. Wir sind doch hier in der Landeshauptstadt. Man kann da nicht trennen: was ist Stadt-, was ist Landesangelegenheit? Den Menschen ist das ziemlich egal. Stichwort Konzerthaus: Ich habe immer gesagt, das ist keine Angelegenheit der Stadt allein.. Stärker als in anderen Städten und Regionen gibt es hier eine Verpflichtung zwischen Stadt und Land. Ob Semperoper oder Staatsschauspiel – davon profitieren das Ansehen, die Wirtschaftskraft der Stadt und des Landes.

Dann formulieren Sie doch einmal als Landespolitikerin, wo es momentan am meisten hakt.

Ach, Dresden. Das ist eine Stadt mit prägender Historie, mit hervorragenden Sammlungen, die man pflegen muss und der Welt zeigen soll. Aber wir leben zu sehr in der Vergangenheit. Wo bleibt die Weiterentwicklung, welche architektonischen Vorstellungen hat man? Am Altmarkt werden jetzt wieder irgendwelche Klötzer hingestellt. Gibt es da wirklich eine Konzeption? Als langjährige Dresdnerin finde ich mich manchmal in meiner eigenen Stadt nicht mehr wieder. Am Neumarkt entsteht eine Kulissenstadt, überall sieht man „Versteinerungen“. Über die Fußgängerpromenade am Kulturpalast führt jetzt auf einmal eine Straße. Warum muss das jetzt sein?

Die Amtszeit des derzeitigen Baubürgermeisters begann schon unter keinem guten Stern. Der Wunschkandidat der Stadt sagte kurzfristig ab, die exzellente Ersatzkandidatin hatte ihren eigenen Kopf in puncto Brücke und fiel deshalb durch. Schließlich einigte man sich auf einen Kandidaten, der „die Anforderungen der Ausschreibung erfüllte“. Als er sich kürzlich versuchte wegzubewerben, bekam sein Amtsleiter den angestrebten Job.

Nun ja, wenn man selbst zu etwas nicht in der Lage ist, muss man sich einen guten Ratgeberkreis schaffen. Ich erwarte auch vom Stadtoberhaupt, ein Stück eigene Visionen einzubringen. Auch der Kulturbürgermeister muss Projekte vorantreiben und darf sich nicht einfach so vom Finanzbürgermeister treiben lassen wie im Moment. Klar, man kann nicht alle Träume blühen lassen. Nichtsdestotrotz sollte es einen Gesamtrahmen geben, aus dem entnehmbar ist: hier wollen wir hin. Wir haben vielleicht heute nicht das Geld, nutzen aber die nächsten Jahre, um Geldgeber zu finden und schaffen solange verlässliche Grundlagen. Und: Wir haben in dieser Stadt ein ungeheures Expertenwissen, das einfach abgerufen werden müsste.

Sie spielen an auf das jüngste städtische Hickhack um das Kulturkraftwerk?

Beim Kraftwerk habe ich wirklich den Eindruck, ein Teil des Stadtrates will das nicht. Ansonsten fände man doch einen Weg. Vielleicht zieht zuerst die Operette ein, später das Theater der Jungen Generation nach? Aber anfangen muss man.

Auch während Ihrer Amtszeit als Kunstministerin ging es teilweise kulturpolitisch zwischen Stadt und Land drunter und drüber. In Sachen Konzerthaus…

Das Konzerthaus. Normalerweise würde man sagen: da gibt es ein Projekt, wir reden da mal miteinander, sozusagen von Frau zu Frau. Wenn klar ist, dass man das stemmen könnte, lässt man die Leute arbeiten, rechnet man das mal durch, prüft Standorte. Das war ja hier nicht der Fall, das Pferd ist von hinten aufgezäumt worden. Die Stadt legte sich auf den Umbau des Kulturpalastes fest, mit der Diskussion um ein Konzerthaus entstand sofort Konfrontation. Als ich mit Frau Orosz sprach, waren bereits so viele Pflöcke gesetzt, dass es kein freies Nachdenken mehr geben konnte.

Warum schaffen es die Politiker in solchen prinzipiellen Fragen nicht, auch mal über ihren parteipolitischen Schatten zu springen? Ein Vorschlag liegt gerade auf dem Tisch: die FDP möchte  das Gelände vis-a-vis der Hofkirche am „Narrenhäusl“ als „Sonderfläche Kultur“ ausweisen, um später einen gemeinsamen Konzertsaal für Philharmonie und Staatskapelle zu bauen.

Gerade bei städtischer Politik wäre es für die Bürger gut, wenn sich Politiker auch mal pragmatisch über Parteigrenzen hinweg verständigen würden. Es wäre der Oberbürgermeisterin beispielsweise unbenommen, ein übergreifendes Zukunftsforum einzurichten. Sie hat immerhin sieben Jahre Zeit, die Wahlperiode ist so lang, dass man da gut etwas gestalten könnte, und mir würden sofort eine Reihe von Leuten einfallen, die überparteilich sind und von verschiedenen Seiten akzeptiert würden. Bei dem Vorschlag der FDP bin ich mir allerdings nicht sicher, ob das nur eine Beruhigungspille ist. Für die Partei ist das schwierig: im Wahlkampf hat sie sich für ein eigenständiges Konzerthaus starkgemacht. Vielleicht will sie es nun schleichend sterben lassen?

Wie sehen Sie selbst das Konzerthaus-Projekt heute?

Es gäbe nach wie vor viele Möglichkeiten zusammenzuarbeiten, beispielsweise über den Stadt-Land-Vertrag im Kulturraumgesetz. Für Dresden fand man damals Sonderregeln: die Stadt beteiligt sich am Staatsschauspiel, ist Träger des Zentrums in Hellerau. Das Projekt Konzerthaus hätte man da mit aufnehmen können. Aber ich sage auch offen: es macht wenig Sinn, mit einem so umgebauten Kulturpalast ein Konzerthaus zu bauen.

Fehlt uns in Dresden einfach das private Geld, das spendable Mäzenatentum, um hier weiterzukommen?

Es ist schon schwierig: wir haben hier nicht die großen Unternehmen, die Kultur finanzieren können. In der Regel sind hier nur Ableger von Konzernen ansässig, die ihre Hauptgeschäftsstellen in München oder Hannover haben. Nehmen wir nur mal das Beispiel Semperoper: eine Stiftung bemüht sich dort nach Kräften, Sponsorengelder anzubinden. Die Stiftung hat jährliche Einnahmen von einer halben Million Euro, im Verhältnis zu den 40 Millionen, die die Oper den Staat kostet.

Wenn Sie auf Ihre eigene Amtszeit als Staatsministerin zurückschauen: wo haben Sie selbst vielleicht nicht laut genug gekämpft?

Auf der einen Seite bin ich ganz zufrieden, dass wir es geschafft haben, die Museumskonzeption um einiges besser zu fassen und die kulturpolitischen Leitlinien festzulegen. Leider ist es mir bei beidem nicht gelungen, die CDU davon zu überzeugen und einen Kabinettsbeschluss herbeizuführen. Ich hatte einfach keine Lust, das alles zerreden zu lassen. Das Grundübel ist dabei das Finanzministerium: es redet in alle Konzeptionen hinein. Das kostet ungeheuer viel Zeit und Kraft, und ich halte das für falsch. Das Finanzministerium ist eines von acht Ressortministerien!

Im aktuellen Koalitionsvertrag ist zu lesen, man werde „die Kultureinrichtungen unterstützen, verstärkt eigene Erträge und einen höheren Kostendeckungsgrad zu erwirtschaften“. Ist den Autoren eigentlich klar, dass die Kultur nicht dazu ist, Gewinne einzuspielen?

Die aktuellen Haushaltsentscheidungen sind ein ziemliches Krämertum. Das hat nichts mit gestaltender Politik zu tun. Sie fragen: ist bei den Politikern angekommen, dass Kultur auch etwas kostet? Mich irritiert, dass der Ministerpräsident sich damit brüstet, sein Land investiere am meisten in die Kultur. Aber es gibt eine Diskrepanz zwischen Inhalt und Hülle. Ich spitze das einmal zu: wir bauen ein Schloss für viel Geld, aber wir haben kein Personal mehr, das restaurieren oder ordentliche Führungen anbieten kann. In den nächsten Jahren wird sich auch zeigen, wie ernst es die Politik mit der Breitenkultur meint. In der Diskussion um meinen kleinen Kulturhaushalt musste ich mir immer wieder anhören: „Muss das überhaupt sein?“

Wie bewerten Sie da die ersten Schritte und die Durchsetzungsfähigkeit Ihrer Nachfolgerin im Amt der Kunst- und Wissenschaftsministerin?

Ich bin momentan zurückhaltend, weil ich weiß, dass es eine Weile braucht, Problemfelder zu erkennen und zu gewichten. Bei allen finanziellen Einschränkungen versucht Frau von Schorlemer, eine Kulturpolitik zu machen, die fachlich kompetent ist. Erschrocken bin ich eher über Ihren Staatssekretär, Hansjörg König, den ich von früheren Auseinandersetzungen um Schulschließungen her kenne. Er ist ein Finanzer, vollkommen inhaltsfremd. Er hat weder Berührung zur Wissenschaft noch zur Kultur. Vor diesem Hintergrund werden natürlich Entscheidungen vorbereitet, die nicht inhaltlichen Erwägungen entstammen. Mit seinem Vorgänger Knut Nevermann konnte ich im Kulturbereich vieles bewegen und durchfechten. Wir waren inhaltlich zusammen gut gewappnet.

Erklären Sie mir als Normalsterblichem doch einmal, wie Kulturpolitik unterhalb der Ministerebene funktioniert.

Nun, der Staatssekretär ist eine Art „graue Eminenz“ des Ministeriums. Er ist Amtschef, organisiert das Innenverhältnis und hat durch seine Vorarbeit für bestimmte Beschlussanträge eine starke Machtstellung. Er bereitet die Argumente für Haushaltsdiskussionen vor, sorgt für eine klare Linie im Haus, und kämpft sie dann mit dem Minister durch. Normalerweise sucht der Minister sich seinen Staatssekretär aus. Hier ist es so gewesen, dass diese Entscheidung, soweit ich weiß, nicht von Frau Schorlemer getroffen wurde. Nicht nur deswegen habe ich kein gutes Gefühl bei der Sache.

Was geben Sie also Frau von Schorlemer und Herrn König mit auf den steinigen Weg durch die Haushaltsdiskussionen der kommenden Wochen?

Die Krise wird eines Tages überwunden sein. Solange müssen wir überwintern. Strukturen dürfen daher nicht kurzsichtig in Gefahr geraten. Mein Plädoyer war dabei immer: rechtzeitig umbauen statt abbauen. In dem Moment, wo beispielsweise Theater in finanzielle Zwänge kommen, ist es eigentlich schon zu spät. Wenn wir unseren Ruf als Kulturland nicht verlieren wollen, müssen wir gerade auf die Fläche setzen, und wir müssen auf die demografische Entwicklung schauen. Kulturelle Bildung muss ein zentraler Auftrag sein. Und wir müssen den großen Einrichtungen mehr Handlungsspielraum geben. Als Staatsbetriebe werden sie zu eng am Gängelband geführt. Die dortigen Freiräume, beispielsweise was Personalkonzepte angeht, sind nicht ausreichend, um gerade in schwierigen Zeiten zu überleben.