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Wolfgang Hänsch: „Schicksalsvögel“ neben die Semperoper

Wolfgang Hänsch will kein Star-Architekt sein. Und er tut gut daran. Denn dieser fragwürdige Titel wird heute zu vielen Kollegen seiner Zunft angehängt, ohne dass sie tatsächlich alle sternengleich aus der Masse herausragten. Wolfgang Hänsch aber ist ein herausragender Architekt. Er hat insbesondere in und um Dresden seine Spuren hinterlassen, sich zudem als kenntnisreicher Publizist erwiesen, und er wird noch für Aufsehen sorgen, wenn der Wind der Bau-Geschichte so manche Star-Architektur längst wieder zu Staub zerbröselt haben wird.

Das Denkmal seines Lebens ist und bleibt die Semperoper. Sie schmückt sich als vielleicht einziger Theaterbau der Welt mit dem Namen ihres Baumeisters (obwohl, streng genommen, dieses Gebäude nicht von Gottfried Semper ausgeführt worden ist, sondern nur auf dessen genialen Plänen basiert). Das erste, 1841 eröffnete Hoftheater – noch originär Semper – fiel 1869 einem Brand zum Opfer, den Neubau musste der Meister seinem ältesten Sohn überlassen, da er selbst sich nach der Beteiligung an den Maiaufständen von 1849 nicht mehr in der Stadt zeigen durfte. Die Fäden hielt er dabei jedoch von Ferne in der Hand, 1878 war das Haus fertig. Es stand bis zum Februar 1945; der Rest ist bekannte Historie.

Herausragender Architekt ohne Starallüren: Wolfgang Hänsch (Foto: Matthias Creutziger)

65 Jahre nach Dresdens Zerstörung und 25 Jahre nach der Wiedereinweihung der heutigen „dritten“  Semperoper gehörte unbedingt auch eine Matinee zur Baugeschichte mit in die Festwochen. Vor dicht besetztem Parkett erinnerte Wofgang Hänsch gemeinsam mit Stephan Braunfels an die einzelnen Stadien dieses Theaters. Moderator Niels-Christian Fritsche, ebenfalls ein Kenner der Materie, machte rückblickend noch einmal mit den ursprünglichen Forums-Gedanken vertraut, die schon Pöppelmann bei der Anlage des Zwingers beschäftigten. Nach römischem Vorbild sollte das Areal vom offenen Zwingerhof bis hin zum Elbufer prachtvoll bebaut werden. Daraus wurde bekanntlich nichts, Semper schloss den Hof mit der Gemäldegalerie; der Theaterplatz geriet dennoch zu einem der schönsten Europas.

Mit Superlativen wurde nicht gespart an diesem hochinteressanten Vormittag. Sempers Visionen seien nah an einem Idealtheater, hieß es, die Raumakustik wäre perfekt gewesen und die Schönheit ohnehin einzigartig. Als das alles in Schutt und Asche lag, war es ausgerechnet Wolfgang Hänsch, einem bekennenden Anhänger der Moderne, dem der Wiederaufbau oblag. Er erinnerte sich an die ersten Schritte im Eisenschrott der Bühnenaufbauten, an die aufgeschreckten Tauben, die in der Ruine jahrelang ihre Bleibe gefunden hatten. Je mehr er sich damals mit diesem Haus beschäftigte, umso mehr habe er Gottfried Semper schätzen gelernt.

Dennoch hat er ihn nicht eins zu eins kopiert, wie er am Sonntag nochmals betonte und dabei den Dank an die seinerzeitigen Denkmalpfleger nicht aussparte. Ihm und seinen vielen Mitarbeitern sei die „Kunst der Augentäuschung“ gelungen, denn der Zuschauerraum entspricht ja nicht Sempers Original. Das gilt auch für die einst so gelobte Akustik mit einer Nachhallzeit von 1,3 Sekunden. Die beträgt heute mit 1,6 bis 1,9 Idealmaß: „Dann kann es vorher ja gar nicht so gut gewesen sein!“ Widerspruch erntete die Anekdote von den fünf Regeln der Raumakustik, wonach man vier Regeln vergessen könne, nur die fünfte nicht: „Man muss Glück haben!“

Da der Vormittag auch beleuchtete, wie penibel Hänsch seinerzeit mit Klangmodellen gearbeitet hatte, könne sein Zufallsglück wohl auch nur im Prozentbereich gelegen haben, konterte Braunfels. Schließlich gäbe es im heutigen Semperbau die beste Akustik der Welt und handele es sich bei allen Veränderungen ausnahmslos um Verbesserungen. Der renommierte Kollege zog denn auch das treffende Resümee, in diesem Hause seien stets zwei Architekten zu feiern: „Semper und Sie, Herr Hänsch!“ Großer Beifall, zu Recht.


Schicksalsvögel und Bühnenschrott – ein Entwurf von Architekt Wolfgang Hänsch, um an Zerstörung und Wiederaufbau der Semperoper zu erinnern (Repro: M. Ernst)

Wolfgang Hänsch ist ein bescheidener Mann geblieben (auch das unterscheidet ihn von manch „Star-Architekten“), der jedoch treffsicher Seitenhiebe austeilen kann. Möglicherweise, so meinte er sinnig, habe im 19. Jahrhundert, als Dresdens Bürger den so noch nie dagewesenen Bühnenturm der Oper monierten, die Geburtsstunde des Vereins Historischer Neumarkt geschlagen. Im Rückblick auf die Ruine mit den aufsteigenden Tauben regte Hänsch am Sonntag von der Opernbühne aus einen Ort des Gedenkens an. Schicksalsvögel und Bühnenschrott als bleibende Mahnung.

Eine Textfassung des Artikels ist am 22. Februar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.