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„Entlastung vom Realismus des Stoffes“ – Jens-Daniel Herzog und Mathis Neidhardt im Gespräch über Händels »Giulio Cesare«

Nach der Dresdner Erstaufführung im Jahre 1934 im Festspielhaus Hellerau unter Karl Böhm kehrt Händels »Giulio Cesare in Egitto« am Sonntag nach 75 Jahren nach Dresden zurück. Aus diesem Anlass hat Martin Morgenstern mit dem Regisseur Jens-Daniel Herzog und dem Bühnenbildner Mathis Neidhardt gesprochen.

Mathis Neidhardt, Sie sprechen in einem Einführungstext über inhaltliche Parallelen zu »Casablanca«. Wie sah der "Beginn der wunderbaren Freundschaft" Herzog-Neidhardt aus?

Mathis Neidhardt: Das ist wohl bei jeder Beziehung Regisseur-Bühnenbildner unterschiedlich. Es gibt häufige, nüchterne Wechsel, reine Projekt-Arbeitsverhältnisse. Aber dann gibt es eben auch Partnerschaften, die sich verfestigen, mitunter auch über das Berufliche hinausgehen.

Jens-Daniel Herzog: Das Schwierigste ist, einen Partner zu haben, mit dem man eine Sprache findet. Bei uns beiden funktioniert das sehr gut, seit fast zehn Jahren.

Täusche ich mich, oder entscheiden Sie sich öfter für sanfte Modernisierungen der Stoffe, als immer nur Regietheater zu forcieren?

MN: Das eine schließt das andere nicht aus. Man muss die Stücke, die man erarbeitet, nicht zwangsläufig in einem optischen Rahmen von heute sehen, um eine moderne Sicht auf sie zu haben.

JDH: Wir suchen die Balance zwischen Nähe und Entfernung zum Heute. Das gibt einerseits dem Darsteller, aber auch dem Publikum die Möglichkeit, den Stoff an sich heranzulassen, damit umzugehen; aber eben mit einer intellektuellen Distanz. 

Ihr gemeinsamer »Lohengrin« in Frankfurt ist ein Leinwandmärchen zur Hochzeit des Kinos. Wie findet man solche Bilder?

JDH: Im Lohengrin ging es um eine Gesellschaft in der Krise, die die Menschen an der Kraft der Vernunft verzweifeln lässt. Diese Gesellschaft will glauben und projiziert alle ihre Sehnsüchte und Hoffungen auf einen Einzelnen. Das Kino erschien uns dafür als die passende Metapher. 

MN: Uns treibt die Suche nach einer zeitgenössischen Sprache. Aber wenn man in der Jetztzeit bleibt, um Bilder zu finden, bleibt man mitunter an der Oberfläche. Und dann ist es immer besser zu gucken: wann verortet man das, um diese Dimension wieder zu haben. Da bietet sich meistens eine Zeit an, die mit heute verbunden ist, und wo trotzdem Distanz da ist. 

Und wie erzählen Sie nun den »Giulio Cesare«?

Die Oper besteht aus einer permanenten Verlagerung von Konfliktfeldern. Vom innerrömischen Konflikt zum interkulturellen Clash zum ägyptischen Erbfolgekrieg bis hin zum Geschlechterkampf. Irgendwann kann man nicht mehr ausmachen, wer der Feind ist. Der Held kann den gordischen Knoten nicht zerschlagen, ohne dabei seine eigenen Wertvorstellungen mit entzweizuhauen. 

Frau spielt Mann – eine willkommene "Entlastung vom Realismus des Stoffes" (Herzog). Foto: M. Creutziger

Der Kastrat Senesino war ab 1717 am Dresdner Hof angestellt, wo er unter anderem in Lottis »Teofane« sang; nach einem Streit mit dem Hofkomponisten Heinichen ging er nach London, wo er mit dem »Giulio Cesare« Erfolge feierte. »Teofane« wurde kürzlich in Dresden mit einem Sopranisten aufgeführt. Für welche sängerische Lösung haben Sie sich entschieden?

JDH: Wir haben uns für eine Frau entschieden. Um die Breite der Cäser-Figur mit acht Arien zu zeigen, braucht man Farben zwischen dem Helden und dem Konzilianten. Und zum zweiten: ich mag grundsätzlich das Spiel, dass eine Frau einen Mann spielt. Es ist eine Entlastung vom Realismus des Stoffes, und somit eine unglaubliche Befreiung für einen Regisseur. Man kommt sofort ins Spielerische.

Wer ist dieser Giulio Cesare?

JDH: Zuerst einmal ein Held, so wie ihn heute die Regenbogenpresse verehren würde. Man hetzt diesen Helden durch diverse Prüfungen. Mit dem Helden wird experimentiert: wie verhält er sich in einer schwierigen außenpolitischen Lage? Das war eigentlich immer unser allererster Ansatz, eine Art James-Bond-Geschichte zu verfolgen. Oder Harrison Ford in diesem Film…

Air Force One.

JDH: Ja! Der Mann ist ein großartiger Politiker, ein Frauenverführer, und wenn die Feinde angreifen, kann er auch selbst anpacken. Einfach gestrickte Handlungsmuster werden bemüht, um zu zeigen, was den Helden ausmacht. Die skizzenhaften Figuren der Barockoper kommen diesem Anliegen eines Modellversuchs entgegen und erinnern an moderne, in Agentenfilmen äußerst erfolgreich stattfindende Mythenarbeit.

Senesino soll ein sehr schlechter Schauspieler gewesen sein. Können Sie von Anke Vondung, von Christa Mayer, die die Cornelia spielt, besseres berichten?

JDH: Unbedingt, die beiden sind großartig! Die meisten Sänger bringen heute eine unglaubliche Neugier für das Schauspielerische mit. Und wenn jemand doch Defizite hat, werde ich ihn stützen und bestimmte Dinge vereinfachen. Aber grundsätzlich begegne ich in Dresden einer totalen Spiellust der Beteiligten.
Ich bin der festen Überzeugung: wenn die Situation und die Erzählweise stimmen, singt der Sänger besser. Ich helfe dem Sänger, wenn ich die Arie an eine Situation rückbinde. Das ist besonders bei einer Barockoper unglaublich wichtig.

Die sächsische Staatskapelle Dresden, die "Wunderharfe", und eine Barockoper – passt das überhaupt zusammen?

JDH: In den letzten zwanzig Jahren ist ja in Sachen Aufführungspraxis unendlich viel passiert. In Dresden ist zwar auch Barockoper gespielt worden, der erwartete Erfolg blieb aber aus. Barockmusik braucht eine Lebendigkeit, einen Dialog von Sängern und Orchester. Das Miteinander ist quasi wie im Jazz! Und das wünsche ich mir auch hier am Haus.

 

Premiere
Sonntag, 13. Dezember 2009, 18 Uhr
Weitere Aufführungen: 16., 19., 23., 26., 28. Dezember 2009 / 2. Januar 2010 / 6., 13., 20. Mai 2010