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Leberwurst, Lorelei, einerlei – George Gershwins musikalische Komödie „Pardon My English“ erlebt seine europäische Erstaufführung

Die Premiere stand 1933 unter keinem guten Stern. Die Alkoholprohibition, die das Libretto auf die Schippe nimmt, wurde nur einen Monat nach der ersten Aufführung von "Pardon My English" abgeschafft. Entsprechende Giftpfeilchen schossen also bald ins Leere. Den Todesstoß versetzte der musikalisch schwungvollen, textlich schwachbrüstigen Komödie dann die Machtergreifung der Nazis: welcher Amerikaner wollte jetzt noch volkstümelnde Verwechslungsspielchen mit Gitta, Frieda, Magda und dem liebenswert-dusseligen Polizeiinspektor Schultz sehen?

Der Regisseur Holger Hauer war indes klug genug, möglichen politischen Interpretationen von vornherein den aufblasbaren Quietsch-Gummihammer zu zeigen. Nicht auszudenken, was etwa Peter Konwitschny aus "Pardon My English" gemacht hätte – neinnein, in Leuben konzentriert man sich traditionell auf den komödiantischen Anteil eines Werks und lässt die krachledernen Gags ordentlich prasseln. Und jetzt aufgemerkt und hingehört: in "Pardon My English" funktioniert das ganz herrlich! Im Gegensatz zu den inszenierten Peinlichkeitslöchern und -längen früherer Abende am Haus, die manchen Rezensenten in die innere Emigration trieben, vermag es der Regisseur Holger Hauer immer im richtigen Moment, sich selbst und das gesamte Genre auf die Schippe zu nehmen. Hat er heuer gar die ersten Pflänzchen staatsoperettischer Selbstironie gepflanzt?

Haben sich da eben aus Versehen zwei Matrosen geküßt? Das Leubener Publikum nimmt es mit Fassung

Es sind die inszenatorischen Kleinigkeiten, die diesmal einfach funktionieren: da wird den pathetisch singenden Duettisten das Bühnenbild quasi unter dem Hintern ab- und zum nächsten Tableau umgebaut. Da poppen in der kitschigen Hochzeitssuite-Szene zwei riesige preßluftgefüllte Liebesrosen in die Szenerie. Und lächerliche Dialoge werden schon mal mit einem ruppigen "Sei mal ruhig, ich muß jetzt erst mal singen" abgebogen. Zumal sind die aktualisierten Zwischentexte kurzweilig, flott und flippig geschrieben und retten so manch biederen Song. Wie etwa Dietrich Seydlitz (Dr. Steiner) von dialogischem Mißverständnis zu Mißverständnis watschelt und sich dabei seine pausbäckig-gutmütige Art bewahrt – das ist wirklich hinreißend entworfen und sorgt berechtigterweise für laute Lacher im Publikum.

Meine Güte, denkt man natürlich während der Aufführung von "Pardon My English" immer wieder; welch stereotyp-dümmliches Deutschland-Bild müssen die Autoren des Textbuches eigentlich gehabt haben? Sehr weit scheint es mit Herbert Fields‘ und Morrie Ryskinds Heimatkunde-Kenntnissen jedenfalls nicht hergewesen zu sein: man nehme die Lorelei, viel Bier und Leberwurst, Freudianische Verirrungen, ein kleinstaaterisch-monarchisches Polizeistaatsgebilde, rühre noch ein paar Walzertakte unter, und flupp: fertig ist "Good Old Germany". Dresden ist in ihrem Weltbild – wie passend – allenfalls Abziehbild einer "typisch" deutschen Provinzstadt. Dass dann noch eine recht holprig konstruierte Jekyll-und-Hyde-Konstellation herhalten mußte, damit das Schiff überhaupt an Fahrt gewinnt, nimmt man hin – und amüsiert sich am Ende trotzdem.

Die Kostüme sind – nun ja – von eher durchschnittlicher Originalität. Der Rest des Abends – ein Traum.

Das Ensemble der Operette ist dabei in Bestform. Zwar werden den Sehgewohnheiten des Publikums durchaus die gewohnten Zugeständnisse gemacht – etwa mit überdeutlich akzentuierten Kostümen (Ausstattung: Christoph Weyers), die nicht mal im Ansatz witzig wirken, oder mit dem offenbar obligatorisch-platten Schuhplattler des Ballett-Ensembles -, aber ansonsten genießen Sänger wie Orchester die augenzwinkernde Leichtigkeit von Dramaturgie (André Meyer), Choreografie (Andrea Kingston) und einer Inszenierung, die es zum Beispiel vermag, beleuchterische Details (Bühnenlicht / Spot) mal eben in die Handlung einzubauen, und sich auch für Kleinigkeiten ein Auge bewahrt.  

Wir wetten dann schon mal mit den Kollegen, wann sich der erste Regisseur in Leuben traut, Nacktheit auch mal unverklemmt nackt zu zeigen, politische Anspielungen über das Mindestmaß an gutmütiger Wortwitzelei hinaus ("Gutten Berg, äh, Guten Tag") einzubauen oder – oh Schreck – auch mal das Publikum und seine unsägliche Parteitagsklatscherei etwas deutlicher auf die Schippe zu nehmen. Holger Hauers leise Anspielung auf das Ur-Leubener Ritual werden wohl nur wenige mitbekommen haben; immerhin, die Kutsche ist auf den Weg gebracht. Jetzt bloß nicht die Pferde scheumachen!

Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert