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Dresdens Jazz im Herbst 1989

An den Herbst 1989 gibt es so vielfältige wie widersprüchliche Erinnerungen. Ein Wunder ist das sicherlich nicht, schließlich hat beinahe jeder die Wirren der Wende anders erlebt. Im Osten Deutschlands, der noch heute flächendeckend als „Neue Bundesländer“ bezeichnet wird, war das, gesamtgesellschaftlich gesehen, eine Zeit der Improvisation.

Improvisationskunst fand damals auch statt. Auch in Dresden. Allerdings blieben manche Veranstaltungssäle im Herbst ’89 ziemlich leer. Ab Mitte Oktober jedenfalls, da fielen manche Jazzkonzerte aufgrund fehlenden Publikums sogar aus. Die Menschen des Elbtals begafften durchfahrende Reisezüge sowie rettungslos überforderte Volkspolizisten am Hauptbahnhof und endlich auch, den ersten Satellitenschüsseln sei Dank, das West-Fernsehen auf der Ost-Mattscheibe.

Lang ist es her und manches scheint längst vergessen zu sein. Doch an zwei denkwürdige Konzerte, die von der damaligen IG Jazz-Tonne im Rahmen der 3. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik organisiert worden sind, soll nun aus dem Abstand von zwanzig Jahren gedacht werden. Der noch heute vital existente Nachfolger Jazzclub Neue Tonne initiiert aus gegebenem Anlass am 3. sowie am 10. Oktober zwei Abende, die den Dresdner Jazz von 1989 noch einmal wachrufen sollen. Damals gab es unter dem Titel „Klänge, Gesten und Gestalten“ ein Zusammentreffen des amerikanischen Pianisten Frederic Rzewski mit der Sängerin Roswitha Trexler und der Tänzerin Hanne Wandtke.

Zeitgenössische Kompositionen von Luca Lombardi und anderen standen damals, stehen auch jetzt auf dem Programm. Geändert werden musste in der Neuauflage allerdings die Besetzung: Roswitha Trexler singt und Hanne Wandtke tanzt nicht mehr. Zum Tanz von Katja Erfurth, einst Schülerin von Hanne Wandtke, musiziert daher das italienische Duo Alterno mit Tiziana Scandaletti (Sopran) und Riccardo Piacentini (Klavier). Man darf gespannt sein, wie die tänzerische Neuinterpretation derselben Musik nun in den Herbst 2009 hineinstrahlen wird (10.10., 21 Uhr Kulturrathaus).

Authentischer bleibt hingegen der Abend „Spielauffassungen im Vergleich“ besetzt, der um den Pianisten und Keyboarder Hannes Zerbe herum mit Musikern wie den Drummer Harald Thiemann (der 1989 vom Hauptbahnhof weg direkt nach Bautzen verfrachtet und höchst kurzfristig durch Wolfram Dix ersetzt worden war), den Cellisten Peter Koch und den Posaunisten Jörg Huke (der damals wegen Krankheit ausfiel, nicht minder kurzentschlossen ist Günter Heinz eingesprungen) angekündigt war. Im Auftrag des seinerzeitigen Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik erstellte Zerbe glücklicherweise Notenmaterial dieses Konzerts, das er nun mit Thiemann und Dix an den Drums sowie mit Huke und Koch aus der Sicht von heute neu interpretieren wird (3.10., 21 Uhr Tonne). Zudem konnte der Klarinettist und Saxofonist Jürgen Kupke mit ins Boot für dieses Gedächtniskonzert geholt werden.

Obendrein wird es in den Räumen der Tonne eine Ausstellung geben, die an dieses Kapitel der Dresdner Jazzgeschichte erinnert, neben musikalischen Schlagstöcken sollen auch welche der Volkspolizei zu sehen sein. Zusammen mit Fotos und weiteren Artefakten vermitteln sie gewiss ein Bild vom jazzigen Herbst ’89.

(Foto: Rive-Gauche Concerti)