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„Die Wiener in der Frauenkirche – das ist ein Event, aber kein Musikerlebnis.“ Hartmut Haenchen über den Konzerthausstreit

Als Helma Orosz am letzten Mittwoch die Dresdner zur Eröffnung der Musikfestspiele in "Dresdens schönstem Konzertsaal" begrüßte, ging ein leises Raunen durch die Frauenkirche. Manche der Anwesenden freuten sich sicherlich über die gelungene Formulierung – nicht zu Unrecht wird die Frauenkirche als eine der schönsten Kirchen überhaupt, ihre symbolträchtige Wiedererrichtung von vielen Dresdnern und ihren Gästen gelobt. Andere jedoch mögen innerlich den Kopf geschüttelt haben über die Chuzpe der Oberbürgermeisterin, die als Ehrengast selbstverständlich in der ersten Reihe des Kirchenschiffs saß. Ob sie jemals ein Konzert von der ersten oder gar zweiten Empore verfolgt hat? Langsam sollte es auch der letzte im Rathaus wissen: die Frauenkirche ist kein Konzertsaal, sie ist für die meisten Konzertaufführungen völlig ungeeignet. Was nicht nur Musikkritiker immer wieder beklagen, ist auch bei den diesjährigen Musikfestspielen ein wunder Punkt: Dresden hat keinen einzigen brauchbaren Konzertsaal.

»Musik in Dresden« dokumentiert deswegen im Folgenden eine Rede von Jan Voglers Amtsvorgänger Hartmut Haenchen, die der Dirigent unlängst auf Einladung der Konzerthaus-Initiative vor Dresdner Bürgern und einigen Vertretern der Stadtratsfraktionen SPD, Linke und FDP unter großem Beifall im Rundkino hielt. Ob Helma Orosz ihre Worte zur Eröffnung anders gewählt hätte, wenn Sie auf dieser Veranstaltung – wie vorgesehen – anwesend gewesen wäre?

Sehr geehrte Frau Staatsminister Dr. Stange, sehr geehrte, hoffentlich anwesende, Bürgermeister und Stadträte – von den Letzteren habe ich zwei gesehen –, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Spanien hat eine ganze Reihe von neuen hervorragenden Konzertsälen, Tokyo hat gerade seinen 105. Konzertsaal eröffnet und ein neues Opernhaus gebaut, Stockholm hat neben einem herrlichen Konserthaus, wo sich schon Fritz Busch hingezogen fühlte, die Berwald-Halle gebaut. Kleine Städte wie Luzern mit 57.500 Einwohnern (!) haben einen großen, guten Konzertsaal gebaut (nicht den Besten, da der hervorragende Akustiker sein Konzept nicht gegen den Architekten durchsetzen konnte) und holen damit die ganze musikalische und musikliebende Welt nach Luzern. Kopenhagen hat gerade nach einem neuen Opernhaus einen ungewöhnlichen Konzertsaal mit hervorragender Architektur und Akustik erbaut. Los Angeles hat einen der wohl besten Konzertsäle der Welt eröffnet. Der Architekt Frank Gehry hat dies gemeinsam mit dem besten Akustiker der Welt, Yasuhisa Toyota, geschaffen. Die von ihm akustisch vorbereiteten Konzertsäle in Sapporo oder eben der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles sind die Spitzenklasse der neuen Konzertsäle. Hamburg baut aus gutem Grund ebenso mit diesem Akustiker. Helsinki (ebensoviel Einwohner wie Dresden) bekommt von ihm auch einen neuen Konzertsaal. Selbst Bamberg hat seinen Konzertsaal – nachträglich, was wieder viel mehr Geld kostet – herrlich optimieren lassen.

Frank Gehry hat in Los Angeles zu dieser Akustik eine Gebäude-Skulptur entworfen, welche Dresden – gegenüber dem einmaligen Dresden-Panorama – mit einem ebenbürtigen architektonisches Kunstwerk anstehen würde. Der ursprüngliche Plan Gehrys, der durch die Forderung des Hauptsponsors verworfen wurde, die Skulptur in Sandstein zu bauen, wäre für Dresden das städtebaulich ideale Material und die selbstverständlichste Lösung. Dazu käme die herrliche Idee, eine umlaufende grüne Panorama-Terrasse für die Dresden-Bewunderer zu integrieren von der man je nach Standort den Zwinger oder das Altstadtpanorama bewundern könnte. Die Terrasse könnte auch noch eine Konzertmuschel beherbergen, wo Amateure vom Kinderchor bis zum Laienorchester sich täglich produzieren können. Dies wäre auch unabhängig von den Konzerten in den beiden Sälen (Kammermusik und Sinfonik) der Anziehungspunkt für Dresden, der schließlich auch den nötigen Zuwachs an Publikum von außerhalb Dresdens befördern würde. Warum holen wir nicht die etwas verkleinerte Disney-Hall mit dem ursprünglichen, zu Dresden passenden Baukonzept hierher? Es würde die Kosten ganz sicher optimieren, ohne dass es gesichtslose Wiederholung eines Gebäudes aus anderer Umgebung wäre.

Beide Dresdner Spitzenorchester habe ich jahrelang, die Staatskapelle auch vor und nach dem Wiederaufbau der Semperoper dirigiert und mit der Philharmonie habe ich auf zahlreichen Tourneen erlebt, wie sich Akustik auf die Klangqualität des Orchesters sprunghaft auswirkt. Ich habe in fast allen bedeutenden Konzertsälen der Welt gearbeitet von Petersburg bis Wien, von Tokyo bis Montreal, von Prag bis Amsterdam. Ich kenne schätzungsweise 300-400 Konzertsäle in der Welt. Davon allein in 12 Tokyo. Ich wurde aufgefordert, an der internationalen akustischen Evaluation der führenden Konzertsäle der Welt mitzuarbeiten, was ich gern getan habe. Dresden kam dabei nicht vor.

Glücklicherweise ist dank sei Frau Staatsminister Dr. Stange noch in meiner Amtszeit die Umkehr beschlossen worden, dass das Land Sachsen die Negativspirale der von einander abhängigen Subventionen für die Dresdner Musikfestspiele durchbrach. Dies im Gegensatz zur Stadt Dresden, welche die Schließung schon beschlossen hatte. Auf der anderen Seite beschließt die Stadtregierung nicht nur einen schlechten Kompromiss für das Kongresszentrum, das eben einen Kulturpalast nicht ersetzen kann. Deswegen und auch aus Gründen der Ökonomie ist der Umbau des Kulturpalastes keine Lösung. Die Staatskapelle würde diesen Saal auch nicht nutzen und die relativ kleine Semperoper ist eines der akustisch besten Opernhäuser in seiner Größenordnung, aber für Konzerte mit großem Orchester ist sie weder gebaut noch dafür wirklich geeignet. Aus internationalen Erfahrungen kann man sagen: Dort, wo in gute akustische Konzertsäle investiert wurde, haben sich die besten Konzert-Orchester der Welt entwickelt.

Ich erinnere nur an das Concertgebouw, wo ich selbst über 600 Konzerte bisher dirigiert habe, oder die Wiener Philharmoniker mit dem Musikvereins-Saal oder Boston oder Los Angeles, wo mit dem neuen Konzertsaal das ohnehin hervorragende Orchester einen enormen Aufschwung genommen hat. Spitzenmusiker sind für schlechte Kompromisse nicht zu haben. Ein guter bildender Künstler sucht sich auch die besten Materialien. Dresden kann aber weder wirklich einen Kammermusik noch Konzertsaal für Sinfonieorchester anbieten. Wenn ich das im Ausland erzähle, glaubt es mir keiner.

Die Wiener Philharmoniker mit Werken von Strawinski in der Frauenkirche – in einer für diese Musik vollständig ungeeigneten Akustik – sind für die Musikstadt Dresden bestenfalls ein Event, aber kein Musikerlebnis. George Bähr wusste genau für welche geistliche Musik seine Kirche akustisch geeignet sein musste. An Strawinski konnte er noch nicht denken. Das ist die Aufgabe der heutigen Zeit: einen Saal zu bauen, der zukunftsgerichtete Musikentwicklung befördert.

Die sowohl architektonisch und städtebauliche wie auch praktisch misslungene Neugestaltung des Postplatzes ist zur internationalen Lachnummer verkommen, das Kongresszentrum ist – wie gesagt – ein unzureichender, typisch Dresdner Kompromiss, die versuchte Abschaffung der Musikfestspiele ein Schlag gegen die Musikstadt Dresden und mit seiner Reduktion auf weniger als ein Drittel der Besucher in diesem Jahr geht auch ein drastischer Rückgang der Touristen einher. (Nur die Auslastungs-Prozentzahlen werden steigen und alle werden jubeln, obwohl dies effektiv einen enormen Einbruch bei den Besuchern darstellt.)

Unsere Stadtväter haben die falsche Frage für den Brücken-Volksentscheid gestellt, was uns nicht nur eine überteuerte Brücke beschert, sondern Folgekosten die sonst alle anderen Brücken der Stadt zusammen kosten, die bei der Kultur fehlen werden. Wir haben auch das Loch am Wiener Platz, welches mit Millionen zugestopft wird, weil niemand zur richtigen Zeit die richtige Entscheidung getroffen hat, wir haben mit dem neuen Baumgesetz den ohnehin schon weit fortgeschrittenen Kahlschlag der Natur beschließen lassen. Dieses Gesetz ist eine in heutiger Zeit unglaubliche Negativbewegung gegen den Umweltschutz und den CO2-Ausstoß. Wir müssen zusehen, wie in Zukunft Schnellboote die Elbufer und Ruderer gefährden werden, weil einige Politiker die Zeichen der Zeit nicht sehen, dass Dresdens Stadtlandschaft immer mehr seine Anziehung aus der Entschleunigung ziehen wird und die wird immer mehr gefragt sein. All dem folgte und folgt logischerweise ein drastischer Rückgang der Touristen, dem eine weitere Fehlentscheidung gegenübersteht: Der vollständig unverhältnismäßiger Neubau von Hotels. Insgesamt ist in all diesen Projekten Geld einfach weggeworfen worden. Niemand soll behaupten, es gäbe keines.

Kultur erwirtschaftet mehr Volksvermögen als die Autoindustrie. Aber die Autoindustrie wird in der Krise gefördert, die Kultur weiter abgebaut.

Fußball hat weit weniger Besucher in Deutschland als Konzerte und Theater. Der Neubau des Dresdner Stadions, der fast ein Drittel eines Konzertsaales kostet, ist deshalb mit der Vorrangstellung, dem man diesem Projekt gegeben hat, schwer nachzuvollziehen. Dazu kommt vor allem aber, dass dieses Stadion keine Spitzen-Mannschaft hat. Für den Konzertsaal aber haben wir zwei Weltklasse-Mannschaften, die nicht irgendwie der 2. Liga erfolglos hinterherlaufen. Sie spielen auf den vordersten Rängen der Welt und können mit einem gelungenen Konzertsaal diese Position ausbauen, da dies sich, wie gesagt, auf die Qualität des Orchesters sehr schnell auswirken wird.

Es gibt ein überlegenswertes Finanzierungskonzept. Dazu möchte ich zusätzlich das Amsterdamer Modell zur Sanierung des Concertgebouw vorschlagen, welches helfen kann, dass die Stadt keine Neuverschuldung eingehen muss: Neben öffentlichen Mitteln wurde für einige Jahre auf jede Eintrittskarte eine Obolus von 50 Cent erhoben. Die Musikliebhaber haben dafür einen Konzertsaal, dessen Pfähle im Wasser nicht nur bei vollem Spielbetrieb erneuert wurden, sondern einen mit viel Stilempfinden rekonstruierten und erneuerten Saal bekommen, der noch viel schöner ist, als der ursprüngliche Bau ohne dass dieser akustisch angetastet wurde. Dieses Konzept würde in Dresden bei allen staatlich subventionierten Konzerten im Jahr mindestens eine halbe Million Euro bedeuten.

Es gibt bereits eine grundsätzliche Machbarkeitsstufe, die kostenfrei erstellt wurde, zu der zur weiteren Ausarbeitung natürlich vor allem die beiden Orchester mit ihren Chefdirigenten herangezogen werden müssen. Die Kosten müssen genau berechnet werden. Und es gibt mindestens zwei repräsentative Standorte: Narrenhäusl und Postplatz. Wenn wir dann noch ein effektives und funktionierendes Touristikbüro hätten, welches zwischen Stadt und Land koordiniert wäre, gibt es nur noch eine Antwort: Alles spricht für den neuen Konzertsaal und den Erhalt des Kulturpalastes in seiner ursprünglichen Form, der ebenfalls dringend in Dresden benötigt wird. Dresden kann sich nichts Billiges leisten. Das wird zu teuer!

Ich danke Ihnen.

Prof. Hartmut Haenchen