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Der Mann, der Sherlock Holmes wiederbelebt: Der Musical-Komponist Marc Schubring im Gespräch

“Reich mir die Hand, mein Leben”: Frank Ernst und Marcus Günzel in den Hauptrollen des neuen Musicals (Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert)

Komponist Marc Schubring und Autor Wolfgang Adenberg sind in Dresden keine Unbekannten mehr: mit „Emil und

die Detektive“ konnten sie an der Staatsoperette 2001 einen echten Erfolg landen. Mit der Uraufführung von „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ holen sie nun die Geschichte des bekannten Ufa-Films von Hans Albers und Heinz Rühmann auf die Musical-Bühne. Musikalisch lässt Komponist Marc Schubring dabei die Welt der dreißiger Jahre und der deutschen Tonfilmrevuen wieder auferstehen. Für “Musik in Dresden” hat Martin Morgenstern mit ihm gesprochen.

„Der Mann, der Sherlock Holmes war“ – das ist der Titel eines Films, den der österreichische Regisseur Karl Hartl ein paar Jahre nach „Berge in Flammen“ drehte. Wie kamen Sie auf den Stoff?

Als uns der Intendant der Staatsoperette, Wolfgang Schaller, beauftragte, eine Uraufführung für sein Haus zu schreiben, es also darum ging, eine Art Nachfolger für unser Musical “Emil und die Detektive” zu suchen, dachte ich mir: Was liegt mir, was meinem Texter Wolfgang Adenberg? Relativ schnell war klar, dass der Film, die Story von “Der Mann, der Sherlock Holmes war”, eine gute Vorlage wäre.

Der UFA-Film kam 1937 in die Kinos; den Song “Jawoll, meine Herrn” kennt man bis heute…

Ich sag es Ihnen ungern: “Jawoll, meine Herrn”, das einzige Lied im Film überhaupt, wird nicht in unserem Musical auftauchen. Um die musikalische Stileinheit zu garantieren, haben wir ein neues, hoffentlich ebenso mitreißendes Duett geschrieben.

Die Reichsfilmkammer stufte den Streifen damals als “besonders wertvoll” ein.

Nun ja. Das hätte wahrscheinlich jede Regierung zu dieser Zeit gemacht. Aber man stelle sich mal vor: Die Nazis waren schon vier Jahre an der Macht, dieser Film wird gedreht, und die Protagonisten sind Engländer! Und dazu spielt die Handlung in England und Belgien. Ich bin der Meinung, dieser Film hätte überall auf der Welt gemacht werden können. Im Umfeld von allen Albers/Rühmann-Filmen ist er damit eine Ausnahme. Von Propaganda ist da wenig zu spüren.

In “Jawoll, meine Herrn” heißt es: “denn von heut’ an gehört uns die Welt!”.

Ich würde sagen: der Tenor der Zeit, nicht nur in Deutschland. Man sollte da nicht zuviel hineindeuten. Und wie gesagt, diesen Song gibt es bei uns nicht.

Apropos: “Emil” spielt in den Zwanzigern, “Holmes” in den Dreißigern. Liegt es Ihnen, im Idiom der jeweiligen Zeit zu schreiben?

Ja, das ist für mich eine tolle Herausforderung. Ich versuche mich stets zu verkleiden. Ich bin ein Schauspieler. Ich sehe mich als Dienstleister, als Eklektizist. Wenn eine Vorlage, die ich als Musical adaptiere, heute spielen würde, würde ich Pop-Rock-Idiome verwenden. Die Klangwelt sollte dem Sujet angepasst werden. Ich ordne mich da unter. Es soll Spaß machen. Gute Unterhaltung – das ist mir wichtig! Um von „Holmes“ zu sprechen, allein die Melodien dieser Zeit bewundere ich heute noch. Solche Ohrwürmer, das ist heute verschwunden. Wir haben uns immer Sachen aus Amerika und England geholt. Es fehlen Werke, die die Tradition der Zwanziger, Dreißiger Jahre aufnehmen. In Amerika gehören Musicals dieser Zeit zum unbedingten Repertoire und werden regelmäßig wiederbelebt. Hierzulande fehlen mehr eigene, große, mitreißende Stücke!

Was bietet denn das Musical, das wir vor siebzig Jahren nicht im Film sehen konnten?

Wir mussten im Musical Situationen erfinden, in denen Musik eine Rolle spielt. Und anhand dessen einen musikdramaturgischen Bogen aufbauen. Deshalb beginnt unser Stück auch anders als im Film. Wir stellen unsere Protagonisten vor und erläutern ihre Motivation. Oftmals sehen sie ihre Situation mit einer rosaroten Brille. Deshalb bleibt bei uns das Publikum immer etwas klüger als die Protagonisten. Übrigens einer der Grundzüge einer Komödie. Die Zuschauer verfolgen die Sache aus einem anderen Blickwinkel. Und dadurch mit mehr Empathie.

Gut – das wäre die Erzählperspektive. Und die Story?

Von der Story her sind wir sehr ähnlich. Unsere beiden arbeitslosen Detektive wollen endlich Geld verdienen, schlüpfen in Holmes-und-Watson-Kostüme, erschleichen sich erste berufliche Aufträge, immer in Angst, entlarvt zu werden, und sind überrascht, dass die Liebe in ihr Leben tritt. Den männlichen Bösewicht aus dem Film haben wir durch seine Gehilfin, Ganymare, ersetzt, wir wollten eine weibliche Antagonistin. Die Schwerpunkte sind etwas anders als im Film, aber das ist dem Genre Musical geschuldet.

Liebe, Verrat, Schein und Sein – das ewige Thema des Musicals?

Ich würde sogar sagen, ein Grundthema des Musiktheaters, oder des Theaters überhaupt. Starke positive Helden, mit all ihren Schattenseiten, verlangen nach ebenbürtigen Gegnern. Die Herausforderung besteht darin, es immer wieder frisch zu erzählen. Ich glaube, unsere Story ist ein Evergreen. Solange es eine gut erzählte Geschichte ist, interessiert es mich.

Und es ficht Sie nicht an, wenn Ihnen vorgeworfen wird, die Rolle eines künstlerischen Dienstleisters zu spielen, Bedürfnisse lediglich passgenau zu bedienen?

Diesen Vorwurf bekomme ich eigentlich nie. Es macht mir wirklich Spaß, die Aufgabe einer passgenauen Musik zu lösen. Trotzdem kann man bei meinen Musicals immer auch das Heute spüren. Das Sich-Einfühlen in eine andere Ära erfordert Recherche und ist nicht so einfach, wie man sich das denken könnte. Da ich aber gerade für die Musik dieser Epoche ein großes Faible habe, fiel mir der Einstieg leichter. Auch erfreue ich mich heute noch an einer Gershwin-Melodie. Ich, der ich 1968 geboren bin. Ich habe da durchaus etwas Missionarisches: ich möchte, dass sich Leute wieder an guten Stücken und guten Melodien ergötzen. In New York habe ich gerade das Musical “Mary Poppins” gesehen. Die Leute gingen mit roten Wangen ‘raus und pfiffen die Melodien. Spaß, Leichtigkeit – das ist es!

…und es fliegt Ihnen offenbar zu.

Es gibt Leute, die geboren sind, Operetten und Musicals zu schreiben. Und es gibt Leute, die geboren sind, ihrer subjektiven Klangwelt in zeitgenössischen Formen Ausdruck zu verleihen. Alles soll sein! Der liebe Gott hat mir gesagt: schreib du mal Musicals. Warum soll Musik immer nach vorne gehen? So nimmt sie das Publikum nicht mit.

Da will ich Sie doch ein bisschen rhetorisch ärgern. Erkenntnisgewinn – ist das nicht vor allem anderen anstrebenswert? Man soll, man muss doch das Publikum immer auch ein wenig überfordern, damit es mit mehr aus dem Saal hinausgeht, als es hereingekommen ist. Ansonsten hätte es doch auch vor dem Fernseher sitzen bleiben können.

Auch ein Musical kann zur Erkenntnis beitragen, aber vielleicht mehr auf emotionaler Ebene als auf musikwissenschaftlicher oder dramatisch verstörender. Sehen Sie sich doch mal “West Side Story” an. Hier schreibt Bernstein intelligenteste Musik, ohne zu vergessen, das Publikum mitzunehmen, er berührt uns und bringt uns wenig später wieder zum Lachen. Und das universelle Thema der Versöhnung ist ein sehr erkenntnisreiches, nicht? Dasselbe könnte ich über „Fiddler On The Roof“ oder „Cabaret“ sagen. Zudem passiert im Theater alles live auf der Bühne, bei Holmes sogar mit einem 50-Mann-Orchester, der Zuschauer ist Teil der Aufführung. Das alles ist mit einem ordinären Fernsehabend nicht zu vergleichen.

Wie hat es Sie persönlich erwischt? Wer hat sie auf den Musical-Pfad geführt?

Meine Kindervorbilder waren Schumann und Rimski-Korsakov. Dann stieß ich irgendwann auf Kurt Weill. Das war meine absolute Offenbarung. Selbst in seinen europäischen Sachen ist er stilistisch sehr unterschiedlich. Das hat mich sehr beeindruckt. Durch seine amerikanischen Sachen bin ich zum Musical gekommen.

Und? Quo vadis, Musical?

Das Musical ist wieder kommerzieller geworden. Wir brauchen eben Publikum! Es gibt nicht mehr so klare Richtungen. Mancher schreibt New Yorker HipHop, manche bedienen sich bei Pop-Idiomen; Mel Brooks ist da mit seinen extrem humorvollen Broadwayshows, andere schreiben jazziger oder experimenteller; die Bandbreite ist extrem groß geworden. Variation ist das Thema. Man kann eben nicht unbedingt mehr Neues erfinden, außer: sich selbst. Was zählt, ist die Mischung.

23./24. Januar 2009
URAUFFÜHRUNG: DER MANN, DER SHERLOCK HOLMES WAR
Musical von Marc Schubring (Musik) und Wolfgang Adenberg (Buch und Liedtexte)
Nach dem gleichnamigen Film mit Hans Albers und Heinz Rühmann