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Höchstes Glück im Opiumrausch – Das Semperoper-Ballett tanzt „La Bayadère“

“Eine Compagnie beweist ihr Können…” (Fotos: C. Radu)

Zunächst einmal Hut ab vor den 24 Tänzerinnen, die dem untreuen Krieger Solor als Widerspiegelung der intrigant getöteten Tempeltänzerin Nikija im Opiumdunst erscheinen. Mit dieser Choreografie, bei der die

Tänzerinnen in einem weißen Bild bei gleichen Bewegungen auf einer Rampe serpentinenartig in höchster Konzentration traumwandlerisch in den Raum hinunter schweben, als kämen sie aus dem Nichts, beweist eine Compagnie ihr Können – oder auch nicht. Die Dresdner Tänzerinnen taten es.

Ihre Art dieses Traumtanzes von Altmeister Marius Petipa, seit der Uraufführung 1877 in St. Petersburg ein Juwel der Ballettgeschichte, ist ein Traum. Wie im Gedicht Worte, Silben und einzelne Laute zum Klang aus Assoziationen werden, so werden in diesem Tanzgedicht die Bewegungen in ihren Überlagerungen und Vervielfachungen zu einem Bild, das die Wahrnehmung verschwimmen lässt. Es ist ein Einbruch des Traumes in die Realität, die Außerkraftsetzung des Gewohnten, die Essenz des Tanzes in den Momenten der Ahnungen möglicher Grenzüberschreitungen. Es gibt wohl nur wenige Ballettcompagnien, die sich zutrauen dürfen, diese Dreiecksgeschichte um den edlen Krieger Solor, seine Verlobte Hamsatti und die Tempeltänzerin Nikija zu inszenieren. Dresden wagt es. Und Dresden gewinnt.

“Verbeugung vor dem gesamten Ensemble”

Das Staatsballett Berlin hat eine Fassung der “Tempeltänzerin” im Repertoire, ebenso München und Hamburg. In Paris wird Nurejews Londoner Inszenierung gehütet und gepflegt. In Dresden stellt Aaron S. Watkin nun eine zweiaktige Fassung vor. Sie spielt in den Farben einer indischen Nachthimmelfantasie unter Palmen im exotischen Zauber der klassischen Gassenbühne. Watkin strafft die Handlung, nimmt aber fast alle Motive der inzwischen nicht mehr üblichen fünfaktigen Fassung auf und schafft es, das Traumbild im Schattenreich, mit dem Nurejew seine Version enden ließ, als wesentliche Sequenz in den Handlungsverlauf einzufügen. So wird die Tradition jener weißen Wesen eingebunden, deren Erscheinung nicht für jeden wahrnehmbar ist: indem er in der Hochzeitszeremonie – als Zitat der 45 Jahre älteren Pariser „Sylphidentradition“ Filippo Taglionis – die Bayadère als weißes Wesen durch Raum und Zeit schweben lässt.

Natalia Sologub, Jirí Bubenícek

Damit führt er den Krieger in den tödlichen Konflikt, denn in dem Moment, da er erkennt, dass mindestens zwei bis drei Wesen in seiner Brust wohnen, wanken Grundfesten bis dahin streng gehüteter Ordnungen. Und weil in diesem Tanz der schönen Menschen letztlich doch weit mehr zusammenbricht als das Leben der drei Protagonisten, stürzt am Ende folgerichtig auch der Tempel als Ort der ewigen Ordnungen ein, was als Theatereffekt in Dresden übrigens etwas dürftig vonstatten geht. Ansonsten hat Arne Walter Bühnenbilder geschaffen, in denen das Auge spazieren gehen kann. Sie machen zudem rasche Wechsel möglich; ihre Prospekte sind in Bert Dalhuysens Licht von großer Wirkung. Die farbintensiven Kostüme von Erik Västhed fügen sich geschmackvoll ein.

Bis zum Ende der Saison sind für die Hauptpartien mindestens drei unterschiedliche Besetzungen angekündigt, was zu mehrfachem Besuch reizt. Zur Premiere macht Jirí Bubeícek als Solor dem Namen seiner Partie alle Ehre. Er steigert seinen sensiblen Tanz im Verlauf des Abends zu verblüffenden drehenden Sprungkombinationen. Eine leichte Melancholie ist diesem Tänzer eigen, was dem Zwiespalt seiner Situation sehr zugute kommt. Dass er so seltsam unberührt zwischen den beiden Frauen steht, mag den Betrachter zunächst verwundern. Mehr und mehr wird jedoch dadurch die Ausweglosigkeit seiner Situation deutlich. Natalia Sologub verfügt über ein Repertoire edler Haltungen, an Brillanz mangelt es nicht. Besonders bewegen ihr klagender Tanz auf der Verlobungsfeier und ihr Auftritt im Schattenreich. Britt Juleen als Hamsatti (s. Foto) bringt ob ihrer hohen schlanken Erscheinung einen ungewöhnlich faszinierenden Hauch der Zerbrechlichkeit für diese oftmals zu einseitig interpretierte Rolle ins Spiel. Da ist mehr als Rivalität zu spüren; das ist auch Verlustangst, Einsamkeit und des Gespür für die Gnadenlosigkeit des Überlebens. Die Zuspitzung der Konflikte insgesamt kann noch Schärfungen und Raffinessen erfahren. Dann wird auch klarer erkennbar sein, warum Watkin auf allzu große Aufmärsche und Paraden verzichtet.

“Juwel der Ballettgeschichte”

Bleibt nach der anfänglichen Ehrerbietung für die Damen des Corps de ballet die abschließende Verbeugung vor dem gesamten Ensemble und vor den Damen und Herren der Staatskapelle, die unter der Leitung von David Coleman mit Kai Vogler und Peter Bruns als Solisten Maßstäbe setzen. Klangschön, elegant und vor allem exakt in der Einordung zum Gesamtgeschehen aus Musik und Bewegung veredeln sie manch schlichte Melodie der Partitur von Ludwig Minkus in ihrer dem Tanz dienenden Funktion.

Boris Michael Gruhl

Nächste Aufführungen: 4., 8., 11., 14., 15., 18. Dezember 2008, 5., 9., Juli 2009