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Und es bleibt das „Warum?“ – Ein Theresienstädter Konzertabend in der kleinen szene

„Warum du schwarze Antwort des Hasses auf dein Dasein Israel?“ – so die Zeile eines Gedichtes aus dem Zyklus „Warum“ von Johannes Wulff-Woesten nach sieben Gedichten von Nelly Sachs. Klage, Frage und Aufbegehren in der eindringlichen

musikalischen Gestaltung dieser Komposition von 1987, ursprünglich für Sopran und Kammerorchester, geben das Thema und bestimmen den Rahmen des so außergewöhnlichen wie gelungenen und höchst empfehlenswerten Projektes der Sächsischen Staatsoper.

Man meint seinen Ohren nicht zu trauen, wenn nach diesem Liedvortag, im schroffen musikalischen Bruch, alle Mitwirkenden des Konzertes sich vereinen zu einer folkloristisch-fröhlichen Chorszene aus Bedrich Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“, der wiederum zwei Lieder von Ilse Weber folgen; intim sensibel, in chansonhaft unterhaltender Melancholie „Ich wandre durch Theresienstadt“, „Und der Regen rinnt“. Man beachte die Dramaturgie der Auswahl. Der Frage des Eingangs folgt die subversive Botschaft im Gewand einer Opernszene, deren Text „Warum sollten wir nicht froh sein“ von ganz anderer Bedeutung ist, wenn er hinter den Ghettomauern von Theresienstadt zur Freizeitgestaltung von Menschen dargeboten wird, auf die in den allermeisten Fällen der Abtransport in die Vernichtung nach Auschwitz wartet. Ähnlich verhält es sich mit der staunenden Chorszene aus Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ oder noch eindringlicher beim Finale des zweiten Aktes der Oper „Carmen“ , wenn in euphorischen Passagen von Vaterland, seligem Entzücken und vor allem der Freiheit gesungen wird.

Der Theresienstädter Konzertabend ist kein Konzert im eigentlichen Sinne. Es handelt sich um ein Projekt, bei dem in angemessener Einfachheit Einblicke vermittelt werden in das Musikleben unter ungewöhnlichen Bedingungen. In eine zunächst beargwöhnte, dann geduldete und letztlich in perfider und menschenverachteter Weise „geförderte“ Weise der Freizeitgestaltung für Menschen, deren Zeit nach den Plänen derer, die sie verwalteten, längst abgelaufen war. Hinzu kommt der an Grausamkeit nicht zu fassende Aspekt, die Notsituationen und deren visionäre Überwindung mit den Mitteln der Musik, zu propagandistischen Zwecken zu missbrauchen, was in dem berüchtigten Film „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ zum Ausdruck kommt.

In Theresienstadt entstanden Kompositionen, darunter Werke, die inzwischen bekannt wurden, von Victor Ullmann, Hans Krása oder Gideon Klein. Manche harren noch der Entdeckung durch Aufführungen, wie etwa der hier zu hörende Liederzyklus nach chinesischen Gedichten von Pavel Haas, die sanften Chansons im Stile der zwanziger und dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts von Adolf Strauss, „Ich weiß bestimmt, ich werd dich wieder sehn!“ oder Karel Sveneks Slow-Fox „Unterm Regenschirm“. Bitterste Ironie durchklingt den sogenannten Theresienstädter Marsch „Alles geht!“ von Svenek. „Wenn man will, dann gelingt´s…Humor ist noch im Herzen….lachen auf den Ghettotrümmern.“

Von ganz anderer Art ästhetischer Subversion hingegen die 7. Klaviersonate von Ullmann, in deren 5. Satz, Variationen über ein hebräisches Volkslied, der Komponist das BACH-Thema einführt und das Werk in einer aufstrebenden Fuge enden lässt.
Johannes Wulff-Woesten, musikalischer Leiter am Klavier, kann sich auf die unterschiedlichen Stile der Stücke dieses breit gefächerten musikalischen Programms einstellen. Solistisch oder als Begleiter trifft er beredt Situation und Anliegen der jeweiligen größer angelegten Werke, oder ihren miniaturhaften Charakter bzw. die musikantische Lust bei Smetana oder Bizet. Das gilt ebenso für die Solisten des Abends Julia Borchert, Julia Brückner, Heike Liebmann, Fumiko Hatayama, Tobias Schrader und Friedrich Darge.

Die Musikwissenschaftlerin Agata Schindler ist Spezialistin für die Themenbereiche der verfemten Musik und ihrer Schöpfer. Sie ist Autorin des Buches „Dresdner Liste. Musikstadt Dresden und nationalsozialistische Judenverfolgung 1933-1945“. Ihre Ausstellung „Aktenzeichen unerwünscht“, über die Schicksale Dresdner Musiker jüdischer Herkunft, ist im Rahmen des Projektes in der kleinen szene zu sehen. Agatha Schindler trägt wesentlich zum Gelingen des Abends und seines Anliegens bei durch die Darbietung eines sachkundigen Essays zur musikalischen Situation in Theresienstadt, zu den Biografien der Künstler sowie durch knappe, angemessene Erläuterungen zu den Werken und ihren Zuordnungen im Rahmen der Theresienstädter Konzertabende.

Boris Michael Gruhl

Fotos (2): A. Schindler

Weitere Termine: 20. und 23. November.