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„Bitte jeder nur einen Penis!“ – Die 22. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik wurden mit einer Uraufführung eröffnet

Bauwien van der Meer, die Bärin mit den blauen Augen (Foto: M. Creutziger)

Mit der Uraufführung der Kammeroper “Colourful Penis” sind am Dienstag die Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik eröffnet worden. Mit befreiendem Gelächter

wurden die Darsteller am Ende gefeiert – sie leisteten Über-Ich-liches!

Die Handlung, kurz erzählt: ein Soldat (Romain Bischoff) trifft in einer Innenschau in fantasievollen Welten (“Welt der Penis-Baum-Wesen”) auf verrückte Stereotypen, die Dalí’schen Bildwelten entsprungen zu sein scheinen: eine dicke Nonne (Elsbeth Gerritsen, Mezzo), skurrile Kleinstwesen und Pflanzen. Sie alle bestärken ihn, die Bärin mit Schmollmund und blauen Augen (berückend: Bauwien van der Meer, Sopran) nicht zu töten, sondern ihr seine Liebe zu gestehen. Die Kamille (Camille Hesketh, Sopran) darf dem Paar noch schnell die Moral hinterherwerfen: “Die Liebe ist das Potential der Zukunft!”

Wann kommt zeitgenössische Oper – zumal bei diesem Sujet – schon mal so leichtherzig daher? Hier werden dem Publikum, das sich auf der vernebelten Bühne einen Platz zwischen den Musikern (KlangArt Berlin) sucht, unheilige Erkenntniswelten in einem opulenten Bilderbuch aufgeblättert. Die minimalistische Musik der Maria de Alvear (sie hat die nicht einmal einstündige “Opernereignisstudie” ihrem Lehrer Mauricio Kagel gewidmet) strukturiert das Geschehen streng rhythmisch; die Harmonien bleiben grinsekatzenkarg. Die seelische Heilung des traumatisierten Söldners, wie sie die Szenerie von Jan Kattein gut verbildlicht, ist musikalisch, von sakramentalen Triangelklängen abgesehen, nur unterschwellig auszumachen.

Die Akteure dieses Sinnspiels wollen “nur spielen”, sie schnappen sich die von Miriam Grimm entworfenen Kostüme von einer Kleiderstange und werfen sich in immer neuen Rollen ins Geschehen. Personalisierte Ahnungen und Wünsche, die zu Anfang durch die Reihen der Zuschauer huschten, leise seufzten und hin und wieder erschrocken aufjuchzten, weichen deutlicheren Anspielungen. Trotzdem geht der Blick des achso schröcklich betitelten Sinnspiels mehr und mehr nach innen. Vielleicht ganz gut, dass die Sprachbarriere den größten Teil des Textes unverständlich lässt? Die Zuschauer flanierten indes mit vom Team ausgeteilten Scheren lustwillig im Hellerauer Peniswald und genossen das sinnenfrohe Spektakel.

Anders Winter

Der Artikel ist am 2. Oktober in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier noch einmal abzudrucken.

Nächste Aufführung: Donnerstag, 20 Uhr, Festspielhaus Hellerau, Großer Saal