Scroll Top

Das 11. Opernfestival in Riga beginnt biblisch und besinnlich

Ein Dresdner in Riga: Für »Musik in Dresden« berichtet Boris Michael Gruhl in den nächsten Tagen vom 11. Rigaer Opernfestival… Viel Vergnügen beim Lesen!

Foto: ena | photocase.de

Ein Jahr nach dem zehnjährigen Jubiläum

beginnt das Festival in diesem Jahr mit einem Nachklang.
Zum Jubiläum gab es eine Uraufführung. Eine alte Geschichte hatte der lettische Komponist Eriks Esenvalds auf ein Libretto von Inga Abele Karlis Verdins komponiert. In einer übersichtlichen Handlung mit zweimal 13 knappen Szenen plus Schlusschor folgen wir den Stationen des biblischen Joseph und seiner Brüder. Zunächst die des Verrates und des Verkaufs ob der vermeintlichen Bevorzugung durch Stammvater Jacob. Dann führen die Stationen nach Ägypten, erneutes Unglück und Gefangenschaft und die Errettung des Erwählten, weil er Träume und die Zeichen der Zeit deuten kann. Der Erniedrigte wird zum Erhöhten und hat jetzt sogar alle Macht über die Herren Brüder, die ihm einst übel mitgespielt haben. Joseph verzeiht, durchbricht den Teufelskreis und macht Karriere als Romanfigur und jetzt als lettischer Opernheld. Diese Schwermut bekommt ihm gut.

Das Stück hat seinen Platz im Rigaer Repertoire gefunden, zur Festivalaufführung ist der kleine Saal des Opernhauses ausverkauft, das Publikum ist auffallend jung, der Beifall am Ende ziemlich heftig, und es ist unüberhörbar und nicht zu übersehen, dieser Joseph hat nicht nur seine Brüder, sondern auch Fans.

Fotos (2): Gints Malderis

Der Komponist Eriks Esenvalds, geboren 1977, hat auch Theologie studiert; die lettischen Traditionen der Musik, wie man hört, auch. So verortet er geschickt seine szenische Komposition in dieser Mischung und stellt zudem ein ungewöhnliches Instrumentarium aus Holz- und Blechbläsern, Akkordeon, vielen Facetten der Percussion, mit vier „Koklen“ zusammen. Das sind traditionelle lettische Instrumente, vom Aussehen einem Hackbrett vergleichbar, deren Saiten aber gezupft und gestrichen werden. Das holzschnittartige Stück im Stile einer Kirchenoper, tonal und ohne Scheu vor Melodie und schönem Klang, lässt dennoch Brüchigkeit zu. Stark sind die großen Chorpassagen, liturgisch psalmodierend, frei auch in der Improvisation, mit Clustern, Sprechgesängen, gestischer Dramatik und Geräuschen.

Die Rigaer Oper leistet es sich, mit den Damen und Herren des Staatlichen Akademischen Chores ein Ensemble der musikalischen Oberliga Lettlands für das Werk einzusetzen.
Die klingende und die optische Gestaltung gehen gut zusammen. Maris Simaris ist der Dirigent, Gatis Smits hat das Stück inszeniert.

Vor dem ansteigenden Zuschauerpodest haben die Musiker ihre Plätze in der schwarzen Tiefe des Brunnens der Vergangenheit. Links und rechts von diesem garstigen Graben der Geschichte die Sängerinnen und Sänger des Chores, kommentierend in antiker Tradition oder lautmalerisch als Klangteppichweber. Die Minilämpchen an ihren Pulten tauchen alles in die milde Stimmung jenes Abendlichtes, in dem alle Wege Heimwege sind. So lässt der Regisseur seine reduziert agierenden Darsteller auf der votivbildartigen, breitwandigen Guckkastenbühne, jenseits des tiefen dunklen Grabens, recht unbeschadet durch die alte Geschichte kommen.

Sein Joseph ist ein junger Mann, der auch in diesem Jahr – die ganze Uraufführungsbesetzung ist noch beisammen – Outfit und Erscheinung nach, direkt aus dem sommerlich pulsierenden Leben der Stadt auf die Bühne gekommen sein könnte. Janis Apeinis, so wie er vor einem Jahr überzeugte, hat seine unverstellte, authentische Ausstrahlung behalten, die tolle Stimme auch. Der Sängerdarsteller dieses lettischen Joseph bleibt im Maß, der Held bleibt Mensch, kein Denkmal für den Hoffnungsträger.

Aus dem großen Ensemble der Solistinnen und Solisten sticht wie schon vor einem Jahr der Countertenor Sergejs Jegers mächtig hervor. In der zwar knappen aber ausdrucksstarken Partie des Benjamin bringt er einen fremden, unberechenbaren Klang in das Geschehen.

Am Ende ist das Spiel dann doch nicht ganz so unpolitisch, wenn Stammvater Jacob alle wieder am Tisch hat. Vergessen ist nichts. Aber Brüder gehören an einen Tisch, gleich wessen Brot sie gegessen und wessen Lieder sie gesungen haben. Jetzt geht es weiter, mit so einem nämlich wie Joseph, der ist wie ein Baum, der wächst, der trägt Früchte. „Joseph is a Fruitful Bough“ oder lettisch „ Jazeps auglu koks ir“.

Der nächste Held des Opernfestivals wartet schon. In wenigen Stunden betritt er die „große“ Bühne. In Riga wird ein Ring geschmiedet, und da geht’s heute mit Wagners „Siegfried“ in Sachen Helden sicher ganz anders zur Sache.