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Hausmannskost und Haute cuisine

Foto: Friedrich Brockmann, um 1870
Foto: Friedrich Brockmann, um 1870

Die Aufführungsserie des sechsteiligen Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach eröffnete der Frauenkirchen-Kantor mit einem seiner kompletten Werkdurchmärsche. Ludwig Güttler bindet die trompetenglänzenden Nummern I, III und VI zusammen, und zur Christvesper erklingt unter Grünerts Leitung die festliche Eingangskantate für sich. So werden also über die nächsten Tage viele musikalische Geschmacksrichtungen bedient.
Von der inzwischen internetweit legendären, burschikosen ad-hoc-Aufführung einer Leipziger Studenten-WG bis zum piekfeinen Festkonzert des Bundespräsidenten kann das Werk ja in unzähligen Rezepturen abgeschmeckt werden. Es verträgt die Ziseliertheit quecksilbriger Originalklangensembles wie die gravitätische Schwere großer Knabenchöre immer und überall recht gutmütig. Verwirrend wird es nur, wenn alle diese interpretatorischen Eigenheiten am selben Ort, am selben Abend erklingen! Dass der genial-exaltierte Tenor Markus Brutscher dieses Jahr krankheitsbedingt ausfiel, mag einer der Gründe für die stilistische Unentschiedenheit der Darbietung gewesen sein. Brutscher, der Marathonmann, half schon manches Jahr, den frauenkirchlichen Kantatenreigen eindrücklich zu prägen und musikästhetisch zusammenzuzurren. Diesmal jedoch folgte auf den rasanten Eingangschor „Jauchzet, frohlocket“, in dem Frauenkirchen-Kammerchor und das hauseigene Orchester angriffslustig mit den Hufen scharrten, ein krasser Farbwechsel: der Tenor Thomas Michael Allen legte seinen Vortrag der Weihnachtsgeschichte gefühlsselig an, dämpfte das Tempo ein und ließ gegen Ende des dreistündigen Konzerts Erschöpfungssymptome hören. Die größte Kluft tat sich zwischen den Solistinnen auf: einerseits die helle und kompakte Stimme der Norwegerin Siri Thornhill, die ihre Arien als glänzende Kleinodien präsentierte, andererseits die opernhaft ausschweifende Lesart von Anna Haase von Brincken. Nicht einmal der versierte Bass Klaus Mertens schaffte es zu vermitteln. Vollsaftige Hausmannskost und feinste Haute cuisine? Gern, Herr Grünert, aber doch bitte nicht beides auf einem Teller!

Eine Textfassung des Artikels ist am 8. Dezember in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abzudrucken.