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Wir sollten uns den morbiden Reiz dieses Ortes nicht entgehen lassen!

„Sechs, Sechseinhalb Prozent Rendite – blank“. Blumig preisend, zieht der Investor mit Planrollen rudernd seinen Schweif schutzbehelmter Anlagefreaks durch die Ruine. Darunter die Tante mit einer reichen, blinden Erbin. Die Empfindsame hört Stimmen, anschwellende Musik. Es beginnt der Aufeinanderprall heutiger Welt mit Schatten der Operngeister, die einst auf einer jetzt verfallenen Bühne standen. Die Investorengruppe, die den Musentempel vollends für einen neuen Einkaufstempel – überaus aktuell in Dresden – abreißen will stößt auf eine skurrile Personnage. Obdachlos schräge Vögel, Sören mit seinem Rolli, die Kioskbetreiberin von nebenan, haben sich im bröckelnden Gemäuer eingenistet. Zu ihnen gesellen sich, aus der Grube, aus Löchern der Ruine überall her quellend, die mythischen Geistergestalten von Henry Purcells Semi-Oper King Arthur (London 1691), durch Musik zu neuem Bühnenleben erweckt. Gemeinsam versuchen sie mit Beil und Gesang, König Arthur anachronistisch mit gezogenen Excalibur, „ihren“ Schutz- und Theaterraum gegen die Rendite-Heuschrecken zu verteidigen. Die wiederum wollen „ihr“ Objekt mit Sheriff-Hilfe räumen lassen.

Chor des Ensemble um Magier Merlin (Karl-Michael Weber), König Artus (Frank Weiland), Foto: Peter Bäumler

Die Inszenierung von Joerg Berger setzt auf turbulent burleskes Spiel, wie es schon Marke dieses Theaters ist, die Zuschauer werden einbezogen. Der Ausstatter André Thieme brauchte nicht viel, denn fast die gesamte Ruine ist Bühne selbst. Hinter Foliengehänge von den Seitengalerien herab werden verdeckte Szenenwechsel und überraschende Auftritte bewerkstelligt, wie die des bestens disponierten Chors der Schäfer und Schäferinnen. Mit köstlich schelmischen Spiel verbindet die junge Katja Röder als Zauberlehrling Filidel harlekinisch die Szenen und stellt ihren Meister zur Rede – kein Artus ohne Merlin – welchen hausbewährt Karl-Michael Weber souverän mimt, mit weißem Kaninchen im Zylinder und Putzeimer fürs Haus. Die Romanze zwischen dem zeitenblinden Artus (gestanden männlich Frank Weiland) und der augenblinden zarten Emmeline (Ingrid Schütze hervorragend in Blindmimik und Tastspiel), die ihn an die verlorene Braut aus mythischen Zeiten erinnert, steigert sich in ein herzerfrischendes Erkennungsspiel, das in Erschrecken umschlägt als Emmeline sehend wird. Die Musik hat Mario Solazzo für das Stück eingerichtet und auf Soundtrack gespielt. Die Einstudierung und musikalische Leitung des Chors und der drei Musiker (Klavier, Flöte, Violine und keltische Harfe) hat Yvonne Dominik, die selbst in der Rolle des schönen Sängerknabens auftritt und als Nymphe in der Bühnengrube planscht und singt. Wie überhaupt diese neue Auftrittsmöglichkeit fast übermäßig im Einsatz ist, gab es sie doch früher nicht.

Mit „Purcells Traum von König Artus“ hat Tankred Dorst auf der Kulisse eines maroden Opernhauses ein amüsantes und tiefsinniges Traumspiel über die Opposition zwischen Kunst und Kommerz geschrieben. Zur Parodie über die Verdrängung von Subkultur und Kunst durch Konsumhysterie montiert er in seine Textcollagen Chor- und Musiknummern der Purcell Oper. Das schlichte dramaturgische Konzept – pure Einfalt gegen Geldmacht – kommt zu komödiantischem Klingen. Das späte Werk des Satirikers mit dem resignativen Ende durch eine riesige Abrissbirne, das geschuldet wohl den Lebenserfahrungen Dorsts, hatte seine Uraufführung am Staatstheater Wiesbaden im Jahr 2004. Obwohl als sein kompromisslosestes Stück über ein großes und aktuelles Thema gewürdigt, hatte es kaum nachfolgende Aufführungen. In diesem Jahr im Oktober bringt eine schulübergreifende Projektinitiative eines Bayreuther Gymnasiums Purcells-Traum auf die Bühne. Und eben die Theaterruine St. Pauli e.V. als ihre zweite Neuinszenierung in diesem Jahr.
Der Spielort kann nicht besser gewählt sein als die verfallene Ruine der früheren Sprengelkirche St. Pauli am Königsbrücker Platz im Dresdner Hechtviertel. Die Situation nicht passender, Kampf um einen Ort für Kunst.

Die neuerdings regen- und schallsichere Spielstätte St. Pauli Theaterruine, Foto: Peter Bäumler

Der Theaterverein
Seit 1997 wird die romantische Ruine als Sommerbühne für Theater und Veranstaltungen unter offenem Dach bespielt. Als 2005 ein Teil des Glockenturms einstürzte – tatsächlich kracht in der aktuellen Inszenierung den Investoren Ziegelgestein vor die Füße – schien mit der Sperrung der Ruine das Aus dieser „Theaterinsel der Glückseligkeit“ gekommen. Investitionsgeier mit Abrissbirne im Kopf schwärmten womöglich schon ums Haus. Zudem waren wegen Attacken überempfindlicher Anrainer ob der Störung ihrer Ruhe Auflagen immer strenger geworden – kein Laut nach Außen und Spielende schon 21 Uhr – was für ein Sommertheater absurd ist. Nach Hängepartien mit Interimslösungen bekannte sich Dresdens Stadtrat dann doch zur „Kulturinsel im Hecht“ und gab grünes Licht für die Investition von 2,6 Millionen Euro. Die Ruine bekam damit schallschützende Verglasung, ein transparentes Dach, Infrastruktur, und behindertengerechten Zugang. Für Licht-und Theatertechnik und Stühle für 250 Plätze kommt der Theaterverein selbst auf. Den Architekten gelang, den morbiden Charme der Ruine weitgehend zu bewahren, wie sie auch weiter nicht beheizt und klimatisiert werden kann und Sommerspielstätte von Mai bis Oktober bleiben soll.
Joerg Berger, Theaterleiter und Regisseur der Inszenierungen, kam von der Studentenbühne der Technischen Universität. Seit 1992 inszeniert er als freischaffender Regisseur. 1999 gründete sich der Verein Theaterruine St. Pauli e.V., der heute etwa 100 Mitglieder hat. Damals kam ein zusammen gewürfeltes Laienensemble in die offene Ruine, zugig und damals noch bar jeder Ausstattung. Nur ein Stück mit wenigen Aufführungen wollten sie dort spielen, erinnert sich Berger. Sie blieben. Seitdem sind es 20 Inszenierungen geworden, die sich zunehmend Erfolg erspielt haben, bei einem Publikum, das immer mehr auch von weitem kommt. Mehrfach Auszeichnungen haben sie eingetragen. Darunter den ‚Sächsischen Amateurtheater-Preis 2007’ für die Inszenierung von Goethes ‚Zauberflöte Zweiter Teil’. Der Laudatio Begründung „Für eine Fülle von Einfällen, leidenschaftliche Spielfreude auf sehr hohem Niveau, spektakulären inszenatorischen Zugriff, diesen unbekannten Goethetext in Verbindung mit Mozarts Musik in das Ambiente der Theaterruine zu fügen“. Denn Spielfläche ist oft die ganze Ruine zwischen Bühne in der Apsis, Plateau, Empore, Turm.

Im Winter-Salon, den der Verein sich eingerichtet hat, wird einstudiert, geprobt und mit kleineren Veranstaltungen, Lesungen auch außer Saison der Spiellust gefrönt. Kursangebote, Ausstellungen ergänzen das Kulturangebot im Quartier. Nachwuchprobleme hat die Truppe nicht, es ist nicht mehr schwer, Rollen zu besetzen und idealistische Mitmacher für die Theaterdienste um die Bühne zu gewinnen, mehr als 30 Helfer sind es, von 14 bis 70 Jahre alt. Das Ensemble für alle Spielstücke dieser Saison ist mit etwa 80 Spielern besetzt; für etwa 100 Aufführungen stehen sie auf den Brettern in diesem Jahr. Es sind nicht mehr nur Laien aus vielerlei Berufen, Studenten, angehende Schauspieler, auch Professionelle sind dabei Sänger, Tänzer, Musiker. Sie spielen ohne Entgelt, wenige gegen Aufwandsentschädigung. Lebensunterhalt bietet das Theater lediglich Sieben. Öffentliche Förderung erfuhr der Theater-Verein minimal. Jetzt mit erheblichen Betriebskosten des aufgerüsteten Baus wird eine Basisförderung nötig, um deren Erhalt der Verein ringt. Es sei schon schwierig die Ausstattungs- und Grundkosten, je Inszenierung etwa 15.000€, einzuspielen. Publikumserfolg braucht es dazu – Wetterglück nicht mehr, seit em ein Dach vor Regen schützt. Und Erfolg wird es haben, Tankred Dorsts „Purcells Traum von König Artus“, das dem Ort St. Pauli Ruine so maßgeschneiderte Theaterstück. (Bäu)


„Purcells Traum von König Artus“

7. bis 11., 30. und 31. August, 18. bis 20., 28. bis 30. September 2012, jeweils 19:30 Uhr,
St. Pauli Ruine, Königsbrücker Platz, 01097 Dresden, Tel. 0351/2721444, http://www.theaterruine.de

(www.baeumler-agentur.de)

Foto Teaser: Tante (Petra Höppner), reiche blinde Erbin Emmeline (Ingrid Schütze), Foto: Peter Bäumler