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Ent-scheiden tut weh

Der Premierenreigen – und von vornherein sei hier ausdrücklich kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben – beginnt am heutigen Freitag an der Staatsoperette Dresden. „Kiss me, Kate“ lautet da die sympathische Aufforderung zum … nein, nicht zum Tanz, sondern zum Kommen. Seit fast eineinhalb Jahrzehnten hat es das 1948 am Broadway uraufgeführte Musical von Cole Porter nicht mehr in Leuben gegeben, nun soll es wieder einmal soweit sein. Das nach einer Shakespeare-Vorlage entstandene Erfolgsstück wird diesmal von Holger Hauer inszeniert, die musikalische Leitung hat Peter Christian Feigel. Auf die Freitagspremiere folgt schon tags drauf die zweit Vorstellung. Beide Termine könnten Opernliebhaber in Schwierigkeit bringen, nicht nur wegen der Doppelbesetzung aller Hauptpartien.

Zeitgleich startet am Freitag am Kleinen Haus des Staatsschauspiels nämlich „Die Hochzeit des Figaro“. Gut, wer bei Schauspiel und „Figaro“ an Beaumarchais denkt, hat Recht und liegt in diesem Fall doch sehr daneben. Denn wir reden hier von der Mozart-Oper, und die entstand bekanntlich nach der Textvorlage von Lorenzo da Ponte. Wird in der Glacisstraße aber trotzdem in deutscher Sprache gesungen. Nicht vom Schauspielensemble, sondern von Studentinnen und Studenten der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, deren Opernklasse mit dieser Produktion ihr zwanzigjähriges Bestehen feiert. Hochschulrektor Ekkehard Klemm persönlich wird dirigieren, Andreas Baumann als Prorektor für Künstlerische Praxis inszeniert diese „Tollste Nacht“ mit Studiosi der Musikhochschule und Kommilitonen der Hochschule für Bildende Künste. Zur Alternativen die nächsten Aufführungstermine: 4., 17., 24., 30. Mai sowie 10., 14. und 23. Juni.

Aber wir reden hier ja von Premierengängern. Und die stehen auch am Samstag vor echten Herausforderung: Chemnitz bringt „Die schweigsame Frau“ von Richard Strauss heraus, Dresdens Semperoper braut „L'elisir d'amore“ zusammen, den „Liebestrank“ von Gaetano Donizetti, und die Oper Leipzig besinnt sich endlich einmal wieder des 1930 dort uraufgeführten „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Drei Premieren in den Sachsen-Metropolen, wie sie unterschiedlicher kaum denkar wären. Und wenn wir noch über den freistaatlichen Tellerrand schauen, winkt von Erfurt eine bis dato geradezu unerhörte Oper herüber: „Der Trank der Unsterblichkeit“ wird dort angerührt, eine Uraufführung (!) von E.T.A. Hoffmann.

Gerd Heinz inszeniert in Chemnitz, Frank Beermann dirigiert und mit Franz Hawlata (Sir Morosus), Bernhard Berchtold (Henry Morosus) sowie Julia Bauer (Aminta) sind wichtige Hauptpartien vielversprechend besetzt. Ähnliches ließe sich von Dresden sagen, wo Riccardo Frizza dirigiert und mit Michael Schulz ein auswärts längst bekannter Regisseur die Geschicke in der Hand hält. Derselbe soll Ostern 2013 in Salzburg Wagners „Parsifal“ inszenieren. Sein Dresden-Debüt kommt da wohl gerade (noch) zurecht.

Schulz hat unter anderem auch in Erfurt als Gastregisseur gewirkt, wo er 2010 Manfred Gurlitts „Nana“ inszenierte. Eine Rarität des Musiktheaters, der nun eine veritable Uraufführung folgt. Angesichts des entdeckungsfreudigen Intendanten Guy Montavon wäre dies keine Hervorhebung wert, würde das bislang ungehörte Werk nicht aus der Feder von E.T.A. Hoffmann stammen! Dessen „Trank der Unsterblichkeit“ – er braute ihn 1808 als Bewerbung auf eine Kapellmeisterstelle in Bamberg – schlummerte bislang unangerührt in der Berliner Staatsbibliothek, gut zwei Jahrhunderte dauerte es, bis Uraufführungs-Regisseur Peter P. Pachl diesen Tropfen aufspürte und nun im Thüringischen verkosten lässt. Ob der (trotz seiner „Undine“ oder wegen „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach?) zumeist nur als Schriftsteller bekannte Mozart-Verehrer Hoffmann (das selbstgewählte A. in seiner Namenstrias steht bekanntlich für Amadeus) nun vollends als Komponist rehabilitiert wird?

Das kann nur erfahren, wer nicht an einer der sächsischen Premieren hängenbleibt. Wobei noch zu fragen wäre, ob es in Leipzig denn auch eine geben wird? Schon während der Proben am Meisterwerk „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill und Bertolt Brecht gab es dort mal wieder Theater im Theater. Bei der Leipziger Uraufführung 1930 gab es einen politisch inszenierten Skandal, diesmal dürfte es wieder nur um Befindlichkeiten gegangen sein. Jedenfalls wurde Regisseur Tobias Kratzer während der Proben Anfang April („in gegenseitigem Einvernehmen“, versteht sich) von der Arbeit an „Mahagonny“ suspendiert und seine Vita auch flugs von der Webseite der Leipziger Oper getilgt. Umwehte da etwa noch zu viel Konwitschny-Lob den Nimbus dieses jungen Erfolgsregisseurs? Eingesprungen ist jedenfalls Kerstin Polenske, die in Leipzig bereits mit Gershwins Musical „Crazy for You“ und Weills „One Touch of Venus“ reüssierte und nun für Inszenierung und Choreografie verantwortlich zeichnet. Am Pult des Gewandhausorchesters aber ändert sich nichts: Die Premiere dirigiert Hausherr Ulf Schirmer in Personalunion als Intendant und GMD, schon zur zweiten „Mahagonny“-Vorstellung am 3. Mai liegt die musikalische Leitung in Händen von William Lacey.

Haben Sie nun Appetit auf eine der Premieren bekommen? Entscheiden, wie Sie den Hunger nun stillen, müssen Sie bitte selbst. In diesem Sinne bis nächsten Freitag –

Michael Ernst