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Der doppelte Sommer

Foto: Matthias Creutziger

Am Donnerstag in der Semperoper: Günter Baby Sommer am Schlagzeug. Ein zurückhaltender Begleiter des Schriftstellers Christoph Hein in der Veranstaltungsreihe »Fenster aus Jazz«. Am Freitag im Jazzclub Tonne: Günter Baby Sommer am Schlagzeug. Ein schlagkräftiger Drummer, der den drei Brüdern Simon, Robert und Antonio Lucaciu ungebremst unter die Arme greift.

Leise und laut, laut und leise, still und unheimlich – das ist die Phalanx, in der er sich austobt. Und seine nunmehr 77 Lenze merkt man ihm auch neben den deutlich jüngeren Brudertrio aus Plauen nicht an. Die drei Jungs stellen ihren rumänischen Familienhintergrund nicht heraus, wohl aber ihre Fingerfertigkeit an Klavier und Bass (Simon und Robert) sowie die unermüdlich scheinende Virtuosität am Saxofon (Antonio). Im Zusammenspiel als Quartett fordern sie sich allesamt gegenseitig heraus, ohne dass je einer von ihnen auch nur an die Nähe seiner Grenzen gerät. Temporeich treiben sie sich herausfordernd an, haben scheinbar große Freude an dieser Art Wettstreit, als deren Ergebnis freilich nie ein Temporausch um seiner selbst willen stattfindet, sondern stets ein energisches Fortschreiten, mit dem das abstandsvoll sitzende Publikum einfach nur mitgerissen wird.

Doch es sind auch die eher leiseren Töne, derer man sich nicht erwehren kann oder will. Selbst die Duo-Formationen – Simon und Robert Lucaciu an den Tasten und Saiten sowie Antonio Lucaciu am säuselnden Saxofon und Baby Sommer an seinem Schlagwerk – überzeugen und sind unwiderstehlich.

Wie anders war der Abend zuvor in der Semperoper! Die Reihe »Fenster aus Jazz« gab es erstmals auf der großen Bühne des Hauses und nicht auf Semper Zwei. Günter Baby Sommer kuratiert sie gemeinsam mit Matthias Creutziger, dem vielleicht besten Jazz-Fotografen und profunden Kenner der Materie.
Diesmal hat Sommer einen Konzertabend mit dem Schriftsteller Christoph Hein bestritten, der aus seinem 2018 erschienenen Roman »Verwirrnis« gelesen hat. Dieses literarisch überwältigende Konglomerat aus katholischem Gefrömmel, orthodox gläubigem Sozialismus und bürokratisch rechthaberischer Nach-Wende-Regulierungswut geht auch beim nachträglichen Hören zu Herzen. Gerade die ausgewählten Passagen bestätigen einmal mehr den Chronisten Christoph Hein, in dessen Literatur selbst empörendste Fakten deutscher Geschichte vom Kaiserreich bis ins Heute geradezu nüchtern dargestellt werden. Wertende Urteile sollten sich beim Lesen ergeben.
Sowie natürlich beim Hören. Günter Baby Sommer kontrastierte den Text, kommentierte ihn aber nie eins zu eins, gab dem Wort und dessen Verständnis absolut Vorfahrt und kreierte hier und da Stimmungsbilder, die »Fenster aus Jazz« zu den beschriebenen Szenerien geradezu öffneten.