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Alles in Allem

Quelle: Museum für sächsische Vaterlandskunde, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9503042

Jacob Böhme, geboren 1575, gestorben 1624, lebte in Görlitz. Er war Schuster, aber so wie sein Nürnberger Kollege Hans Sachs blieb auch er nicht bei seinen Leisten. Den Meistersinger von Nürnberg kennt man, nicht zuletzt wegen der Oper von Richard Wagner. Den Mystiker und christlichen Theosophen, Hegel nannte ihn den „ersten deutschen Philosophen“, weniger. Grund genug, an ihn zu erinnern! Nicht zuletzt auch deshalb, weil er, wie die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, in ihrer Rede zur Ausstellungseröffnung betonte, „sich für Toleranz aussprach und für verfolgte Minderheiten einsetzte“. Für den Protestanten Böhme waren auch Nicht-Christen Teil des göttlichen Plans, „Warlich es ist nur ein Gott […]. Es seien Gleich Christen / Iuden Türcken oder Heiden / Oder meinestu das Gott nur der Christen Gott Seye?“, heißt es in seiner Schrift »Aurora oder Morgenröte im Aufgang« von 1612.

Für die Eröffnung der Ausstellung »Alles in Allem« hatten sich die Staatlichen Kunstsammlungen etwas besonderes einfallen lassen. Sie luden die zahlreichen Interessentinnen und Interessenten, die selbstverständlich nicht nur aus Dresden kamen, zu später Abendstunde, bei einbrechender Dunkelheit, an einem milden Sommerabend in den großen Hof des Dresdner Residenzschlosses. Mitglieder des renommierten Barockensembles »La Folia« spielten Musik aus der Zeit Böhmes. (Leider ließ die Tontechnik der ungeübt wirkenden Verstärkung arg zu wünschen übrig.)

So wie schon in der Begrüßung durch Marion Ackermann konnte auch Claudia Brink als Vertreterin des Kuratorenteams auf kommunikative Art historische Informationen mit Zeitbezügen verbinden und somit wahrhaft Lust auf den Besuch der Ausstellung machen, die auch an diesem Abend bis in die späten Nachtstunden zu besichtigen war. Zu sehr späten Stunde dann die Uraufführung einer Choreografie von Joseph Hernandez, der als Tänzer des Dresdner Semperoper Balletts bereits mit anderen Kreationen, mit Kunstaktionen und der Mitwirkung in freien Produktionen darauf aufmerksam gemacht hatte, dass auch er ganz und gar nicht gewillt ist nur bei seinen Leisten zu bleiben. Es könnte sein, dass ihn auch ein Satz von Böhme angeregt hatte zu dieser Arbeit mit dem Titel »Regeneration (7 Inquiries)« zur Eröffnung der Ausstellung: „Denn die Sanftmut wallet gegen den Zorn, und der Zorn gegen die Sanftmut, und sind also zwei unterschiedliche Reiche in dem einigen Leibe dieser Welt.“ Um duale Assoziationen geht es in seiner Choreografie für seine Tänzerkollegen Christian Bauch und Clément Haenen bei dramaturgischer Begleitung durch Gamal Gouda und Francesco Pio Ricci, um Erneuerung und Wiedergeburt.

Foto: Oliver Killig

Dass man philosophische oder theologische Themen nicht in Tanzbilder verwandeln kann, ist klar, davon auch kein Anflug in den sieben knappen Szenen, die ineinander über gehen und dabei nicht an Spannung und Konzentration verlieren. Solistische und dialogische Sequenzen lösen einander ab, mitunter kommt es zu symmetrischen Passagen, die sich aber auch auflösen: die Tänzer entfernen sich voneinander und kommen wieder zusammen, aber in ständig veränderten Konstellationen, bis hin zu körperlichen Ergänzungen, die für Momente zwei Körper zu einer Figur werden lassen können. Aber auch hier ist immer wieder deutlich, Einheit ist nicht Gleichheit, Zusammenklang nicht Gleichklang, das Ganze hat viele Facetten, auch gegensätzliche. Immer wieder gibt es das Ausloten der möglichen Nähe, die gefundene oder auch gesuchte Distanz als Ausgang für erneue Annäherung. Das kann dann auch mal beim Tänzer Christian Bauch zu leicht ironisch lächelndem Verharren führen, bei Clément Haenen zu expressiver Steigerung der Bewegung. Was die persönliche Ausstrahlung, die tänzerische Kraft, die auch in Momente des Stillstanden nicht abbricht angeht, könnten Christian Bauch und Clément Haenen kaum unterschiedlicher sein in ihrer Präsenz.

Wesentliches trägt die Auswahl der Musik bei. Gespielt werden von jungen Dresdner Musikern Passagen aus John Cages »Harmonies from Apartment House 1776«, einem Werk, in dem Cage es vermag, Stille hörbar zu machen, dem Schweigen Klang zu geben. Zum Glück gibt es jetzt eine tontechnisch gelungenere Verstärkung. Fast hat man den Eindruck, diese sei gar nicht nötig, denn die aus Zitaten frühchristlicher Gesänge der Gregorianik sich für Streichinstrumente herleitende Musik des 20. Jahrhunderts von Cage, für den „Struktur ohne Leben“ tot ist, und „Leben ohne Struktur nicht wahrnehmbar“, verbindet sich zum einen wunderbar mit der nächtlichen Weite dieses großen Hofes und findet dann immer wieder zu den Tänzern und eröffnet so den zahlreichen, sehr konzentriert zusehenden Menschen einen großen Raum der Assoziationen. So wie es Cage darauf ankommt uns Mut zu machen, die Stille nicht zu fürchten, sie zu lieben, so ergänzt der Tanz dies mit seinem Angebot, das Fremde, das uns fern und unbekannt erscheint in den zunächst so abstrakt erscheinenden Formen der Bewegung, die sich nicht als Logik einer Handlung, wohl aber als Logik einer Suche nach Erkenntnis, mag sie auch verbalen Umwegen folgen wie bei Jacob Böhme, erkennbar machen, anzunehmen.

Es geht auf Mitternacht zu. Die Musik ist verklungen. Die nächtliche Stille umgibt die jetzt innehaltenden Tänzer. Sie stehen, „an die Stille gelehnt wie an einen Baum“, treffender als Heinz Janisch in seinem Text, „Sei still. Eine Erlösung“, zur Einspielung von John Cages „Melodies & Harmonies“ lässt sich dieser Moment nicht beschreiben. Dann, nach einem Moment der Stille, starker, zustimmender Applaus für diesen ungewöhnlichen Abschluss dieser ungewöhnlichen Eröffnung einer Ausstellung.