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Hochmut kommt vor dem Fall

Foto (Archiv): Ullrich Forkert

Es ist ein lobenswertes Beginnen, einmal des legendären Hofcompositeurs bei Ludwig XIV. Jean-Baptiste Lully mit einer Aufführung zu gedenken. Zuerst mit Balletten, bei denen er zuweilen auch mit dem König zusammen auftrat, begann der zweiunddreißigjährige Italiener aus Florenz 1664 zusammen mit Moliere die damals am Hof übliche »Tragédie en musique« zur eigenständigen französischen Oper zu entwickeln. Mit »Bürger als Edelmann« gelang ihnen 1670 ein erster Höhepunkt. Darauf bauend entstanden viele Opern und 1683 schon nicht mehr mit Moliére auch »Phaeton«, jene „Tragédie“ in Musik, die am Samstag in der Annenkirche zu erleben war. Mit dem Sinfoniechor (dem Extrachor der Semperoper) samt Verstärkung durch Studenten der Musikhochschule, der Batzdorfer Hofkapelle als instrumentalem Hintergrund auf historischen Instrumenten und neun Solisten mit ausgeglichenen Stimmen unter der Leitung von Jörn Hinnerk Andresen (Chordirektor der Sächsischen Staatsoper) entstand eine tief beeindruckende Aufführung. Man konnte einmal einen Einblick nehmen in die französische Oper, die der geborene Italiener Lully aus seiner Heimat mit Eindrücken des venezianischen „Dramma per musica“ und denen des römischen Oratoriums von Carissimi in die französische Entwicklung von Oper einbrachte. Dabei entstand ein ganz eigener Stil. Davon konnte man sich nun ein Bild machen, ein plastisches dazu. Die Erfahrungen des Tänzers und des Ballett-Komponisten prägten die instrumentalen Einlagen (meist tänzerischen Charakters von Menuets über Bourees bis zu zur Chaconne) und die Ritornelle in den Arien.

Die Kenntnis von Cavallis venezianischer Oper (die vom liebenden Herkules entstand im Auftrag 1662 für die Hochzeit von Ludwig XIV) prägte die musikdramatische Durchgestaltung ohne die spätere übliche Trennung von Rezitativ und Arie. Dr handlungsbedingte, aber noch nicht scharf gegliederte Ablauf führte zu rezeptiven Problemen, die ohne szenische Aufführung das Verfolgen der Vorgänge schwierig machte. Mann konnte „im Klang schwimmen“ (das war schon ein Erlebnis!), aber handlungsbedingte Akzentuierungen gab es wenige, wenn auch der Dirigent in der rezitativischen Begleitung durch Wechsel im Generalbass von Orgel und Cembalo Charakterisierungen von Personen erreichte.

Foto (Archiv): René Gaens

Die Handlung der griechischen  Sage, die in Ovids »Metamorphosen« römisch überliefert wurde, ist einfach. Phaeton, von Hochmut als vorgesehener König von Ägypten und als Sohn des Sonnengottes getrieben, will er mit dem Sonnenwagen des Vaters gen Himmel fahren. Was dazu führt, dass die ganze Erde vom Feuer des Wagens erfasst wird, so dass Jupiter (Zeus) eingreifen muss und mit Donnerblitzen den Hochmütigen zu Fall bringt. Das aber geschah erst im 5. Akt. Davor deckt Lully, wie in der Folgezeit der Opera seria üblich, Intrigen und gestörte Liebesbeziehungen auf. Für jemanden, der nicht in das am Eingang der Kirche vorliegende Textbuch Einblick nahm, war das nur allgemein erkennbar, noch dazu die Sänger der Partien weitgehend in oratorischer Verhaltenheit, wenn auch stimmlich hervorragend gestalteten. Nur etwa bei dem Streit zwischen Epaphus mit dem Bariton Ingolf Seidel und Phaeton mit dem leidenschaftlich gestaltenden Tenor von Johannes Weiss wurde es dramatischer. Es geht um die Liebe zur gleichen Frau Libye (mit der Sopranistin Julla von Landsberg), die Phaeton verlässt, um als König in Ägypten sich einheiraten zu können und als Sohn des Sonnengottes (Yosmeh Adjei mit einem hohen Tenor und einer Sonnenmaske) selbst zu einem solchen sich zu erhöhen. Er scheitert, obwohl seine Mutter Clyméne (mit Constanze Backes und einem ausdrucksvoll ins Mezzo tendierendem Sopran) ihn warnt und Vater Le Soleil nur widerstrebend den Sonnenwagen frei gibt.

Neun Solopartien sowie Chor und daraus noch einige Solisten in kleineren Gruppen vervollständigten ein Ensemble, das das Geschehen vorstellte und vor allem mit dem großen Chor lebendige Akzente setzte, so dass am Ende stürmischster Beifall losbrach, um die Aufführung und die Musik von Jean-Baptiste Lully zu feiern. Der Applaus ersetzte die fälligen Pauken und Trompeten der royalen Auftritte Ludwigs des XIV..