Scroll Top

Die Suche nach dem grünen Licht

Amerikanische Oper ist außer Gershwins »Porgy and Bess« kaum bekannt. Mit John Harbisons »The Great Gatsby« wird es nun – nachdem man bisher vor allem das Musical als amerikanisch erlebte – anders. Die Aufführung in der Dresdner Semperoper war ein Ereignis, eins, das tief beeindruckte.

John Chest (Nick Carraway), Maria Bengtsson (Daisy Buchanan), Christina Bock (Jordan Baker), Raymond Very (Tom Buchanan), Komparserie
John Chest (Nick Carraway), Maria Bengtsson (Daisy Buchanan), Christina Bock (Jordan Baker), Raymond Very (Tom Buchanan), Komparserie

Die Musik des amerikanischen Komponisten offenbarte sich als professionell, meisterhaft gearbeitet, zeigte die Vielseitigkeit heutiger Musik, nicht so sehr die eines Schönberg und Folgen, sondern eine die die ganze Palette moderner Klangfarben von Jazz, Blues, Tango und Charleston bis zu sinfonischer Gestaltung aus dem Geiste Puccinis und Richard Strauss’ »Rosenkavalier« einbezieht. Dies Material eignete sich treffend für die Geschichte des Großen Gatsby, der sich vom jungen unbedarften Gatz emporarbeitete zum Lebemann und Millionär Gatsby. Aber seine Liebe zu Daisy, die ihn einst trug, bleibt am Ende unerfüllt. Das grüne Licht, das so Hoffnung versprechend vom „anderen Ufer der Bucht“ herüberleuchtete? Zukunftslos.

Alle Fotos: Daniel Koch
Alle Fotos: Daniel Koch

Der Komponist John Harbison verfasste selbst das Libretto, das sich des berühmten, 1925 erschienenen, eine ganze Generation von Hemingway bis Remarque prägenden Roman »The Great Gatsby« von Francis Scott Fitzgerald annahm, einem Symbolwerk der Lost Generation nach dem Ersten Weltkrieg. 1973 verfilmt und in den 1990er Jahren von Harbison im Auftrag der New Yorker Met als Oper gefasst (Uraufführung 1999), zeigte es auch heute noch immer treffend die gesellschaftlichen Zustände der amerikanischen Mittelschicht, wie sie auch in den Romanen von John Updike geschildert sind.

Der englische Regisseur Keith Warner, der schon mit seinem Bayreuther »Lohengrin« Aufsehen erregte, stellte das Werk nun erstmalig für Europa in Dresden auf die Bühne. Mit seinem im Vorjahr verstorbenen Bühnenbildner Johan Engels schuf er eine szenische Welt, die mit großen Tischen, Stühlen, Sofas die höhere Stellung, die upper class symbolisiert, die untere Klasse mit Stahlgerüsten, einer tristen Tankstelle und qualmender Industrie im Hintergrund. All das wird zur Schaubühne, die die echten oder gespielten Leidenschaften der Menschen offenbart.
Ein Beobachter (Nick Carraway, mit dem Bariton John Cest besetzt) notiert alles, ist Aufzeichner, aber auch Mitspieler jener Ereignisse um Liebe, Ehe, Seitensprünge und äußeren Schein. All das wird von stimmlich durchweg hervorragenden Sängern, die sich hier auch als Darsteller bewähren, vorgeführt.

Semperoper Dresden, The Great Gatsby, Premiere 6. Dezember 2015Gatsby, die legendäre Zentralgestalt, erhält von dem Dänen Peter Lodahl so intensive Realisierung, dass man seine tiefen Gefühle für die Jugendliebe Daisy (Maria Bengsston in bester Form) wahrhaft nachempfinden kann. Sie bleibt unerwidert, da – wie es in der Oper heißt – Vergangenes nicht wiederholbar ist. Daisy bleibt anderweitig gebunden, ihr Ehemann Tom Buchanan (mit dem amerikanischen Tenor Raymond Very ausdrucksstark besetzt) lässt sie nicht los, obwohl er selbst Seitenspringer ist. Daisy besinnt sich auf ihre Pflichten. So entsteht eine nachvollziehbare Geschichte, die von einer stimmig nachzeichnenden Musik überzeugend getragen ist. Affären, die über die Gesellschaftsgrenzen hinausreichen, führen dann zu tödlichem Ende. Die Frau des Tankwarts Wilson ist die Affäre von Tom. Als sie ihn erwartet, stürzt sie auf die Straße und wird vom Auto, in dem Daisy fährt und Gatsby Beifahrer ist, erfasst. Wilson rächt sich an Gatsby, der sich, Daisy schützend, als Fahrer ausgibt; er erschießt ihn. Die Besetzung dieses „niederen Paars“ wird von dem Bariton Lester Lynch und der jungen Sopranistin Angel Blue einprägsam gestaltet.

Das künstlerische Niveau vom Bild bis zur musikalischen Gestaltung durch Wayne Marshall und die Dresdner Staatskapelle ist frappierend, wenn auch zuweilen die Stimmen im Orchesterklang untergehen und man nur am Text über der Szene dem Verlauf folgen konnte. Der Staatsoperchor, in bester Form, unterstreicht die Volks- und Gesellschaftsszenen. Tänzer dazwischen lockern auf und schaffen ein Bild der amerikanischen Gesellschaft, die ja im Zentrum dieser Oper steht und vor allem auch in der faszinierenden Inszenierung Keith Warners sichtbar auflebt. Wenn die Besucher der Premiere noch relativ zurückhaltend applaudierten, werden die weiteren Aufführungen ihr dankbares Publikum finden.

Friedbert Streller

Nächste Vorstellungen: 11., 15., 18. Dezember