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Unser Mann in Los Angeles

"William Forsythe liebt die Spiele des Zufalls, die Perspektive, die ungewohnte Verbindungen und Synapsen ermöglicht, das Banale, das plötzlich graziös erscheint", schrieb ein Kritiker in DIE WELT. »Sider« war im Februar 2014 in Hellerau zu sehen (Foto: D. Mentzos)

Keine Frage, die Tanzwelt verdankt dem Choreografen William Forsythe unendlich viel. Dresden ist zurecht stolz darauf, wenn das Semperoper Ballett gerade mit seinen Choreografien international große Anerkennung erfährt. Gerade in dieser Saison gibt die Kompanie mit Forsythe-Abenden etliche Gastspiele, und in diesen Tagen können auch die Dresdner wieder in der Semperoper sehen, wie stark die Kraft der Choreographien ist, die inzwischen zum internationalen Kanon des Tanzes gehören.

Der Choreograf William Forsythe (Foto: Dominik Mentzos)

Ende dieses Jahres wird der in New York geborene Forsythe 65 Jahre alt. Ausgebildet an der Joffrey Ballet School und an der Jacksonville University in Florida, ist er für kurze Zeit Tänzer beim Joffrey Ballet, bevor er 1973 zu John Cranko ans Stuttgarter Ballett kommt. Hier wird der Choreograf entdeckt, seine Kreationen bald von bedeutenden Kompanien einstudiert. Er beherrscht den neoklassischen Stil und das in einem solchen Maße, dass er ihn weiterentwickeln kann und in die Moderne führt. Von 1984 an leitet er für zwanzig Jahre das Ballett in Frankfurt, wohin ihn der damalige Chefdramaturg der Oper und spätere Intendant der Stuttgarter Oper, Klaus Zehelein, holte. Hier entstehen seine Arbeiten, die ihn endgültig weltberühmt machen, von denen auch etliche vom Semperoper Ballett getanzt werden. Als das Ballett in Frankfurt weggespart wird, gründet Forsythe seine Kompanie. Inzwischen hat sich sein Stil wesentlich verändert, er ist experimenteller, performativer geworden. Verändert haben sich auch die finanziellen Bedingungen: die Forsythe Company ist gefährdet, Frankfurt allein kann sie nicht mehr finanzieren. 

Da traf es sich doch gut, dass in Hellerau das Festspielhaus saniert war, dass man diesen Ort der Tanztraditionen, die von Dresden aus der Moderne den Weg bereiteten, wieder tänzerisch beleben wollte. "Der Tanz geht weiter! Die innovative Partnerschaft der Bundesländer Sachsen und Hessen sowie der Städte Dresden und Frankfurt am Main mit der Forsythe Company trägt auch in der nächsten Spielzeit Früchte. Ein neugieriges und aufgeschlossenes Publikum darf sich auf außergewöhnliche Choreografien im Bockenheimer Depot und im Festspielhaus Hellerau freuen." So begrüßte der damalige Kulturbürgermeister von Dresden, Dr. Lutz Vogel, die Kompanie in der Landeshauptstadt, die fortan gemeinsam mit der Stadt Frankfurt und mit den Ländern Hessen und Sachsen die Finanzierung übernahm und bis heute sichert.

Auch Kritik wurde laut

An Kritikern fehlte es schon damals nicht. Sie konnten sich nicht durchsetzen, auch wenn sie noch so mutig und geschickt versuchen vorzurechnen, was dieser Deal die Stadt Dresden kostet. Aber Kosten sollten keine Rolle spielen; es ging um Kultur der Spitzenklasse, um Dresdens Ruf als Tanzstadt der Moderne, um Hellerau, das Europäische Zentrum der Künste, zu dem es inzwischen ja auch unter der Direktion von Dieter Jaenicke als Ort grandioser Gastspiele, vornehmlich in Sachen Tanz, geworden ist. Was hatte man sich alles versprochen von der hoch bezahlten Residenz der Forsythe Company! Da war von Uraufführungen die Rede; es blieb bei der Rede. Im Wesentlichen wurde in Dresden bislang nachgespielt, was andernorts uraufgeführt wurde. Die künstlerische Präsenz in Dresden wurde beschworen, die Verbindung und Verknüpfung mit Dresdner Künstlern. Das war doch wichtiger als diese Uraufführungs-Bespiegelungen, oder?

»Study #3« wird im September nach Dresden kommen (Foto: Umberto Favretto)

Mag sein, es gibt Gründe, die diese Verknüpfungen in der damals erwarteten Intensität nicht möglich werden ließen. Immerhin, Forsythe in Dresden, eine tolle Korrespondenz, in der Semperoper die „historischen“ Arbeiten, in Hellerau das zeitgenössische Experiment. Aber stimmt das so? Immerhin war es Forsythe, der wenigstens einmal mit seiner interaktiven, performativen Arbeit „Human Writes“ das Festspielhaus leer räumen ließ und man einen Eindruck bekam von dem, was der Architekt Heinrich Tessenow vermitteln wollte. Mit einem Mal war da wieder ein Raum, in den das Licht von allen vier Seiten einfiel! Immer wieder brachte Forsythe mit seinen Arbeiten so streitbare wie an- und aufregende Aufführungen nach Dresden. Aber die Aufregung darüber, ob die Innovation nicht doch langsam versickere, war auch immer wieder da, mal mehr mal weniger.

Nach einigem Hin und Her die Vertragsverlängerung

Bislang setzen sich die Fürsprecher durch. Inwieweit dies, besonders bei den Beschlüssen des Stadtrates immer rein künstlerische Interessen sind, ist nicht mehr so sicher. Geht es doch auch bei der Finanzierung der Forsythe Company um die Einbindung der Landeshauptstadt in den Hauptstadtkulturvertrag und die damit verbundenen günstigen Bedingungen für Dresden, insbesondere die Teilhabe der Stadt an den Einrichtungen, die vom Freistaat finanziert werden und wie etwa Staatsoper, Staatskapelle und Staatsschauspiel wesentlich zum Image der Stadt beitragen. "Der Tanz geht weiter…", hieß es zu beginn der hoffnungsvollen Konstruktion, die in einer länderübergreifenden Kooperation den Fortbestand, vor allem die künstlerische Entwicklung der Forsythe Company sicherte. Inzwischen stand eine Vertragsverlängerung an, in Frankfurt und in Dresden. Auch in diesem Zusammenhang ging der Tanz weiter: bis 2018 würde alles bezahlt werden.

Ein Nachfolger ist gefunden: Jacopo Godani (Foto: Peter Greig)

Immerhin nicht so, wie ursprünglich gedacht. William Forsythe hat sich mehr und immer spürbarer zurückgezogen. Die Tänzer seiner Kompanie schufen sich ihre Stücke selbst, natürlich ganz im Sinne und im Stil des Meisters, zogen sich zuletzt gar selbst aus den Kreationen zurück: das »Bouncy Castle« etwa sollten sich die Zuschauer gleich selbst "bespielen". Schließlich hieß es, Forsythe gebe die Leitung auf, gesundheitsbedingt, aber einen Vertrag als Berater werde er behalten und eine Nachfolger präsentiere er auch. Jacopo Godani, Tänzer und Choreograf aus Italien, von 1991 bis 2000 bei Forsythe in Frankfurt, soll es sein. Das Semperoper Ballett hat zwei Kreationen von ihm, seit 2010 »Spazio Tempo« und seit 2012 »Sacre«, im Repertoire. Immerhin hat Jacopo Godani sich dem Dresdner Stadtrat vorgestellt und ihn mehrheitlich überzeugen können. Auf die Frage eines nach wie vor kritischen Mitglieds des Stadtrates, wer denn von den so überzeugten Kolleginnen und Kollegen schon mal eine Choreografie von Godani gesehen habe, meldeten sich immerhin vier Stadträte. Also, alles sicher bis 2018? Finanziell zumindest, in Dresden, seit heute wissen wir: auch in Frankfurt. 

Durch Forsythes Installation »Scattered Crowd« (Foto: Julian Richter) nehmen Räume durch die Zuschauer Gestalt an.

Aber jetzt geht der Tanz noch auf ganz andere Weise weiter! Nicht in Dresden. Nicht in Frankfurt. In Los Angeles wird William Forsythe im kommenden Jahr eine Professur antreten, an der Glorya Kaufman School of Dance. Die Informationen dazu entnehme ich einer Meldung vom 10. Mai: „Mit der Professur des 64-Jährigen soll seine choreografische Methode in Improvisations- und Kompositionskursen unterrichtet werden. Doch nicht nur am Departement für Tanz, sondern auch an den Schulen für Musik und Cinematic Arts sowie am Brain and Creativity Institute wird Forsythe lehren und forschen. In einem Statement der USC Glorya Kaufman School of Dance lobte Forsythe besonders die unzähligen Möglichkeiten zur cross-diszilpinären Kollaboration an der Universität. Er freue sich sehr über die neue Herausforderung, "components of choreographic process" und "fundamentals of motion and aesthetic analysis" zu unterrichten.

Der noch sehr frische Tanzstudiengang wurde 2012 gegründet und ist Teil der University of Southern California in Los Angeles. Vor dessen Entstehung gab es lediglich Kurse in Standardtanz, Hip Hop, Tango und Steptanz, die im Schauspielstudiengang angeboten wurden. Die Stifterin der Tanzschule, Glorya Kaufman, zeigte sich erfreut über die Berufung Forsythes: “He is so open to reinventing what the dancer should learn and how they should approach new ideas and concepts. Having him at USC will allow each student to be fully qualified for any avenue they wish to pursue.” Zudem soll Forsythe künstlerischer Direktor des geplanten Choreografischen Instituts der Schule werden.“

Da kann man dem Meister ja wirklich nur gute Gesundheit wünschen und Erfolg für die Kompanie in Dresden, bis 2018. Und vielleicht doch noch eine kleine Erklärung aus dem Kulturamt des Rathauses der Landeshauptstadt dazu. Angefragt wurde sie nun schon vor beinah zwei Wochen. Sollte sie kommen, sie wird unverzüglich nachgeliefert.

Update: Offener Brief von Dieter Jaenicke zur aktuellen Berichterstattung über William Forsythe