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Produktivität des Unzulänglichen

Kurze Unterbrechung. Heute mal zum Montag kein Buchstabe im persönlichen Erinnerungsalphabet der Wagnersänger. Heute geht es ausnahmsweise mal um Strauss-Sängerinnen und ihre Partien, die Marschallin, Octavian, und Sophie im »Rosenkavalier«; um einen Dirigenten und ein Orchester, die zum Dresdner Hausgott Richard Strauss ein besonderes Verhältnis haben.

Gestern stand Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle und auf der Bühne standen drei der derzeit ersten Vertreterinnen jener Partien in der Komödie für Musik mit dem genialen Text Hugo von Hofmannsthals. Anne Schwanewilms, Elīna Garanča und Daniela Fally. Für Anne Schwanewilms und Elīna Garanča Dresdner Rollendebüts, für die Garanča hier sogar das Bühnendebüt.

Ein denkwürdiger Abend. Wer dabei war, wird ihn so schnell nicht vergessen können. Was den Gesang der drei Sopranistinnen angeht, wurden Maßstäbe gesetzt. An die wird man denken, wenn im nächsten Jahr aus Anlass des 150. Geburtstages von Richard Strauss einige wenige seiner Opern wieder ins Repertoire kommen. Es gab allerdings – so lange ist das nicht her – Zeiten in Dresden, da konnte die Staatsoper eine neuntägige Richard-Strauss-Woche veranstalten und an jedem Abend ein anderes Werk präsentieren: neun Werke standen im Repertoire! Aktuell ist es nur »Der Rosenkavalier«, in der kommenden Saison gibt es eine neue »Elektra«, konzertant, bzw. halbszenisch die Jugendwerke »Guntram«, dem Strauss selbst im Garten seines Hauses einen Grabstein gesetzt hatte, und »Feuersnot«, 1901 nicht viel weniger erfolglos in Dresden uraufgeführt. »Der Rosenkavalier« bleibt im Repertoire, »Ariadne auf Naxos« und »Salome« werden wieder aufpoliert. Für das Semperoper Ballett wird der weithin angesagte belgische Choreograf Stijn Celis im bislang noch nicht ganz vollständig konzipierten Abend »Legenden – Hommage an Richard Strauss« dessen Ballett »Josephs Legende« kreieren.

Das ist Zukunftsmusik, hoffentlich, so aufregend wie gestern, wo wegen der Hochwasserproblematik das Bühnenbild für die Inszenierung nicht angeliefert werden konnte. Weil laut Goethe das Unzulängliche produktiv ist, entschied man sich, vor der üblichen, aber sehr weit vorgezogenen Konzertsaalkulisse zu spielen, drei Schwingtüren einzubauen, ein paar Sessel hin und her zu rücken und darauf zu vertrauen, dass beim Treffen der Weltstars Fantasie und Musikalität dermaßen funkensprühend sein würden, dass dem Publikum bald gar nicht mehr auffallen würde, dass man hier einem szenischen Provisorium beiwohnte.

Naja: hätten die Herren Chorsolisten als krachlederne Lerchenausche in ihrem Gestaltungswillen nicht ganz so übertrieben aufgedreht, man könnte fast von einer neuen Fassung sprechen. Musikalisch war es aber vor allem ein Abend der Soprane, des Orchesters und des Pultkavaliers Christian Thielemann. Anne Schwanewilms ist eine Marschallin der Sonderklasse, ihre Abwesenheit im zweiten Aufzug ist schmerzlich. Elīna Garanča triumphiert als Octavian, in der Titelpartie des Dresdner Kultstückes. Grandios ihr Gesang, feinsinnig der parlierende Dialog im ersten Aufzug, die beiden Duette mit Sophie im zweiten, dann das überirdisch schön gesungene Terzett im dritten Aufzug und natürlich das Duett zum Finale, „Ist ein Traum…“ Zum Glückstrio der Soprane gehört erneut Daniela Fally als Sophie.

Die Männer in den Hauptpartien können da nicht so ganz mithalten, Überraschungen wie die Tenöre, bei aller Unterschiedlichkeit der Partien, Bryan Hymel, der ebenfalls sein Debüt als italienischer Sänger gibt, oder den Einspringer Dan Karlström als Wirt, gibt es dennoch. Die provisorische Flut-Fassung ist noch einmal am 12. Juni zu erleben; die vollständige Inszenierung dann wieder letztmalig in dieser Saison am 16. Juni. Im Oktober singt Soile Isokoski die Marschallin und Daniela Sindram den Octavian; am Pult steht wiederum Christian Thielemann. Wie heißt es doch im Rosenkavalier? „Die schöne Musik“, …“Is mei Leiblied“, mehr gibt es nicht dazu zu sagen.