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Ein Zwischenruf, Sonnabendnacht.

Erst mal einen Schnaps, eine Zigarette und noch eine. Ich komme gerade aus der Staatsoper, Premiere in der Semperoper, Puccini, „Manon Lescaut“, Dirigent Christian Thielemann, Regie Stefan Herheim. Jetzt keine Rezension, die erscheint von mir am Montag in der Tageszeitung. Jetzt ein Zwischenruf aus gegebenem Anlass.

In der Partie des Renato Des Grieux gibt der inzwischen international erfolgreiche junge Tenor Thiago Arancam sein Debüt in Dresden. Er hat heute nicht seinen besten Tag. Das ist vom ersten Ton an zu hören, es wird auch nicht besser im Laufe des Abends, diese Partie singt man nicht mal eben so. Sollten die Probleme wirklich so plötzlich aufgetreten sein, dass es nicht mehr möglich war, das Publikum in einem Aushang darauf hinzuweisen und damit klar zu machen, dass eine Absage wahrscheinlich bedeutet hätte, wir müssen nach Hause gehen?

Wenn diese hörbare Indisposition tatsächlich so plötzlich auftrat: warum gibt es dann nicht wenigstens nach der Pause eine klärende Ansage? Sänger sind keine Automaten. Auf Knopfdruck geht bei ihnen gar nichts. Es war eine Angstpartie, sicher am schwersten für den Sänger. Ich glaube fest daran: kein Künstler geht auf die Bühne und will dann nicht sein Bestes geben. Das geht auch mal schief. Man hat es heute erlebt. Das ist traurig. Ich zucke zusammen, wenn rings um mich herum dem Sänger ein wildes Buhgeschrei entgegen gellt, auch hämische Untertöne sind zu vernehmen.

Schämt euch, Ihr Buh-Rufer. Hättet Ihr einfach aufgehört zu klatschen, der Applaus wäre abgeebbt oder sogar gänzlich verstummt, alle hätten die Reaktion verstanden, der Sänger auch. Aber so entlädt sich unterhaltsames, anonymes Wutbürgergetue in der Masse über einen Menschen, der da allein und in diesem Moment mutterseelennackt vor den Vorhang tritt.

Das musste von der Seele.
Bis Montag,
Boris Gruhl.