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Fort auf Nimmer-wiedersehen

Der Regisseur hat nix zu sagen. Der Dirigent kann etwas sagen. Man tut, als ob man sich dafür interessiert – und man macht, was man weiß. So in etwa formulierte das die fast neunzigjährige Lisa della Casa in einem Porträtfilm, in ihrem Schloss am Bodensee in der Schweiz. Die Sängerin mit dem italienisch klingenden Namen wurde 1919 in der Schweiz geboren; letzte Woche ist sie im Alter von 93 Jahren gestorben. Obwohl sie schon 1974, also vor fast 40 Jahren, ihre Karriere beendete, war sie nie vergessen, besonders wenn es um die Partien von Mozart und Richard Strauss ging. Ich höre immer wieder ihre Aufnahmen gerne, etwa die der „Arabella“ mit George London als Mandryka und George Solti am Pult, und bewundere die Ebenmäßigkeit ihres Klanges, die Klarheit der Diktion. Das ist reiner Gesang, frei von allen Übertreibungen, von vordergründig aufgeblähtem Hochdruck, von kreischenden Tönen, die dann gerne als charaktervoll oder ausdrucksstark bezeichnet werden.

Zunächst spielte Lisa della Casa Theater, dann heitere Filme mit Paul Hubschmidt als Partner. Irgendwann soll sogar Hollywood angefragt haben, als sie längst die Liz Taylor der Opernbühnen war, ob sie die Anna Karenina spielen wolle. Sie sah wahrlich ausgesprochen gut aus, blieb aber soweit das heute anhand von Filmen und Aufzeichnungen zu beurteilen ist, kühl, auch distanziert. Skandale gab es nie, mit der Presse und der Öffentlichkeit hatte sie nicht viel im Sinn. Singen war für sie Arbeit, alles andere als leicht, was sie konnte bewies sie auf den Bühnen, im Konzertsaal und in den Studios, nicht auf Partys.

Irgendwann fühlte sie sich auch nicht mehr wohl im mehr und mehr vom Management bestimmten Opernbetrieb. An der Met war sie festgelegt aufs deutsche Fach mit Strauss vor allem, aber da musste sie auch schon mal die Saffi im „Zigeunerbaron“ singen, auch von Strauss, aber Johann. An der Met sang sie auch die Elsa im „Lohengrin“. Ein Versuch in Bayreuth als Eva in „Die Meistersinger von Nürnberg“ war nicht so glücklich verlaufen, zudem mochte sie die „steife und prätentiöse Atmosphäre dieses Tempels“ nicht.

Als sich an ihrem Stammhaus, der Wiener Staatsoper, der Ensemblegeist verabschiedete, hielt sie nicht zurück mit Kritik daran, dass Sänger ohne Proben auf die Bühne kommen. So etwas empfand sie als „Unverschämtheit“, und die berühmte Institution war für sie „Hexenkessel der Intrigen“ geworden. Über den Umgang mit Sängern hat sie sich einmal so geäußert: es werde zum Brauch, diese wie eine Orange auszupressen und wegzuwerfen.

Im „Rosenkavalier“ hat sie als Annina angefangen, sie hat die Sophie, den Octavian und die Marschallin gesungen, letztere 1960 in Salzburg in der Eröffnungspremiere des Festspielhauses. Sie hatte also oft genug darüber sinniert, was es bedeutet dass die Zeit ein sonderbar Ding ist, dass es tödlich sein könne, die Zeichen der Zeit zu übersehen oder zu überhören. Als niemand daran dachte, dass Sie die Zeit des Abschieds von der Bühne für sich gekommen sah, nahm sie Abschied, aber auf ihre Weise, stilvoll, mit ganz leichter Ironie, wie eigentlich immer, wenn man genau hinsieht und hinhört. „Dann fahr ich fort von Euch auf Nimmerwiedersehen“ – mit besonderer Betonung sang sie diese Passage der Arabella 1974 in einer Aufführung an der Wiener Staatsoper. Es war ihre letze Vorstellung, ihr letzter Auftritt. 

1966 war Lisa della Casa in Dresden. Zusammen mit Anneliese Rothenberger und der Staatskapelle unter der Leitung von Rudolf Neuhaus nahm sie Szenen und Duette aus „Der Rosenkavalier“ und „Arabella“ auf. Es gab dazu auch einen Film im Fernsehen der DDR, wenn ich mich recht erinnere, schwebten die Sängerinnen in üppigen Kostümen durch den Dresdner Zwinger. Muss man nicht sehen, aber die Aufnahme sollte man schon immer wieder mal hören: jene „Verschwörung der Soprane“, von der seinerzeit Ernst Krause auf der ETERNA-Plattenhülle schrieb. Zudem gibt’s hier ein Kuriosum: Lisa della Casa singt im Schlussduett als Octavian mit Sophie in „Der Rosenkavalier“ auch gleich noch die Marschallin, deren rätselhaftes „Ja, ja…“ nämlich, wenn der Herr von Faninal, hier Günther Leib, räsoniert, „Sein schon aso, die jungen Leut!“. Was sie jungen Leuten, jungen Sängerinnen raten würde?, wurde die fast Neunzigjährige im eingangs erwähnten Film auch gefragt. „Hör auf mit Singen“, sagt sie, „ist zu viel Arbeit, wenn man´s richtig machen will. Und die meisten können´s gar nicht richtig machen…“. So sagt sie, nimmt noch einen genüsslichen Zug von der Zigarette, denn auch das gehört zu der Ausnahmesängerin, sie hat immer geraucht, gerne, der Stimme hat es nicht geschadet. Also, CD einlegen, Zigarette anzünden, blauer Dunst, Erinnerungen, „Ist ein Traum,…“