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Poppeas Aufstieg ohne Fall

Eigentlich alles prima im Hause Nerone in Rom um das Jahr 62 nach Christus. Hier hat jeder sein Auskommen, seinen Platz und im Großen und Ganzen auch seine Ruhe, wenn er sich an die Spielregeln hält. Eigentlich geht es auch ganz blitzsauber zu in dieser edel designten Appartementburg. Nur bestes Material. Tiefgarage, Abfalldepot, blitzsaubere Toiletten und elegant geschwungene Treppen, die es dem obersten Chef erlauben von der kaiserlicher Himmelsnähe her aus- oder einzusteigen wo er mag. Derzeit steigt er bei Poppea ein und aus, das bedeutet für Gattin Ottavia den sicheren Aus- und Abstieg. Weder der übervolle Kleiderschrank noch der pfiffige Vertraute Valetto, von Timothy Oliver pfiffig gespielt und gesungen, oder gar der Philosoph Seneca können da trösten. Dass dem Philosophen das Treiben seines Kaisers nicht gefällt, er im speziellen Fall ganz und gar nicht einverstanden ist, bedeutet ein sicheres Todesurteil für den intellektuellen Feingeist. Wer stört, fliegt raus aus Neros schöner Welt. Die Säuberung geschieht nach der Methode: Töte dich selbst. Der Philosoph gehorcht, da können die Freunde noch schön vom schönen Leben singen.

Das Spiel ist aus… (Fotos: Matthias Creutziger)

Eigentlich beginnt das Spiel damit, dass ein junger Mann namens Ottone von längerer Dienstreise zurück kommt, sein Auto korrekt auf Stellplatz Neun parkt, mit Rosen vor Poppeas Tür wartet. Als er losfuhr war sie seine Freundin. Jetzt wird sie professionell bewacht und dem Rosenkavalier ist klar, das Spiel ist aus. Man kann sich´s denken, das alles gibt eine Reihe von Intrigen und Komplotten, Verbindungen und Entzweiung und vor allem jede Menge Stoff und Arbeit für das zahlreiche Personal, vom Klempner bis zum Sicherheitstypen, Reinigungspersonal, Ober- und Unterdisponentinnen. Und auch hier geht es um Aufstiege, um Abstiege, um Spiele und deren Regeln, und um die Geschicklichkeit diese zu umgehen.

Manche haben dabei einfach nur ihren Spaß wie die so wunderbar typengenau agierenden Damen Christiane Hossfeld, Andrea Ihle und Roxana Incontrera als Amore, Virtú und Fortuna. Ganz göttlich eifern sie darum, wessen Auffassung hier siegen wird.

Tonleitern der Verführung: Nicole Heaston (Poppea), Franco Fagioli (Nerone)

Dass sie siegen wird, das ist Poppea von Beginn an klar. Sie wird es dann wahrscheinlich auch der Liebe zuschreiben. Aber es ist ihr Geschick, es ist ihr Charme, es ist die Raffinesse ihrer schönen Töne, deren Zauber nicht mehr unterscheidbar macht, ob hier das Herz schlägt oder lediglich das Hirn arbeitet. Nicole Heaston singt und spielt die Titelpartie und man kann gar nicht anders, man muss diese Sopranistin als eine Kaiserin verehren. Ihr römischer Wahnsinnskaiser ist der Countertenor Franco Fagioli. Das ist die pure Freude der Darstellung, tänzelnde Bewegungen, alles ist Bühne, alles wird zum Laufsteg, an allem lässt sich Lust gewinnen. Lustvoll auch der Gesang, schmeichelnd beherrscht er die Tonleitern der Verführung, den Spaß daran, auszukosten, wie weit das hauchfeine Piano trägt um gleich darauf die Stimme in jubelnde Höhen zu führen.

Singen, so der Anschein, das ist eine gefährliche Versuchung, nämlich zu übersehen und zu überhören, dass immer dann, wenn die Töne uns am schönsten umschmeicheln, die Gemeinheit ganz nahe ist. Ganz nahe kommt uns wieder Christa Mayer als verstoßene Kaisergattin mit ihrem warmen und weichen Timbre und bei dem Bassisten Georg Zeppenfeld als Seneca fragt man sich angesichts dieser neuerlichen Glanzleistung, ob es eine Stilrichtung gibt, der dieser Sänger nicht mit der Authentizität seines Klanges besonderes abzugewinnen vermag.

Neu wie das Kaiserpaar in Dresden Matthew Shaw als Ottone und Rebecca Raffell als Arnalta. Der jungenhaft wirkende Countertenor besticht mit schlankem Ton, berührenden Koloraturen und der Unentschlossenheit des Spiels eines Verlassenen der nur noch aus schwacher Konvention aufbegehrt. Alles andere als unentschlossen die couragierte und aufstiegsgewisse Angestellte Arnalta. Wie die gesanglichen Höhenflüge der Herren faszinieren, so verblüfft die fundamentale Tiefe dieser Sängerin. Alles ohne Druck, dazu die Leichtigkeit und der Humor des Spiels. Zum weiteren Personal in wechselnden Funktionen, als spielfreudige Typen, gehören Vanessa Goikoetxea, Gerald Hupach, Aaron Pegram, Jeremy Bowes und vor allem Ute Selbig als Drusilla, deren ganzes Sehen dem verlassenen Ottone gilt was sie mit verlockend schönem Gesang zum Ausdruck bringt.

Unterhaltsam wird der Abend durch die gute Figurenführung der Regisseurin Florentine Klepper

Florentine Klepper hat dieses fast 370 Jahre alte Werk von Claudio Monteverdi im schicken neuen kleinen Welttheater-Ambiente von Bastian Trieb inszeniert. Chalune Seibert hat die unsterblichen Figuren stilsicher neu eingekleidet. Einem Aktualisierungszwang ist die Regisseurin nicht erlegen, dass ihr Blick an gegenwärtigen Wahrnehmungen geschärft ist nicht zu übersehen. Dazu gehören auch ein paar Klischees und fast heiter wirkende Aktionen, etwa die regelmäßige Entsorgung von Leichen und deren Lagerung im Keller der Kaiservilla, in deren unteren Etagen es doch schon mal zugeht wie in der Lindenstraße. Was den Abend so unterhaltsam macht, das ist die Sicherheit, mit der die Regisseurin ihre Menschen führt, selten sieht man Sängerinnen und Sänger so maßvoll agieren und dass sie dann in einer solchen Geschichte nicht sprechen sondern singen, ist einfach mal so.

Rubén Dubrovsky ist der Dirigent. Das Klangfundament des Abends bilden die Musikerinnen und Musiker der Cappella Sagittariana Dresden. Das Spiel des Orchesters geht auch optisch über in das Spiel auf der Bühne. Das ist ein weiterer sinnlicher Reiz des Abends. Zudem ist das lustvolle Musizieren unter Rubén Dubrovskys Leitung ein Gewinn und leitet hoffentlich eine zukunftsweisende Variante ein, die es möglich macht, die Welten barocker Oper in der Semperoper weiter zu erobern.

In der zweiten Vorstellung seit der Premiere ist das Theater gut besetzt, der Funke springt sofort über, und nach mehr als drei Stunden bedankt sich das Publikum freudig und begeistert für diesen energiegeladenen Abend, an dem man oftmals die berühmte Nadel hätte fallen hören können.

Nächste Aufführungen: 9., 12., 15. April, 6., 9., 26. Mai 2011

Eine Textfassung des Artikels ist am 4. April in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abzudrucken.