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Rusalka ist unter uns. Die Wassermänner auch.

Eine Straßenecke. Eingang zur Metro, daneben eine Kirche. Gegenüber ein Laden, der wechselt sein Angebot, Sexpuppen, Brautkleider oder frische Schweinehälften. Ein Café an der Ecke, mal nach dem Mond, mal nach der Sonne benannt. Von Mondschein keine Spur, von Sonne schon gar nicht, eine mitleidsvolle Trauerweide lässt ihr Geäst tief in die Szene hängen. Manchmal leuchten die altmodischen Antennenschüsseln an den maroden Balkons wie trübe Monde.

Überm Laden mit seinen Angeboten fürs Auge, den Bauch und andere Körperteile, wohnt der Wassermann mit seiner Frau. Und dieser Wassermann, den Georg Zeppenfeld beeindruckend und berührend singt, dazu in zerrissenem Wahnsinn spielt, hat mindestens zwei Probleme. Es läuft nicht mehr zu Hause. Tote Hose. Und er ist ein elender Spießer. Deshalb kann er nicht einfach mal mit der schönen jungen Frau im eindeutigen Silberlook mitgehen und alles gehen lassen wie es geht. Nein er muss sich, um seine kleine Lust zu rechtfertigen, ein ganz grausiges Märchen in den Kopf bringen, das Märchen von der reinen Nixe Rusalka, die am Ende selber schuld ist, dass sie in der Menschenwelt an den Männern zugrunde geht. Er, ihr Schöpfer selbst, hat sie ja gewarnt. Aber irgendwann geraten die Welten seiner Nixenphantasien mit der Realität, über die seine kräftige Frau ohnehin fürstlich und schlüsselgewaltig wacht, durcheinander. Den flotten Silberfisch von der Ecke spinnt er sich zur Märchennixe, die Pennerin von der Metro zur Hexe und sich selbst macht er zum romantischen jungen Seemann, nach dem sich die Nixe verzehrt.

Da schimmern die Figuren der Märchen von der Seejungfrau, der Undine und des Dramas von der versunkenen Glocke, die als Vorlagen für Dvoraks Oper dienten, je ganz unterschiedlich stark hindurch. Nur siedelt der Regisseur seine Handlung nicht in einer fernen Märchenwelt an. Er findet die Orte und die Menschen für das grausig tödliche Märchen im explodierenden Kopf eines Mannes, der sich lieber von falschem Zauber blenden lässt, als dass er einmal den Mut hätte klar zu sehen, und frei zu tun was er will, an jeder Ecke einer größeren Stadt. Da ist es schon möglich, dass sich die Wahrnehmungen verschieben, dass aus der Wirklichkeit Theater wird und umgekehrt, dass das Eine das Andere spielgelt und dann niemand mehr weiß, wo das Spiegelbild beginnt. Zu Antonin Dvoraks spätromantischer Sehnsuchtsmusik, die immer wieder gebrochen wird von grellen Klängen, neben deren melancholischer Melodik alles andere als zarte Rhythmen auftrumpfen, lässt der Regisseur Stefan Herheim die Perspektiven optisch raffiniert verschwimmen. Räume fahren herein- und heraus. Auf der Straße tanzt ein schriller und grotesker Maskenspuk. E.T.A Hofmann trifft Franz Kafka und Karel Capek kommt auch noch vorbei. Und gäbe es hier doch einen Mond, er wäre ein blutig´ Eisen.

Franz Kafka trifft Karel Capek (Fotos: Matthias Creutziger)

Soweit rückt diese Deutung den oftmals zwar bieder aber gütig gesehenen Wassermann in die Nähe eines anderen von Wahnvorstellungen heimgesuchten Mörders namens Woyzeck. Und da wie hier, am Ende ein echter Kriminalfall. Ein Mord. Tot ist die Frau des Wassermanns, die es in der Oper aber gar nicht gibt. Die Kategorien sind in schändlichster Verwirrung. Wer hier wirklich stirbt, das klärt ein Kommissar. Aber dieses platte finale TV-Format ist ebenso wenig präzise und überzeugend gelungen wie eine überzogen lange Pantomime der Passanten in Widerholungsschleifen zu Beginn. Die massive Bilderflut der gegen Ende immer zäheren und immer weniger stringenten Inszenierung in dürftig bewältigter Schnitttechnik drängt leider die Musik manchmal arg zurück. Und das ist in Dresden einfach schade.

Besonders wenn der Dirigent Tomás Netopil vom Prager Nationaltheater, sich so intensiv den fein gewobenen lyrischen Passagen widmet und die Damen und Herren der Staatskapelle den zärtlichen Impulsen seiner Behutsamkeit folgen. Da ist dann doch weit mehr Geheimnis, Verwirrung und Tragik in der Musik als auf der programmheftgemäß deutungsversessenen Szene. Neben Georg Zeppenfeld, der in dieser Sicht auf den Stoff zur Hauptperson wird, agieren drei starke Frauen. Mit kräftigem Sopran gibt Tatiana Monogarova die Titelpartie der Rusalka, Tichina Vaughn ist die Hexe Jezibaba in mancherlei Gestalt und Marjorie Owens ist als Frau des Wassermanns die fremde Fürstin, für die der Prinz Rusalka verlässt. Der Prinz ist hier aber des Wassermannes Wunschgestalt, als junger Matrose die zweite Seele in der verklemmten Spießerbrust, und dem gibt Zoltan Nyári in einer existenziellen Leistung romantisch-jungendliche Töne und trifft am ehesten die Charakteristik eines unsterblichen Klischees.

Kräftiger Sopran: Tatiana Monogarova

Zu Beginn des gastronomiefreundlichen Opernabends mit zwei Pausen fällt der Regen auf den von Heike Scheele gestalteten Schauplatz. Zwischenzeitlich stiebt viel bunter Faschingsglitzer durch den Raum. Am Ende rieselt leise der Schnee. Und der ist dann doch ein bisschen von gestern, denn nach Brüssel und Graz ist Dresden die dritte Station dieser Inszenierung, die von Therese Schmidt hier einstudiert wurde. Herheim wurde zum dritten Mal zum Regisseur des Jahres gekürt, in den nächsten Jahren wird es in Dresden weitere Nachauflagen seiner Arbeiten geben, eine „echte“ Premiere ist immerhin auch vorgesehen.

Weitere Aufführungen: 18., 22., 25. 12.; 03. 01., 17., 28. 05. 2011 (www.semperoper.de)

Eine Textfassung des Artikels ist am 13. Dezember in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

CD Empfehlung: Elfriede Trötschel (Rusalka), Helmut Schindler (Prinz), Gottlob Frick (Wassermann), u.a., Sächsische Staatskapelle Dresden, Dirigent: Joseph Keilbert, Aufnahme der Rundfunksendung Weihnachten 1948, nach der Aufführung im Kleinen Haus des Staaschauspiels, Premiere Januar 1948.