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Überall ist Tiefland

Zunächst wie im Film. „Tiefland“ in großen Buchstaben auf der Leinwand, dazu Musik. Aus weiter Ferne die Soloklarinette, hinreißend gespielt. Einstimmung auf das große Gefühl. Reine Natur in sündlos klarer Luft des Hochgebirges, schneeweiße Gletscher vor reinem Himmelsblau.

Wir wissen, dass dies Schnee von gestern wäre, und wer sich bei der einschmeichelnden Musik die jetzt vom ganzen Orchester im impressionistischen Spiel mit den Klangfarben übernommen wird, dahin zurück träumen möchte, wird ganz rasch in die Gegenwart geholt. Ein Helikopter landet. Pedro der Hirt, ein junger Eigenbrötler, dem es im Hochland als quasi Selbstversorger und Überlebenskünstler gut gefällt bekommt Besuch, von unten, aus dem Tiefland.
Sebastiano persönlich, Arbeitgeber, Herr über Hochland und Tiefland, bietet Pedro an unten einen Job als Müller anzunehmen und dazu genau das zu bekommen wonach sich der Einsame in noch einsameren Träumen verzehrt, eine Frau. Dass dahinter ein perfider Plan stecken muss ist allen klar bis auf Pedro, der entweder wirklich so naiv ist oder einfach davon fasziniert, nachts nicht mehr ein Vaterunser nach dem anderen beten zu müssen. Das seltsam abweisende Verhalten der Frau im Pelz mit den goldenen Absatzschuhen übersieht er erst mal.
Die Frau heißt Marta und im Verlauf der nächsten zwei Stunden erfahren wir ihre Geschichte, erleben wir sie in entsetzlich gemeinen Konflikten und wissen am Ende, dass die Hoffnung für sie sehr vage ist, für immer dem Tiefland zu entfliehen, wohin sie jetzt noch ganz schnell zurück will.

Yvonne Reich als Marta und Jan Novotny als Pedro (Fotos: Nikolai Schmidt)

Und dann überschlagen sich die Ereignisse. In der futuristischen Fabrikantenvilla der Ausstatterin ÄNN, in deren Tiefe sich beständig ein archaisches Mühlrad dreht, werden Firmenunterlagen entwendet. Der Chef ist pleite. Rettung bringt eine gut eingefädelte Geldheirat. Da ist nur die geliebte Marta im Wege. Die Heirat mit dem Hirten bereinigt die Verhältnisse und garantiert dem Chef ihre Verfügbarkeit. Da machen alle mit, denn Fortbestand sichert Arbeitsplätze. Da hat sich in über 100 Jahren seit Eugen d´ Alberts Oper „Tiefland“ im Jahre 1903 in Prag uraufgeführt wurde nicht viel verändert, Geld stinkt nicht, mögen auch die Geschäfte derer, die es verteilen, zum Himmel stinken.
Nur einer, Pedro, der weiß wirklich nicht, was hier gespielt wird, und als Marta das spürt, dazu die Echtheit seines Gefühls, da nimmt das Drama seinen Lauf. Vernarbte Wunden bluten wieder und am Schicksal dieser Marta, die mit 13 Jahren Sebastianos Eigentum wurde offenbart sich eine Geschichte aus Missbrauch und höchst komplizierter Beziehung zwischen Opfer und Täter.

Und dann ist doch alles beinahe wie im Film am Sonntagabend, nur der selbstlose Kommissar fehlt oder die an allgemeiner Wolfsmentalität leidende Kommissarin. Dafür übernimmt der Regisseur die Rolle des Aufklärers.
Erst räumt der Schurke Sebastiano den längst aus der Zeit gefallenen alten Tommaso, den Stefan Bley mit gütigem Bass gibt, aus dem Weg, dann wird er selbst von Pedro erwürgt, als wär´s der Wolf, den er einst erwürgte, was er schon eindrücklich in der „Wolfserzählung“ besungen hatte.

Und wie im Film auch die Musik mit leicht plakativen Motive der Reinheit da oben und der Verderbtheit da unten, wie ein Sog, der anzieht und Neugier weckt, in Spannung hält bis zum Schluss. Den Sängern mutet die Oper etliches zu, veristische Stimmungsausbrüche, Dramatik von Wagners Gnaden, aufgeheiztes, hoch fahrendes Gefühl, dann wieder zarte Klänge aus Sehnsucht und Verzweiflung. Für all das ist Eckehard Stier am Pult der bestens disponierten Neuen Lausitzer Philharmonie ein guter Anwalt. Er gibt den Sängern Raum und lässt das Orchester dennoch glänzen, bedauerliche Grenzen setzten leider immer wieder die akustischen Klangbremsen des Theaters. Klaus Arauner hat in seiner Inszenierung die Grenzen zwischen damals und heute sinnfällig entfernt, manche Figurenzeichnungen, etwa drei klatschenden Schönheiten des Tieflands wirken etwas überspitzt, die Hauptdarsteller aber führt er in glaubwürdige Haltungen, reduziert auf Wesentliches. Roland Hartmann gibt mit klangvollem und gut grundiertem Bariton den Sebastiano, changierend zwischen Jovialität und Brutalität. Laura Scherwitzl ist die junge geradlinige Nuri, beinahe der Engel in Menschengestalt, ihr heller Gesang ist Reinheit und Güte in Klängen.

Hin- und her gerissen zwischen den Welten, verwirrt in Gefühlen und letztlich unschuldig schuldig ist der Hirte Pedro wie ihn Jan Novotnys überzeugend singt und spielt. Das ist eine Partie aus Naivität und Wahnsinn, nicht schöner Klang allein ist gefragt, auch der Mut zur Gestaltung der Angst und Verzweiflung, den hat der Sänger, dazu auch Töne der Empfindsamkeit.

Yvonne Reich als Marta, zunächst einsilbig und verschlossen, dann immer stärker in den Facetten der Verzweiflung, die in den schmerzhaften Prozess aus Selbsterkenntnis und Selbsthass führt mit er leichten Hoffnung, mit dem seelenverwandten Pedro diesem Tiefland zu entkommen. Da weiß das Publikum mehr und jubelt dem ganzen Ensemble begeistert zu zur Premiere.

Weitere Aufführungen: 28.11.; 5.02.2011

Eine Textfassung des Artikels ist am 8.11. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.