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Das Staatsballett Berlin eröffnet die Saison – und das Orchester streikt

Fängt ja gut an, das siebte Jahr beim Staatsballett Berlin. Traditionell mit der Ballett-Gala, erstmals in der deutschen Oper, stellt sich die Kompanie vor und begrüßt ihr Publikum. Selbiges zahlt freiwillig einen Aufschlag, der wiederum ist für einen guten Zweck. 9000 Euro gehen in diesem Jahr an die Dell´ Era-Gedächtnisstiftung, und erstmals zur Unterstützung von erkrankten und arbeitsunfähig gewordenen Tänzern. Die Stiftung ist benannt nach der Königlichen Hoftänzerin Antonietta Dell´Era-Marsop, die im Jahre 1945 verfügte, dass die Erträge ihrer Hinterlassenschaft sozial verwendet werden müssen. Ausdrücklich bedacht hatte sie aber nur die Tänzerinnen. Mit Beginn der neuen Saison herrscht nach 65 Jahren hier endlich Gleichberechtigung.

Ungleich behandelt fühlen sich die Musiker des Orchesters der Deutschen Oper. Bislang konnten sie ihre Forderungen in den gegenwärtigen Tarifverhandlungen nicht durchsetzen. Warnstreik! Das heißt sie spielen schon, aber erst später. Verspätung mit Sekt, der Intendant und erste Solist des Staatsballetts Vladimir Malakhov lädt daher schon vor der Vorstellung zum traditionellen Umtrunk, alle folgen, die Stimmung ist gut und die halbe Stunde rasch vorbei. Dann noch ein paar kräftige Buhsalven wenn das Orchester kommt, das die freie Zeit hörbar nicht damit verbracht hat zu üben. Ein Hörerlebnis ist der Walzer aus dem zweiten Akt von Prokofieffs „Cinderella“ jedenfalls nicht, die attraktive Optik der Damen und Herren des Corps de ballet ist bedeutsamer.

Schön dass es danach Neues zu sehen gibt, sogar eine Uraufführung. Eric Gautier nennt sein Duett für Elisa Carillo Cabrera und Mikhail Kaniskin „Showtime“ und feiert sowohl in amüsanten Szenen vor der Show und ebensolchen danach, beim Theater im Theater, untermalt von Bizets Dauerbrenner etliche Carmen-Klischees regelrecht ab und übertreibt das Ganze bis in einen total ungefährlichen Doppelmord.

It’s Showtime für Elisa Carillo Cabrera und Mikhail Kaniskin (Fotos: Enrico Nawrath)

Dann bieten in technischer Brillanz die Damen Sebnem Gülseker, Anastasia Kurkova, Sarah Mestrovic und Krasina Pavlova als Berliner Erstaufführung den „Tanz der Fresken“, ein Pas de quatre der Sonderklasse aus dem Ballett „Das bucklige Pferdchen“ von Cesare Pugni, in der Choreografie von Arthur Saint-Leon.
Ebenfalls zum ersten Mal in Berlin ein Pas de trois aus einem Publikumsrenner der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts „Die Puppenfee“. Iana Salenko ist eine bezaubernde Fee, Rainer Krenstetter und Dinu Tamanzlacaru sind ihre unglücklichen Pierrots.

„Alles Walzer“ heißt eine Choreografie von Renato Zanella, daraus das Adagietto aus Mahlers fünfter Sinfonie, fernab aller Seligkeit, eine so intensive wie elegische Meisterleistung des Paares Beatrice Knop und Wieslaw Dudek. Das Solo für den Chef ist auch neu für Berlin. Gewissermaßen auf den schmalen, zerbrechlichen Leib hat Mauro de Candia zu Musik von Camille Saint-Saens für Vladimir Malakhov den Pas seul „Der sterbende Schwan“ choreografiert. Ein todessüchtiger Körpergesang mit zärtlichen Erinnerungen an Nijinskys gebrochene Tanzsprache.
Die wunderbare Erinnerung an Bejarts „Ring um Ring“ in dem Duett Siegfried-Brünnhilde zur Musik aus „Siegfried“ tanzen Nadja Saidakowa und Michael Banzhaf dermaßen intensiv, dass man den Augenblick festhalten möchte, zumal man diese Berliner Großtat des Tanzes von 1990 schmerzhaft im gegenwärtigen Repertoire vermisst. Alle Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme richten sich auf das Wagner-Jahr 2013.

Der sterbende Schwan: Vladimir Malakhov

Großer Glanz, strahlende Virtuosität, bevor es in die Pause geht mit Polina und Dmitry Semionov, den liebsten Geschwistern der Berliner Ballettgemeinde im Grand Pas de deux aus „Le Corsaire“. Der jünglingshafte Pirat mit gewaltigen Sprüngen, die schöne Griechin mit ihren Wahnsinnspirouetten provozieren Warnung vor Risiken und Nebenwirkungen, knapp gesagt: Achtung, Suchtgefahr!

Von allem etwas, Eleganz und technische Brillanz, Elegie und gezügeltes Temperament dann nach der Pause mit einem größeren Stück aus dem Repertoire, Clark Tippets große Choreografie zum Violinkonzert Nr. 1 von Max Bruch. Auch hier optische Entschädigung für das Klangangebot des Orchesters mit dem Solisten Tomasz Tomaszewski. Alle Macht geht von der Masse aus, keine Chance an diesem Abend für den der balletterfahrenen Dirigenten Paul Conelly.