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Drei Träume, nur einer in Weiß – Uraufführung beim Dresdner Ballett

Am Sonntagvormittag wurde Gerd Uecker nach sieben Jahren als Intendant in einer Matinee verabschiedet. Von vielen Dingen war die Rede, von vielen auch nicht: so auch nur in einer Nebenbemerkung der Moderatorin vom Ballett, dessen Produktionen einen beträchtlichen Anteil am Spielplan haben. In die Amtszeit des scheidenden Intendanten fiel der Wechsel der Ballettdirektion. Mit Beginn der Saison 2006/2007 übernahm Aaron S. Watkin die Leitung des „Ballett Dresden“. Dieser Name wurde der Kompanie unter der Leitung von Vladimir Derevianko gegeben, der sich nach 13 Jahren verabschiedete.

Jetzt geht für Watkin die vierte Saison zu Ende, aus dem „Ballett Dresden“ wurde das „dresden SemperOper ballett“. Über die Schreibweise gibt es unterschiedliche Ansichten. Die scheidende Chefdramaturgin schreibt orthografisch orientiert „Dresden Semperoper Ballett“, und es wird daraus eine Aufzählung: Dresden hat ein Opernhaus und ein Ballett. Das kann sich sehen lassen, die jüngste Produktion ist sichtbarer Beweis. Hier zählt nicht was man will, hier zählt was man sieht. 

„Drei Farben Weiß“ heißt der Abend mit der deutschen Erstaufführung von David Dawsons „A sweet spell of oblivion“ zu zehn Präludien aus Johann Sebastian Bachs Sammlung „Das wohltemperierte Klavier“, die beim Königlichen Ballett von Flandern zur Uraufführung kam.

Jocopo Godani, der erfolgreiche italienische Choreograf, arbeitete zum ersten Mal in Dresden, „spazio-tempo“ heißt die Kreation mit der eigens für die Dresdner Kreation geschaffenen Musik von 48nord Ulrich Müller & Siegfried Rössert. Zum Abschluss George Balanchines „Diamanten“ zu Musik aus Peter Tschaikowskis 3. Sinfonie, jener glitzernd, weißer Traum, der auch für den Namen des ganzen Abends steht.

Jocopo Godanis erste Dresdner Arbeit: "spazio-tempo" (Fotos: Costin Radu)

In der letzten Saison brachte Aaron S. Watkin die rot-funkelnden Rubine auf die Bühne, die geheimnisvollen grünen Smaragde werden demnächst folgen, dann ist Balanchines Ballettabend „Diamanten“, 1967 beim New York City Ballet uraufgeführt, komplett in Dresden zu sehen.

Jetzt, zur Premiere, drei gänzlich unterschiedliche Choreografien, total verschiedene Musik, gemeinsam für die drei Teile zunächst der jeweils hohe Anspruch an das Können der Tänzerinnen und Tänzer, nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die individuelle Präsenz der Persönlichkeiten. Bei aller Unterschiedlichkeit eine Gemeinsamkeit: es sind keine Handlungsballette. Es werden keine Geschichten erzählt, die entstehen beim Zuschauer im Kopf, durch Fantasie und Assoziationen, das ist gut so. Selber sehen, selber denken, was will man mehr.

Dreimal auch ein Kunstraum, drei Traumszenerien, dreimal die Beziehungen bewegter Menschen untereinander, allein, aber immer zum Raum, seiner Begrenzung, die durchbrochen wird durch die Intensität der Bewegungen.  
Zunächst in Dawsons Kreation, auf John Ottos Bühne, die Andeutung eines aus Zeltbahn oder Haut gespannten Tunnels, in den wir hineinsehen, der sich zur Bühnentiefe hin verengt. Das Material ist lichtdurchlässig, wir sehen im diffusen Licht den Pianisten. Die Tänzer sind vornehmlich in diesem „Tunnel“.

Der zweite Raum von Jacopo Godani, drei hohe, dunkle Wände, Begrenzung, auch das Gefühl, eingeschlossen zu sein. Dazu in harten Kontrasten wechselnde Lichtstimmungen, immer wieder auch völliges Dunkel, Bedrohlichkeit, die aber durch die Dynamik des Tanzes überwältigt wird.

Der „Diamantenraum“ des New Yorkers Peter Harvey ruft zunächst verblüfftes Erstaunen in der Oper hervor, dann spontanen Beifall für seine üppige Fantasie aus fast barockem Gassentheaterzauber mit der übergroßen Ästhetik eines unbezahlbaren Colliers unzähliger funkelnder Diamanten. Man vernimmt förmlich dazu das Klimpern gewitzt zwinkernder Augen. Dazu die prachtvollen weißen Kostüme der Karinska, mit Diamanten besetzt im Überfluss. Ein Raum für die Feier des Tanzes, und die Erinnerung dass Ordnung und Schmuck zusammengehören. 

Klimper, klimper: "Diamanten"             

Zwischen den gänzlich unterschiedlichen Choreografien erschließen sich am Ende einige Korrespondenzen.
Zunächst David Dawson, mal mehr, mal weniger dicht an den Linien der Klaviermusik von Bach, die Yevgeni Feldmann höchst konzentriert spielt. Die Menschen werden erkennbar, gehen zurück und verschwinden regelrecht wie bei verblassenden, alten Fotografien. 

Die Musik verströmt zeitlose Erhabenheit, selbst bei schnelleren Tempi, das Maß bestimmt die Kunst. Drei Tänzer, vier Tänzerinnen, verschiedene Kombinationen, Männer, Frauen, allein, zu zweit usw. Man wird beim Zusehen von ganz wunderbarer Ruhe umströmt, man genießt die hohe Konzentration. Dazu kommt Dawsons besondere Körpersprache, deren Biegsamkeit den Dresdner Tänzerinnen und Tänzern besonders gut steht, der italienische Tänzer Claudio Cangialosi gelangt da zu ganz besonderer Meisterschaft.

Ganz anders in der Raumkomposition von Jocopo Godani. Schon mal die Musik, elektronisch, experimentelles Zusammenspiel, sehr flächig, in einer Zuspielung. Zunächst ein Kontrast zum Opernhaus, aber keine Provokation, Klangflächen, keine Untiefen, letztlich ganz brav.

Die Gruppe von 12 Tänzerinnen und Tänzern kommt immer wieder zu einer lebendigen Skulptur zusammen. Spannungen entstehen durch Ab- und Auflösungen, immer wieder hat die Anziehungskraft hervorgehobene Bedeutung, im Gegensatz dazu Entfernungen, Trennungen. Das Tempo variiert ständig, viele Tanzstile kommen zusammen, immer wieder die Grundierung durch die Kraft klassischer Elemente. Das Licht, eingedunkelt bis zum völligen Verlöschen, kann den Tanz sehr weit entfernen und wieder sehr nahe bringen, der Raum kann sich total verengen und dann wieder sehr groß öffnen. Alles  durch die Kraft der Bewegung. Ein Schritt, bewusst, geführt und der Tänzer betritt eine neue Welt. Wieder besticht die Kompanie, kein Gleichmaß bestimmt die Präsenz, Individualität und vor allem Authentizität sind die Trümpfe. Das Publikum jubelt.

Gänzlich anders, man muss trotz Pause regelrecht umschalten, Balanchines „Diamanten“. Man solle die Musik sehen und den Tanz hören, so der Erneuerer des klassischen Tanzes. In der Tat, die Körper der Tänzerinnen und Tänzer scheinen zu singen in den so harmonisch ausgeführten klassischen Elementen. Die Exaktheit ist unverzichtbar, aber man bekommt sie nicht präsentiert. Hier wird so getanzt, wie im Belcanto gesungen wird, auf die Bögen, die Linien, die Verzierungen kommt es an, die uns aber nicht im Mindesten berühren würden, wären sie nicht beseelt.

Mit den Solisten Elena Vostrotina und Raphael Coumes-Marquet, beide hoch gewachsen, gekonnt in strenger, schnörkelloser Eleganz, wie selbstverständlich die Sprünge des Tänzers, die Pirouetten der Tänzerin. Dazu ein Quartett Damen, ein Quartett Herren und das Corps de ballet, alle sehr leicht, die glitzernden Diamanten, die Melancholie der Musik und die kunstvolle Schönheit des Tanzes kommen in berührender Unaufdringlichkeit zusammen. Verblüffung am Ende darüber dass die Kraft der klassischen Traditionen und deren weites Spektrum längst nicht ausgeschöpft sind. Im Hinblick auf Kreationen der Moderne verselbständigen sich mitunter noch dekorative Elemente. Insgesamt eine fulminante Ensembleleistung der Dresdner Individualisten.