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Tschaikowskis „Jolanthe“ mit dem Moskauer Bolschoi-Theater

Zum Finale der Musikfestspiele noch ein russischer Triumph. Warum, so fragt man sich nach 90 Minuten Ohrenschmaus, kennt man diese Oper den so gut wie gar nicht? An Lyrik und Dramatik steht sie anderen Werken Tschaikowskis, die wir kennen, doch kaum nach. Gut, kein Walzer, keine Mazurka. Aber welch berührende Klage zu Beginn der für Bläser gesetzten Ouvertüre, von der Oboe gespielt. Und dann die dunkel grundierten Passagen der Streicher, erregend die Gruppe der Celli im makellosen Zusammenspiel, und die lichtdurchfluteten Passagen des symphonisch gehaltenen Stückes, bei dem die Arien aus ariosen Dialogen organisch hervorgehen.

Die Spannung der einaktigen lyrischen Oper, nach dem Drama „König Renés Tochter“ des Dänen Henrik Herz, der Motiven von Hans-Christian Andersen folgt, 1892 in St. Petersburg uraufgeführt, erwächst in kluger instrumentaler und vokaler Steigerung bis zu einem slawisch-veristischen Duett der Liebenden, deren Zukunft hier noch ungewiss ist. Dann noch eine knappe, bangende Szenefolge, und im hymnischen Finale pures Glück, zeitgemäß interreligiös, denn ein muslimischer Arzt hat einer christlich-ritterlichen Gesellschaft gelehrt, dass die Wahrheit allein alle Blindheit besiegt. Liebe und ärztliche Kunst machen die blinde Jolanthe sehend, die im Käfig eines Lügenparadieses lebte weil man ihr weismachte, nichts zu sehen sei normal. Bis ein fremder Ritter das Lügenritual durchbricht und am Ende ein glückliches Paar von Angesicht zu Angesicht mit offenem Blick sehen kann, was beider Herzen längst erkannt hatten.

"mit konzentrierten, klaren Zeichen": Dirigent Vassily Sinaisky (Foto: M. Borggreve)

Das Orchester des Bolschoi-Theaters spielt diese Partitur unter der Leitung von Vassily Sinaisky hinreißend gut. Das Klangbild ist direkt, die Korrespondenzen ausgeglichen, ein unwahrscheinlich gutes Grundgefühl für Dynamik verbindet die Musiker. Der Dirigent kann mit konzentrierten, klaren Zeichen, ein hohes Maß an Wirksamkeit erreichen. Eingeschlossen deutliche Hinweise an das Publikum, für den Applaus nach den bravourösen Arien und Duetten der Protagonisten. Das Aufgebot an exzellenten Solistinnen und Solisten bis in die kleinste Partie macht die Aufführung zu einer Gala des russischen Operngesanges. Von russischer Seele durchweht ist der Gesang des gesamten Ensembles, die knappen Passagen des Chores eingeschlossen.

Lyrisch, zart, melancholisch oder kraftvoll, mit festen Höhender Tenors Vsevolod Grinov als Vaudémont. Ekaterina Scherbachenko hat für die Facetten der blinden und  sehenden Jolanthe einen leuchtenden Sopran, und in den Basstiefen mit dramatischer Kraft bei verblüffendem Volumen bereitet Mikhail Kazakovs Gesang glückliches Erstaunen. In bester Erinnerung der beherzte Lobgesang des Baritons Vasily Ladyuk als Robert auf seine schöne Mathilde. Von anderem Klang, weicher, nicht weniger kraftvoll Elchin Azizov als maurischer Arzt. Rund und warm der Mezzoklang Svetlana Shilovas Martha. Mit Yulia Aleksyuk und Alexandra Kadurina als Brigitta und Laura, sowie Boris Rudak und Pyotr Migunov als Almerik und Bertran, ist das kostbare Ensemble komplett.

Eine Textfassung des Artikels ist am 7. Juni in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.