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Parteidoktrin stört Orchesterkultur – das Landesjugendorchester probte den Eklat

Einen „hervorragenden Platz“ nehme dieses gemeinsame sinfonische Jugendprojekt innerhalb der sächsischen Beteiligung am Programm „Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung“ ein, schrieb der Sächsische Musikrat. Seit Ostern probten 39 chinesische Studenten und 42 Mitglieder des Landesjugendorchesters Sachsen gemeinsam in der eben erst eröffneten Landesmusikakademie auf Schloss Colditz. Am Freitag konzertierten sie zunächst im Döbelner Theater; zwei weitere Aufführungen in der Dresdner Musikhochschule und in der Chemnitzer Stadthalle folgten am Wochenende. Die Projektwoche bildete das Gegenstück zu einem Besuch der jungen sächsischen Musiker in Wuhan im vorigen Oktober.

Sowohl das Programm als auch die Besetzung aber entsprachen nicht den ursprünglichen Vereinbarungen. Milko Kersten, Dirigent des Landesjugendorchesters und auch bei den Schülern des Dresdner Heinrich-Schütz-Konservatoriums sehr populär, sagte seine Teilnahme ab. Mit ihm zwei weitere Dozenten und der ursprünglich vorgesehene Gesangssolist Andreas Jäpel aus Cottbus.

Den jungen und profilierten Dirigenten stört weniger, dass der Herbstbesuch in Wuhan eher der kulturellen „Dekoration“ von Wirtschaftskontakten diente. Es sind die Erfahrungen des Drills, dem die gutwilligen jungen chinesischen Talente ausgesetzt sind, und die Beobachtung des chinesischen Ko-Dirigenten Peng Jiapeng, die ihn von der Übernahme künstlerischer Mitverantwortung abhalten. Peng ist offenbar ein Günstling der Kommunistischen Partei und hielt nicht annähernd die Erwartungen, die bei den Vorgesprächen im Juni 2009 geweckt wurden. Ende Januar schrieb Kersten an den Musikrat und seinen Präsidenten Prof. Christoph Krummacher auch im Namen zweier weiterer Begleiter, „dass die künstlerische und pädagogische Qualität des chinesischen Dirigenten unserem Anspruch an musikalische Arbeit nicht kompatibel ist“. Ein „roher, forcierter, unausgewogener Klang“ zweier sehr unterschiedlicher Orchesterteile sei die Folge gewesen. Der Orchesterrat sprach sich im schon Herbst einstimmig gegen eine weitere Zusammenarbeit mit Peng aus. Es gab außerhalb der Proben und Konzerte keinerlei menschlichen Kontakt mit dem Dirigenten.

Kritisch, aber diplomatisch hatte bereits Torsten Tannenberg als Geschäftsführer des Musikrates im Dezember in gleichem Sinn nach Wuhan geschrieben. Daraufhin brach die chinesische Seite alle direkten Kontakte ab und redete nur noch mit dem Wissenschafts- und Kunstministerium. Das SMWK ahnte das drohende Politikum und erwartete vom Musikrat ein Nachgeben in allen Punkten, weil „die politischen und ökonomischen Beziehungen eine solche Konfliktlage nicht vertragen“.

Zumindest in künstlerischer Hinsicht aber wollte Milko Kersten nicht nachgeben und „unseren Anspruch verantwortungslos hergeben“. Der Kompromissvorschlag, den Dirigenten Peng Jiapeng zwar einzuladen, aber nur die chinesischen Werke dirigieren und darüber hinaus Hochschulen und Orchester besuchen zu lassen, wurde von den Chinesen abgelehnt. Milko Kersten betont noch einmal, dass er keinen Eklat provozieren und schon gar nicht den Sinn eines musikalischen Jugendaustausches in Frage stellen wollte. Im Gegenteil, er ist überzeugt, dass die ausgesuchten Talente des Landesjugendorchesters „trotzdem etwas aus dem Projekt machen“. Und er hat die Hoffung, dass die jungen Chinesen etwas über demokratischen Umgang und europäische Orchesterkultur lernen – bekanntlich auch im Abendland ein beliebter Stoff für Glossen. Wandel durch Annäherung, um mit Egon Bahr zu sprechen, sei gut, aber nicht, indem „Kontrolle und Parteigebaren über Landesgrenzen hinaus verlängert werden“. Beim Musikrat ist man jedenfalls froh, dass das 65 000 Euro teure Projekt nicht ganz gescheitert ist. Austausch und gemeinsames Tun sei stets wichtiger als lediglich gegenseitiges Vorspielen, heißt es.

Eine Textfassung des Artikels ist am 9. April in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.