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Einblicke in den Ballettalltag – die Dokumentation der Pariser Neueinstudierung von Nurejews letzter Choreografie auf DVD

Dass es dem Dresdner Ballettdirektor Aaron S. Watkin schon kurz nach seiner Übernahme der Kompanie möglich war ein so anspruchsvolles Werk der Ballettklassik wie „La Bayadère“ erfolgreich ins Repertoire zu nehmen ist erstaunlich. So lange ist dieses tragische Orientmärchen ja noch gar nicht außerhalb Russlands, wo es der berühmte Choreograf Marius Petipa 1877 in St. Petersburg mit der Musik von Ludwig Minkus, nach einer Erzählung von Théophile Gauthier zur Uraufführung brachte, zu sehen. Das phantastisch-romantische Ballett im idealisierten Orient indischer Prägung, inspiriert von exotischer Folklore und rituellen Tänzen um den tödlichen Treuebruch an einer Tempeltänzerin durch einen edlen Krieger bietet Anlass zu prachtvollen Tableaus, dramatischen Soli und sensiblen Pas de deux. Genial ist Petipas choreografische Idee, dem zerknirschten Krieger im Opiumrausch die getötete Geliebte – je nach Größe der Bühne und Stärke der Kompanie – in 24facher oder 32facher Wiederholung erscheinen zu lassen. Dabei bewegen sich die Damen des Corps de ballet als Bewohnerinnen des nächtlich-weißen Reiches der Schatten in einer höchst anspruchsvollen klassischen Figur auf einer schrägen Ebene  von den Höhen des Himalaya herab um dann in einem sogenannten weißen Bild das Unglückspaar in einer höchst anspruchsvollen Traumsequenz zu vereinen.

Nurejew selbst war in der Partie des edlen Kriegers auf den Gastspielreisen des damaligen Leingrader Balletts berühmt geworden, beim Gastspiel 1961 setzte er sich in Paris ab, die sagenhafte Weltkarriere begann. 1983 wurde er Direktor des Balletts der Pariser Oper und 1992 brachte er „La Baydère“ nach Paris. Er hatte die Originalchoreografie in St. Peterburg fotokopiert, durch Vermittlung Gorbatschows konnte er seine Heimat wieder bereisen. Auch in diesem Ballett hob er die Bedeutung des männlichen ersten Solisten an, gab ihm eigene große Variationen und deutete etliche Passagen der Protagonisten durch psychologische Grundierung besser aus. Es sollte die letzte Arbeit des damals schon schwerkranken Künstlers sein, der im darauffolgenden Jahr starb.

Eine bei Arthaus erschienene DVD zeichnet in einer gelungenen Dokumentation die Probensequenzen zur Wiederaufnahme dieser letzten Choreografie Nurejews im Jahre 2002 an der Pariser Oper auf. In Gesprächen kommen die Interpreten der Hauptpartien, Isabelle Guérin als Tempeltänzerin, Laurent Hilaire als edler Krieger Solor und Elisabeth Platel als dessen Verlobte, die auch zur Premiere 1992 tanzten zu Wort. Besonders gelungen sind die Passagen, in denen wir den Verlauf einer Entwicklung vom Probenstadium im Ballettsaal bis zur Aufführung verfolgen und etliches über die tiefe der Bedeutungen minimalster Gesten, Bewegungen oder Veränderungen im klassischen Kanon des Tanzes erfahren. So wird diese Dokumentation zu einer zu empfehlenswerten Schule des Sehens und der Wahrnehmung, wie auf der Grundlage technischer Exaktheit die individuelle Kunst der authentischen Vermittlung einer so persönlichen wie intimen Erfahrung werden kann. So lässt dieser Film von Francois Roussilion ahnen, dass die Möglichkeiten und Chancen einer so gestrengen Kunst wie der des Balletts längst nicht erschöpft sein können.