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Holger Hauer inszeniert Gershwin-Musical an der Staatsoperette

Pardon, wussten Sie dass der bekannte amerikanische Komponist George Gershwin gemeinsam mit seinem Bruder Ira ein Musical geschrieben hat, das in Dresden spielt? Sicher nicht, und da sind sie in bester Gesellschaft, denn auch ein Meister des internationalen Musical-Metiers wie der Schauspieler, Sänger, Autor, Regisseur und Übersetzer Holger Hauer wusste nichts davon. Er erfuhr davon in Dresden. Das unermüdliche Team der Staatsoperette, stets bedacht, den Horizont der musikalischen Unterhaltung zu erweitern, war auf das 1934 am New Yorker Broadway uraufgeführte Stück gestoßen und konnte sich die Rechte der Europäischen Erstaufführung sichern.

Zum ersten Mal kommt Gershwins vergessenes Stück nun auf eine Bühne der Stadt, in der es spielt. Holger Hauer arbeitete gerade in Dresden, er führte in der letzten Saison Regie bei der Uraufführung des Musicals „Der Mann der Sherlock Holmes war“. Noch während der Probenphase erhielt er die Anfrage des Intendanten, ob er denn auch als Regisseur für Gershwins Dresden-Musical zur Verfügung stehen könnte. Hauer, gerade sehr angetan vom Ensemble, den Arbeitsbedingungen und dem Anspruch des Hauses, sagte ja. Dass er nicht wissen konnte, worauf er sich einließ, bereut er heute ganz und gar nicht.

Kurz vor der Premiere des Musicals „Pardon My English“ treffen wir uns. Mir sitzt ein begeisterter Mann gegenüber, es macht Spaß zuzuhören, wenn er von Gershwins Stück, das er in einer produktiven Annäherung kennen- und lieben gelernt hat, erzählt. Musik und Text seien typisch für diese amerikanische Kunst der leichten aber eben nicht leichtfertigen Unterhaltung. Der tolle Schlagersound von damals sei unerreicht, dazu das liebevolle Spiel mit Klischees; die Kunst, Pointen auf gekonnte Weise nicht immer ganz direkt zu setzten, gewissermaßen das Lachen auf den zweiten Takt, so in der großen Tradition der Marx Brothers, die hier sicher Pate standen. 

Das ist doch ein Angebot für einen Musical-Spezialisten, das Stück hier auf die Bühne zu bringen! Es spielt in Dresden und Bad Schandau, und hier – das ist zudem ein genialer Einfall – ist es ganz im Gegensatz zu den USA bei Strafe verboten, Limonade zu trinken. Was daraus und aus der Tatsache, dass es in der sächsischen limonadenfreien Zone eine Gangster-, Detektiv- und Liebesgeschichte gibt, an turbulentem Geschehen gespielt, gesungen und getanzt wird, das wird nicht verraten.

Wie es Holger Hauer schafft, das phantastische Gestern mit dem Heute zu verbinden, ohne in billige Aktualisierungsattacken zu verfallen, davon sollen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer überraschen lassen. Das Ensemble der Staatsoperette ist jedenfalls in vollem Einsatz mit Solisten, Chor und Orchester. In den intimeren Szenen ist der Regisseur gefordert, jene Glaubwürdigkeit der Darstellung mit den Akteuren zu erreichen, in der alles Ungefähre fehl am Platz ist.

Holger Hauer kann mehr als Käse-Werbung (Foto: Karim Khawatmi)

Das Musical ist Holger Hauers große Liebe und Herausforderung. Damit fing alles an. Der 17jährige spielt in seiner Heimatstadt Münster in einer Musicaltruppe. Er singt in einer Band, die spielt 1984 am Theater Oberhausen für eine Produktion „Jesus Christ Superstar“ vor. Die Band wird engagiert und ihr Sänger auch, gleich für eine Solopartie. Holger Hauer singt und spielt den Judas, sein Debüt und der Anfang einer Karriere. Ohne Schauspielschule oder Musical-Akademie geht es von Oberhausen ins feste Engagement ans Theater Bielefeld, nach einer freien Phase mit acht Produktionen der „West Side Story“ an großen Häusern, wieder fest an das Staatstheater Saarbrücken. Gastverpflichtung nach Berlin, Theater des Westens.

Die Praxis ist die Ausbildung, Holger Hauer unterstützt seine Entwicklung zielstrebig und sucht sich Lehrer; dass da Anregung und Förderung nötig sind weiß er, aber eben in Verbindung mit der eigenen Anforderung und der der jeweiligen Herausforderung bringt er die Qualitäten seiner Darstellung, seines Tanzes und des Gesanges auf ein solches Niveau, dass auch die Angebote vom Film und vom Fernsehen nicht ausbleiben. Die Listen der Mitwirkungen sind ansehnlich, in der deutschen Musical-Szene hat Holger Hauer seinen Platz. Bald aber auch vor der Bühne. In Saarbrücken gibt er sein Debüt als Regisseur. Er erweitert das Repertoire und übersetzt bis dahin in Deutschland unbekannte Stücke wie „Lucky Stiff“ und „No Way To Treat A Lady“. Er inszeniert Uraufführungen, „Columbus“, und immer wieder die großen Erfolge des Genres, wie „West Side Story“, „The Black Rider“, „Evita“. 2008 tritt auch der Autor Holger Hauer auf den Plan, und nicht irgendwo: das Staatstheater am Gärtnerplatz in München bringt seine Rockoper „ChristO“ (nach Dumas, „Der Graf von Monte Christo“) zur Uraufführung.

Und jetzt gilt alle Kraft der Dresdner Erstaufführung. Die Arbeit ist eine Herausforderung, das Ensemble ist ein Geschenk. Hier gibt es ein hohes Maß an stimmlicher Flexibilität. Alle Rollen sind doppelt besetzt, das fordert letztlich doppelte Kraft, gilt es doch das Maß an Individualität des jeweiligen Darstellers auszuschöpfen, was zum anderen aber den kreativen Prozess einer Inszenierung beflügelt und vor Klischees bewahrt. 

Obwohl Hauer schon zum zweiten Mal in Dresden arbeitet: für eine angemessene Erkundung der Stadt, bisher hat es nur zu zwei Spaziergängen an der Elbe bei Pillnitz gereicht, ist wieder keine Zeit. Jetzt hofft er, dass möglichst viele Dresdner erleben wollen, wie ein Amerikaner vor 75 Jahren Dresden sah. Der Weg nach Leuben lohnt. Denn erstens, so Holger Hauer, wird man wunderbar unterhalten. Darsteller wie Elke Kottmair und Ann Mandrella, Christian Grygas und Marcus Günzel, Alfred Berg und Gerd Wiemer, sowie Jeannette Oswald und Romana Beutel alternieren in den Hauptrollen und haben gutes Gespür für den skurrilen Humor. Man erlebt zweitens großartige Musik unter der Leitung von Chefdirigent Ernst Theis, attraktive Choreografien von Andrea Kingston. Die Ausstattung von Chistoph Weyers ist im Licht von Uwe Münnich ein Augenschmaus. Und für alle die sich sonst entschuldigen müßten mit einem verschämten „Pardon My English“, hat Wolfgang Adenberg das Stück für die Dresdner Premiere ins Deutsche übersetzt.

Premierentermine: 27., 28. November

Eine Textfassung des Artikels ist am 26.11. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.