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„Na, dett Jeschäft is richtig!“ – Das »Rössl« als krachlederne Revue-Operette im Leubener Haus

Jürgen Mai (Giesecke) hatte immer was zu nörgeln (Foto: K.-U. Schulte-Bunert)

Die Wiedergeburt des „Weißen Rössl“ nach 60 Jahren würden wir jetzt erleben, jazzig und frech, in der wieder gefundenen Urfassung von 1930, so der Leubener Hausherr, Staatsoperettenintendant Wolfgang Schaller, vor Beginn der Premiere des Erfolgsstückes, zu der er die Nichte des Komponisten Ralph Benatzky herzlich begrüßt. Sie wird sich nach der Vorstellung herzlich bedanken und kundtun, dass man hier auf dem richtigen Weg sei, das junge Publikum für Stücke wie dieses zu gewinnen. So wird es wohl an meinem Alter liegen, wenn ich feststelle dass mir die drei Akte des Abends in drei Stunden ziemlich lang geworden sind.

Wesentlich frischer sollte der Wind über den Wolfgangsee wehen. Quietschbunte Kostüme, Latex, und Lederhosen reichen nicht. Ja, ja, hier und da klingt schon was auf und an vom flotten Charme der 30ger Jahre, mal jazzt das Saxophon, dann geht’s in Richtung „Dreigroschenoper“ ein Zithertrio setzt liebliche Kontraste, wird aber völlig unmotiviert auf die Bühne gesetzt und wieder weggemogelt. Dirigent Christian Garbosnik mag es auch eher zackig, was hörbar dem Bedürfnis, zur Operettenmilitanz kräftig im Takt zu klatschen, wirkungsvoll entgegen kommt. Nun hat man zwar für die Dresdner Neuinszenierung die jüngst in Zagreb gefundene Urfassung der Partitur zur Verfügung, aber eine Operettenrevue, wie sie 1930 Erik Charell als Megashow im krisengeschüttelten Berlin mit bis zu 700 Mitwirkenden auf die Vergnügungsbühne des großen Schauspielhauses für über 3000 Zuschauer brachte, ist für Dresdner Operettenverhältnisse derzeit noch etliche Nummern zu groß.

Also wagt Winfried Schneider als Choreograf und Regisseur mit einer von Matthias Grimmer und Henning Hagedorn erstellten Machbarkeitsfassung den Spagat, das textreiche Singspiel mit krachledernen oder walzerseligen Tanzeinlagen revuemäßig aufzuwerten und einigermaßen raumkompatibel auf die Bühne zu bringen. Auf die hat Daniel Gantz ein schlichtes Karussell mit Kühen, Pferden und bunten Vögeln gebaut, das dreht sich gemächlich, kann Gasthaus mit Balkonzimmer sein, Badestrand am Wolfgangsee, eine Alm ohne Sünd. Dass er für Sommerfrischler und Zehnminutentouristen etliche Tische und Stühle braucht ist verständlich, dass der Choreograf Platz braucht auch, also wird unentwegt hin und her geräumt und zur Not schon mal den Gästen etwas unsanft der Stuhl unterm Hintern weggezogen.

Ansonsten erzählt Winfried Schneider die Geschichte ohne größere Überraschungen. Ironische Widerhaken gibt es nicht wirklich, von erotischen ganz zu schweigen. Die Späße sind schlichter, als sie im Textbuch stehen. Das Ensemble mit Ballet, Chor und Solisten, denen die Verstärkung via Microport etliches ihrer Individualität nimmt, wird am Ende mit viel Beifall belohnt. Das gilt für Ingeborg Schöpf als Wirtin des legendären Gasthofs: geschäftlich überfordert, in Herzensdingen verwirrt.
Frank Oberüber ist ein vor allem rampenorientierter Oberkellner, der nicht zuschauen kann, dass sie nur den Dr. Siedler sieht, den Christian Grygas spielt, und sich gar nicht sattsehen kann an der attraktiven Ottilie der Jessica Glatte. Ihr Papa aus Berlin, der laute Nörgler, ist Jürgen Mai, Vertreter der einen Seite im stücktragenden Trikotagenstreit, vorne oder hinten knöpfen. Sein Kontrahent und Hintenknöpfer, Sülzheimer aus der thüringischen Provinz, kommt nicht an den See, dafür sein Sohnesfrüchtchen Sigismund. Marcus Günzel, aufgedonnert wie ein Papagei oder völlig kopfnackt, kann wirklich nichts dafür, dass er so schön ist. Das sieht Jeanette Oswald, das lispelnde Klärchen, auch so, die es samt Papa, Heinz Behrens als Professor arm und weltfremd, zu ihrem Glück hierher geweht hat.

Bevor sich alle Paare finden, das Rössl wieder einen Reiter hat und Trikotagen künftig nur noch vorn zu knöpfen sind, macht noch ein regierungsmüder Kaiser Station am Wolfgangsee. Er stiftet Frieden und Ehen und lässt uns wissen, dass man es ja als Kaiser auch nicht so leicht hat. So haben am Ende alle etwas voneinander, ihre Verbindungen sind nicht gänzlich frei von praktischen Erwägungen. Ein bisschen ernüchternd. Wäre da nicht noch ein viertes Paar, die Kathi und der Piccolo, die jodelnde Variante der Christel von der Post und der Lehrling in Sachen Gästebewirtung und charmanter Verwirrung. Beide eine Entdeckung. Miriam Lotz gibt ihr kräftiges Dresdner Debüt, Henryk Wolf kennen wir bisher als Tänzer in Schneiders flotter Truppe. Jetzt wissen wir, dass der Mann noch mehr kann, nämlich uneitel spielen, singen und tanzen, und das kann er zudem genregemäß und bruchlos verbinden.

So, das wars dann wieder. Groß und sensationell angekündigt muss man am Ende feststellen, dass in Leuben mit Elbwasser gekocht wird und sich gerade das Karussell ohne Wiedergeburtszeremonien andernorts schon wesentlich flotter drehte, es lustvoller darauf zuging, die Musik, selbst in Minibesetzung, ganz schön kess dazu spielte. Bestenfalls konnte man bei gut gearbeiteten Dialogen sogar die Melancholie schluchzen hören.

Eine Textfassung des Artikels ist am 22. Juni in den DNN erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.