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Auf dass die Musik unterm Baum erschalle

Fulminante Leistungen im Gesang und auf dem barocken Instrumentarium: »Cleopatra« verbindet das La Folia Barockorchester unter der musikalischen Leitung von Robin Peter Müller mit dem eindrücklichen Gesang von Regula Mühlemann. Schon bald kann man sie auch wieder live in Dresden erleben, doch die CD – entstanden neben großartigen Gastspielen quer durch Europa sowie im Nahen Osten – ist eine exemplarische Leistung. Darauf sind nicht nur absolut hörenswerte Meisterwerke von Graun, Hasse und Händel bis hin zu Scarlatti und Vivaldi vereint, hier sind zudem meisterhafte Gesangskultur mit perfekter Begleitung verbunden.

Und kaum war diese Scheibe (bei Sony ediert) auf dem Markt, legte das Barockorchester noch nach: »Rediscovered Treasures From Dresden« verspricht Wiederentdeckungen und Schätze. Keine Frage, hier wird gehalten, was versprochen ist. Kompositionen unbekannter, das heißt namenlos gebliebener Meister des Barock, die im berühmten Schrank II entdeckt worden sind. Das einstige Repertoire der Dresdner Hofkapelle, zum Leben erweckt durch die grandiosen Musikerinnen und Musiker des La Folia Barockorchesters. Ob hier ein unbekanntes Meisterwerk vielleicht von Vivaldi enthalten ist? Wir wissen es nicht, dürfen uns aber am zauberhaften Interpretationsstil dieses Ensembles erfreuen. Blitzsauberes Spiel, emotionale Gestaltung, da taucht man beim Zuhören durch die vergangenen Jahrhunderte ab. Aber ob damals wohl so exzellent aufgespielt worden ist?

Das ließe sich auch bei der neuesten Fortsetzung des Gesamtwerkes von Heinrich Schütz durch den Dresdner Kammerchor fragen. Deren Leiter Hans-Christoph Rademann hat in einer Box II nun die »Auferstehungshistorie«, die »Weihnachtshistorie«, die »Matthäuspassion«, die »Johannespassion« sowie diverse »Symphoniae Sacrae« versammelt. Eine Verbeugung vor dem Schaffen des einstigen Hofkapellmeisters, ein Beleg aber auch für die famose Interpretationskunst durch diesen Chor und wunderbare Musiker um den inzwischen verstorbenen Organisten Ludger Rémy.

Michael Ernst

Es gäbe da noch einiges an CDs aus Dresden zu besprechen! Wichtig und gut erscheint mir Matthias Lorenz‘ »Cello Einsatz«, seine zweite CD, die bei querstand erschienen ist. Zu erwähnen wäre am anderen Ende des Liebhaber-Spektrums vielleicht die Interpretation der H-Moll-Messe durch den 90jährigen Herbert Blomstedt (DVD Accentus). Dass das renommierte Carus-Label einen Sampler wie »Choral Christmas« mit zweifelsfrei exzellenten Aufnahmen herausgibt, stimmt mich dagegen nachdenklich… Indes wird auch diese Platte zweifelsfrei ihre aufgeschlossenen und vielfältig interessierten Liebhaber finden.

Weiterhin gab es dieses Jahr neue Aufnahmen von Frauenkirchen-Kantor Matthias Grünert (das Cherubini-Requiem c-Moll, musiziert vom Kammerchor der Frauenkirche Dresden und dem Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera) und dem Kathedralorganisten Johannes Trümpler (»Bach!?«). Was der geneigte Leser über die Platte »Olga Scheps spielt Scooter in der Bearbeitung von Sven Helbig« denkt, überlasse ich einfach ihm selbst…

Alexander Keuk

Im hundertsten Jahr der Unabhängigkeit war ich jüngst in Polen. Das Ballett erinnerte an Komponisten, die nach dieser Unabhängigkeit Werke in die Welt gesetzt haben. Da gab es drei Choreographien junger Choreographen. Der Tanz, die Musik, alles ein bisschen spätromantisch, aber mit Sensibilität behandelt. Eine Choreographie, eine Uraufführung, wurde zum 2. Violinkonzert von Szymanowski gegeben. Da kommt eine himmlische Vision vor – die langsam hochfährt und dann leicht bedrohlich über den Tänzern schwebt. Ja, die Vision der Freiheit, sie ist nicht ganz ohne Gefahr! Als ich danach zum Hotel ging und die betrunkenen Fahnenträger vorbeiströmten, dachte ich mir: die Kunst, sie kann doch reagieren. Wie werden sich die Künstler nun zu diesen politischen Entwicklungen verhalten?
Am nächsten Tag war ich im CD-Laden der Oper, es gibt ein Riesenangebot dort. Ich habe mir eine Box mit drei CDs unter Simon Rattle gekauft mit dem Birmingham Symphony, Chor und Orchester. König Roger, die Violinkonzerte, Sinfonie, Stabat Mater, Orchesterlieder… daran kann ich mich momentan nicht satthören im Nachklang zu diesem wunderbaren Ballettabend.

Noch ein Tip? In Vorfreude auf die nächste Premiere des Semperoper-Balletts, in der zum ersten Mal eine Choreographie von Frederic Ashton zu sehen sein wird, habe ich die DVD »The Dream« des American Ballett Theatre erworben. Das Stück ist irre. Ich hatte immer nur davon gehört, es dauert eine Stunde, erzählt ganz knapp die Sommernachtstraum-Geschichte, und ist eine Wahnsinnsherausforderung für die Tänzer in den Hauptpartien. Nächstes Jahr ist Ashtons 30. Todestag. Er war es, der mit seinem Ballett »Marguerite and Armand« Nurejews Weltkarriere angeschoben hat. Die CD habe ich mit Vergnügen, mit großer Freude genossen. Technisch werden unsere Dresdner Tänzer das auch großartig machen, da habe ich keine Zweifel.

Und dann bekam ich bei der letzten Premiere des »Nussknackers« in Zürich ein Geschenk: eine DVD mit Verdis »Messa da Requiem« unter Leitung von Fabio Luisi, Georg Zeppenfeld singt da mit. Ich hatte die Aufführung schon gesehen, deswegen habe ich sie noch gar nicht aufgemacht. Diese Choreographie eines großen chorsinfonischen Werkes habe ich zu meinem Favoriten der diesjährigen »Dance-for-you«-Umfrage gewählt – weil Christian Spuck es verstanden hat, den Chor, die Solisten und das Ballett choreografisch gleichwertig zu inszenieren. Was hast du davon, wenn der Chor im Orchestergraben von den Noten singt? Es ist nun nicht so, dass Zeppenfeld tanzte – aber der Choreograph hat den Chor und die Solisten in das Gesamtgeschehen eingefügt, und die Tänzer haben das sacht kommentiert, ohne irgendwelche Aktualisierungen zu machen. Sehr beeindruckend.

Spuck geht sehr frei mit Tschaikowski um, er lässt den Abend auf der Erzählung von ETA Hofmann basieren. Die Themen, die bei Tschaikowski wegfallen, hat er wieder hereingenommen, diese dunkle Romantik… Und diese Klammer: in der üblichen Fassung ist es Clara, die einen Nussknacker zu Leben erweckt. In Wirklichkeit taucht der schüchterne junge Neffe des Droßelmeyer auf. Der verwandelt sich natürlich dann in den Prinzen. Auf eine reale Figur projiziert das Mädchen ihre Wünsche und Sehnsüchte… Demnächst macht Spuck eine Faust-Choreographie – da werde sich sicherlich wieder in Zürich sein.

Boris Gruhl