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Ausflug in die Stiefelstadt

Auch wenn die Landeshauptstadt unbestreitbar kultureller Mittelpunkt des Freistaates ist, befinden sich doch, mal etwas weiter, etwas näher oder sogar ganz nah, noch weitere zwölf (!) Städte, in deren teilweise historischen und sehenswerten Kunsttempeln Musiktheater, Tanz und Konzerte stattfinden. Sieben Theater garantieren für ihre Städte, für ihre Kulturräume oder wie im Falle der Landesbühnen Sachsen mit dem Stammhaus in Radebeul für ein ganzes Land die kulturelle Grundversorgung des Musenlandes Sachsen. Keine Frage, zu den Theatern kommen etliche weitere Einrichtungen; aber wenn es um Oper, Operette, Musical, Tanz, Ballett und Konzertprogramme geht, dann geben diese mitunter auf beachtliche Traditionen begründeten Einrichtungen schon die stärksten Töne an. Was im musikalischen Bereich für die neue Saison geplant ist, und warum musikalische Ausflüge vor die Tore Dresdens lohnen, das möchte ich anhand ausgewählter Beispiele in meinen nächsten Montagskolumnen vorstellen.

Aus gegebenem Anlass beginne ich in Döbeln. Das ist die „Stiefelstadt“, denn aus Anlass ihres 600jährigen Jubiläums stellte die Döbelner Schuhmacherinnung 1925 ein fast fünf Meter hohes Prachtexemplar eines Stiefels im Rathaus auf. Nach längerer Abwesenheit ist der Stiefel, gerade gründlich restauriert und geputzt, jetzt wieder dort zu sehen. 

Seit 140 Jahren hat Döbeln ein Theater. 1872 wurde der angenehm sehenswerte Bau eröffnet, vor 100 Jahren brannte er ab, wurde wieder errichtet und in der aktuellen Saison wird der Kulturtempel, dessen Existenz es mehrfach zu bewahren galt, nach gründlicher Sanierung, nicht zuletzt in Sachen Brandschutz, mit der Premiere des Klassikers der Musicals, „My Fair Lady“, am 22. September wieder eröffnet. Die Technik wurde erneuert, das Haus bekam endlich ein richtiges Fundament, man sitzt bequem in neuen Sesseln, sogar etwas beleibtere Musik- und Theaterfans können auf etlichen extra gefertigten Sitzen die Kunst in gleichberechtigter Bequemlichkeit genießen. Die Sicht ist weitestgehend gut für alle auf den 280 Plätzen, und im erweiterten Orchestergraben können 45 Musiker der Mittelsächsischen Philharmonie locker sitzen. Sollten sie doch mal – musikalisch gesehen – ins Schwimmen geraten, liegt das nicht daran, dass unterm Orchestergraben ein Löschwasserbecken gebaut wurde.

Wenn es am 22. September zum Mitsingen und Mitklatschen schwungvoll von der Bühne schallt, „Hei, heute Morgen mach ick Hochzeit..“, dann geht es nicht nur um das künftige Eheglück des sympathischen Suffkopps Alfred P. Doolittle aus „My Fair Lady“, nein dann wird auch die Theaterehe zwischen Freiberg und Döbeln 20 Jahre alt. Es war die Rettung für Döbeln vor dem Aus, als sich die Stadtverwaltung auf massiven Druck der örtlichen Theaterfreunde 1992 gegen die Kreisräte dafür entschied, Gesellschafter der neuen Mittelsächsischen Theater- und Philharmonie gGmbH zu werden. Mitunter hat es gefunkt in der Theaterehe. Das verflixte siebte Jahr hat man überstanden, in Döbeln und auch im traditionsbewussten Freiberg mit dem ältesten Stadttheater der Welt.  

Die Jubiläumsspielzeit des Kulturraumtheaters, von dem letztlich beide Städte profitieren, steht unter dem Motto „Leidenschaft“. Und dieser Leidenschaft sind keine Grenzen gesetzt, denn in einer eigens konzipierten Fassung, die Dimensionen und Möglichkeiten beider Theater und ihres Ensembles berücksichtigt, wird das Wagner-Jahr am 1. Dezember dieses Jahres in Freiberg eingeläutet und am 12. Januar in Döbeln begrüßt. Passt doch auch noch zur Wiedereröffnung, „Dich, teure Halle, grüß ich wieder..“, hier wird nicht gekleckert, „Tannhäuser“ in einer mittelsächsischen Fassung steht auf dem Plan. Im März dann in Döbeln „Eugen Onegin“, und Ende April ersticht in Lorenzo Ferreros 1989 in Rom uraufgeführter Oper „Charlotte Corday“ nämliche Heldin den so revolutionskranken wie revolutionsmüden Jean Paul Marat in der Badewanne auf der Bühne des Döbelner Theaters. Wasser, wie gesagt, falls nötig, unterm Orchester.

Hinzu kommen Übernahmen aus der letzten Spielzeit. GMD Jan Michael Horstmann lädt in seinen Konzerten zu einer musikalischen Weltreise ein, bevor er als Oberspielleiter der Oper endgültig nach Radebeul, an die Landesbühnen Sachsen wechseln wird. Im Rückblick auf sein achtjähriges Wirken steht dann das Neujahrskonzert unter dem Motto „in acht Jahren um die Welt“, die sechs Konzerte finden in Freiberg, Frankenberg, Döbeln, Mittweida, Penig und Hartha statt. Für die Uraufführung der Saison ging der Auftrag an den Dresdner Komponisten Alexander Keuk: sein Konzert für zwei Violinen und Orchester erklingt am 21. März in Freiberg und tags darauf im Döbelner Theater.

Nächsten Montag geht der Blick nach Osten: in Görlitz befindet sich Deutschlands östlichstes Opernhaus.

Herzlich, bis dann, Boris Gruhl