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Nach dem Tod noch einmal kurz aufleben

Die Bühne ist in schwarze Dunkelheit getaucht. Die Unterwelt liegt brach und düster vor uns. Ein einsamer Baum soll nun Zeuge eines noch nie dagewesenen Spektakel werden. So wie der Mond sein silbernes Licht in das dunkle und tiefe Blau mischt, werden die Toten wieder lebendig. Ihnen wurde noch einmal Leben geschenkt.

Die Choreografin Irina Pauls und das Ensemble „Das Collectif“ haben sich in Salzburg gefunden, und verbinden auf der Bühne die Elemente Sprache, Tanz, Gesang, Rhythmik und instrumentale Musik miteinander. Das heißt, dass die Tänzer auch gleichzeitig singen, Rhythmen bedienen, Instrumente spielen und sich allein oder chorisch sprechend einbringen. Irina Pauls hat gut gewählt: das Ensemble des Mozarteums ist auf genau diese Verquickung spezialisiert.

"Stomping La Luna" verbindet Gesang, Tanz, Rhythmus, Sprache und Instrumentalmusik (Fotos: PR)

Die verwendeten Materialien geht auf das Werk von Carl Orff zurück, über den Irina Pauls intensiv geforscht hat. Im Stück Stomping La Luna hat die Leipziger Choreografin einen für sie zentralen Grundgedanken des Meisters aufgegriffen: in seinen weltweit beliebten pädagogischen Schulwerken hat Carl Orff nämlich nicht nur Unterrichtskonzepte angeboten, sondern auch animiert, die angebotenen Materialien zu nutzen, um weiterzudenken. Sie zum Beispiel in der eigenen Sprache, dem eigenen Konzept, und ganz besonders in der künstlerischen Vorstellung der Interpretatoren einzufärben und weiterzuentwickeln. Irina Pauls entnahm also Material von Carl Orffs Schulwerk „Musica Poetica“ und bediente sich seiner Oper "Der Mond". Um „Stomping La Luna“ zu erschaffen, hat sie die Geschichte gedanklich und kompositorisch weitergesponnen.

Das Stück basiert auf einer Utopie. Fragt man sich doch unweigerlich: wie sieht also ein Toter aus, dem noch einmal kurz Leben geschenkt wurde? Das Ensemble „Das Collectif“ hat bei der Interpretation des fast komplett choreografierten Stückes von Irina Pauls ganze Arbeit geleistet. Die Tänzer taumeln, fallen, rappeln sich auf, zittern und stoßen sich gegenseitig an. Sie erinnern an Zombies aus Gruselfilmen, und sind von den Bewegungen her doch fremd. Der Fluß der Energie ist visuell und musikalisch nachvollziehbar. In „Stomping La Luna“ ist der Untote in seinen Bewegungen sichtlich von seiner Energiequelle abhängig. Magisch und zwanghaft zugleich vom Mond angezogen.
Das reizvolle daran: Es gibt für ihn keine moralischen oder sozialen Schranken. Sein Unterbewußtsein scheint dem Naiven, einem gedankenlosen und gleichzeitig logischem Schema folgend. Er tanzt schwebend und bibbernd zwischen Licht und Schatten, Leben und Tod, Energie und Leere, vielleicht dirigiert vom silbernen Licht. Im düsteren Tanzspektakel gibt es für ihn trotz der Abhängigkeit vom Kraft spendenden Mond weder Kontrollen, noch Hindernisse, sich und seinen Körper in der Bewegung nicht endlich mal kennenzulernen, unterliegt er auch den Zuckungen der Energien. Irina Pauls stellt das kurze Leben nach dem Tod als besonderes Geschenk vor, welches einen magischen, provokanten, düsteren Beigeschmack hat. Die genauen Handlungsverläufe zwischen dem Wiedererwachen, einem Aufstand, den Auswirkungen von wellenförmigen Einflüßen auf die Interpreten scheinen dabei nebensächlich. Laut Irina Pauls ist das eigene Erleben der Geschichte beziehungsweise das Positionieren zum Geschehen der Schlüssel zur ihrem Stück. Jeder darf etwas anderes sehen. Mancher sieht nichts, dem nächsten eröffnet sich eine neue Welt.

Die in das Stück eingewebten Quellen wurden wunderbar deutlich und erfuhren im Gesamtwerk noch einmal ein ganz eigenes Aufleben. Wie im Grimms Märchen und in der daran inspirierten Orffschen Oper „Der Mond“ wurde von Petrus der Mond aufgehangen, und die Kinder ins Bett gebeten. Die Frage, wie der Mond in den Himmel gekommen ist, sei hiermit also schon mal geklärt. Den Bezug zur Unterwelt entschlüsselte Irina Pauls dabei während der Recherchen in den Orffschen Bibliotheken im Orff Zentrum in München beziehungsweise in der Bibliothek des Komponisten. Dort hat sie nach Eintragungen in der von ihm verwandten Literatur gesucht. "Für mich ist wichtig, den Orffschen Gedanken auf allen Ebenen aufleben zu lassen. Ihn hat der Mond mit seiner Mystik begeistert, und dennoch gab es für ihn ein klares, humanistisches Weltbild. In "Stomping La Luna" erfahren wir, was passieren kann, wenn wir das Mondlicht in die Unterwelt geben."

Als weitere Quelle kristallisierte sich der neu interpretierte Büchnertext „Es war einmal ein Kind“ aus „Woyzeck“ heraus, sowie „Willkommen, o silberner Mond“ aus dem Gedichtband der Klassiker. Beide Texte wurden von Carl Orff in seinen Schulwerken verwandt. Irina Paul hat versucht, sie aus dem pädagogischen Kontext heraus zu heben und in bearbeiteter Version in einen künstlerischen Kontext zu bringen. Ihr Stück setzt dabei ganz neue Inspirationen für den Umgang mit dem Werk von Carl Orff. Die Parameter Instrumentation, Texte und Bewegungen ordnen sich zum Beispiel neu. Ein gewagter Schritt, die Materialien neu zu ordnen, aufzubrechen, weiterzuentwickeln und ganze Passagen zu verändern. Schade, dass Carl Orff diese Interpretation nicht mehr selbst miterleben kann.

Ein Happy Ending gibt es übrigens auch. In der Schlußszene wandelt sich der Baustellenlampenmond in einen grinsenden Lampion, der die Auflösung ins Nichts verursacht. Und wieder stellen sich dem Zuschauer beim Beobachten des Spektakels neue Fragen: Kann ein Untoter eigentlich noch einmal sterben? Wird er diesmal endlich zur Ruhe gelangen? Ein Frieden breitet sich mit der Schlußmelodie aus, der die Unterweltbewohner dazu animiert, ihre letzte Energie in einen gemeinsamen Gesang zu kanalisieren. Statt wie bei Orff die Zitter erhebt sich erlösend die befreiende Geige. Der Mond begibt sich auf eine neue Reise, und die Unterwelt darf wieder in ewigen Schlaf fallen.

Wer diesen faszinierenden Stoff in einer berührenden Interpretation durch Irina Pauls und das Ensemble Das Collectif erfahren möchte, sei herzlich eingeladen, die Homepages nach Terminen und Informationen zu durchstöbern. Das Team tanzt weltweit von Bühne zu Bühne.