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Ein „sinnliches Konzept“ für ein „restbürgerliches“ Publikum: der Intendant Roland May im Gespräch

Fette Jahre hat die Kulturfinanzierung in Sachsen seit Beginn des Jahrtausends gewiss nicht erlebt. Aber eine relative Solidität war insbesondere in der abgelaufenen Legislatur seit 2004 schon eingekehrt. Das wird angesichts schrumpfender Kommunal- und Landeshaushalte nicht so bleiben. Darauf weist die neue Kunstministerin Sabine von Schorlemer ebenso hin wie ihre Vorgängerin, und darauf wollte schon 2007 ein von der Kulturstiftung in Auftrag gegebenes Theatergutachten vorbereiten.

Auch dem Theater Plauen-Zwickau brachte die im Jahr 2000 vollzogene Fusion nur eine vorübergehende Stabilisierung. Zu Beginne der neunziger Jahre hatte die Einsicht, allein nicht mehr überleben zu können, das 1898 eingeweihte wunderschöne Plauener Theater schon einmal zu einem geradezu tragischen Flirt mit dem reichen Theater im benachbarten Hof geführt. Aber die unsichtbare Grenze in den Köpfen erwies sich auch Jahre nach dem Abbau der DDR-Grenzzäune als stärker. Hof litt keine Not und sammelte 12.000 Unterschriften gegen eine Zusammenführung mit Plauen.

Nun befindet man sich schon fast zehn Jahre in einer Schicksalsgemeinschaft mit Zwickau, auf beiden Seite nicht freiwillig und nach wie vor mit einer „Eigenständigkeitsreserve“, wie der neue Generalintendant Roland May bei seinem Amtsantritt im vorigen Sommer feststellen musste. Und mit dem Auslaufen des Haustarifvertrages im kommenden Jahr geht es schon wieder an die Substanz. Dann klafft absehbar ein Loch von 3,1 Millionen Euro – bei einem Gesamtetat von etwa 16 Millionen. Der Aufsichtsrat der Theater-gGmbH hat dafür schon ein Krisenkonzept beschlossen. 32 der 340 Stellen sollen abgebaut, das Orchester um sechs Musiker verkleinert werden – wenn die Gewerkschaften mitmachen. Nur unter diesen Bedingungen sind die Gesellschafter der beiden Städte bereit, das verbleibende Defizit von 700.000 Euro zu decken.

Das ist die Kulisse, vor der der neue Intendant seine strategischen, konzeptionellen und künstlerischen Vorstellungen entwickelt. Roland May ist als Schauspieler künstlerisch von der hellwachen Ära Wolfgang Engel/Horst Schönemann am Dresdner Staatsschauspiel geprägt, stand Ende der achtziger Jahre als erster Pozzo der DDR in „Warten auf Godot“ auf der Bühne. Acht Jahre Intendanz in Zittau haben aber auch sein Talent als Überlebens-Künstler herausgefordert.

Es habe eigentlich keinen öffentlichen Druck und keine künstlerischen Gründe für die Ablösung seines Vorgängers Ingolf Huhn gegeben, erkennt Roland May dessen Verdienste insbesondere im Musiktheater an. Aber der Aufsichtsrat drängte auf eine neue Weichenstellung. Und die vollzog May seit seiner Berufung im Juni 2008 nicht ohne Schleudergefahr. Eben ein richtiger Intendantenwechsel. Zehn neue Leitungsmitglieder hat der Generalintendant um sich versammelt, der GMD soll im März endgültig berufen werden. Plauen-Zwickau war kein „Sprungbretttheater“ wie Zittau, und so möchte der Intendant künstlerisch zulegen. Präventiv wurden einige Verträge erst einmal nicht verlängert, auch die von Platzhirschen. Einige blieben schließlich doch, und so besteht das Ensemble heute je zur Hälfte aus bekannten und neuen Gesichtern. In jedem Fall motivierte Spieler, die sich entwickeln sollen und dürfen.

„Ich möchte das Theater künstlerisch über die Zeit so unangreifbar machen, dass es erhalten bleibt“, fällt irgendwann im Gespräch mit dem Intendanten der entscheidende Satz. „Wir sind es wert, auf uns kann man nicht verzichten“, sollten die Geldgeber denken, die mit dem Wandel vom Stadt- zum Regionaltheater künftig mehr im Landkreis zu suchen sein müssten. Der Spielplan solle sogar Akzente setzen, die auch einmal überregionale Interessenten ansprechen.

Der neue Stil löste erwartungsgemäß heftige Kritik bei Theaterbesuchern und in der Regionalpresse aus, obschon May ein ruhiger und verbindlicher Mensch ist. Die Abfindungen für nicht übernommene Künstler stehen gleichfalls in der Kritik. Das Beharrungsvermögen ist in kleineren Städten nun einmal größer, auch wenn die Bühne die viertgrößte in Sachsen ist. An ein neues, einheitliches optisches Erscheinungsbild muss man sich in Plauen und Zwickau ebenfalls gewöhnen, die Werbung wird aus den Stücken heraus entwickelt. Die Abo-Struktur ist übersichtlicher geworden, das Jugend-Angebot wurde kräftig erweitert. Mit einem Anpassungsprozess von zwei bis drei Jahren rechnet Roland May, der sich eigene Inszenierungen im ersten Jahr zunächst verkniffen hat.

Wo soll es konzeptionell hingehen? Der angestrebte Unverzichtbarkeitsstatus bedeutet nicht, jede Publikumserwartung affirmativ zu bedienen. Herausforderung muss ihren Platz neben dem üblichen Spielplan-Mix behalten, der sich um den Nukleus der Klassiker entwickelt. Eine solche Herausforderung kann schon eine keineswegs revolutionäre „La Traviata“ darstellen, erlebt im Zwickauer Gewandhaus. Regisseur Jan Richard Kehl imitiert eben keine Venediger Uraufführung von 1853. Das Bühnenbild besteht aus einer Art Landungsbrücke ins Irgendwo, Violetta ist als die Dame vom Edelstrich erkennbar, und ohne ein langes Kopulationsvideo geht´s auch nicht. „Ist halt eine moderne Inszenierung, musst du einfach mal wegdrücken“, besänftigt ein Herr zur Pause seine Frau. Wenige fliehen sogar und holen ihre Gardeobe. Drinnen aber gibt es nicht nur eifrigen Szenenapplaus, sondern am Schluss viele dankbare Bravos vor allem für überzeugende musikalische Leistungen. Am Ende lieben die Zwickauer ihr Theater ja doch.

Auf dieses „restbürgerliche“ Publikum muss sich Generalintendant Roland May einstellen. Einesteils konservativ in seinen Erwartungen, andererseits erziehbar. Immer wieder spricht er von einem „sinnlichen Konzept“, bei dem Zeit und Kostümierung sekundär bleiben und auf die Übersetzungsfähigkeit des Zuschauers vertraut wird. Von narzistischen Attitüden des Regietheaters hält er nicht viel und mag keine Dekonstruktion von Stücken. „Die Dichter-Intention war damals eine gegenwärtige. Wir sollten sie als Impuls aufnehmen und das, was auf der Bühne passiert, so passieren lassen, als entstünde es im Augenblick!“

Zeitgenössische Uraufführungen wie „Bombel“ nach dem Roman von Miroslaw Nahacz überspringen diese Adaptionshürde. Es ist der 75-Minuten-Monolog eines an den Rand Geratenen, der an der Bushaltestelle übernachtet, womöglich seine letzten Träume träumt, nach Freunden ebenso sucht wie nach solchen, auf die er noch spucken kann. Ein Tagesthema, aber ebenso ein Theaterwagnis. Tom Keune bewältigt es auf eine die Zuschauer erschütternde Weise. Und das sind in diesem Fall ganz überwiegend junge Leute.

Eine Generation, die man aber auch in der Oper gesehen hat. Es kann also funktionieren, wenn, wie nun in Plauen-Zwickau, die meisten an einem Strang ziehen. Das Theater will mehr leisten als die von Kulturpolitikern gern beschworene „Kulturelle Grundversorgung“. „Wir sind ein Kunstinstitut“, erklärt der Intendant selbstbewusst.

Eine Textfassung des Artikels ist am 20. Februar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.