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„Das wäre doch ein schönes Lebenswerk“

Foto: Marco Borggreve

Hans-Christoph Rademann, stimmt es, dass der Dresdner Kammerchor 1985 ein bisschen aus Langeweile entstanden ist? 

Das war so: Die Initialzündung kam bei der Apfel- und Kartoffelernte, zu der wir in der DDR während des Studiums fahren mussten. Abends saßen wir in Struppen in der Jugendherberge. Ich hatte Noten mitgebracht, um die Zeit ein bisschen angenehmer zu gestalten. Es gab wenig Möglichkeiten der Freizeitgestaltung – deshalb haben wir angefangen zu singen. Daraus entstand die Idee, ein festes Ensemble zu gründen. Nach der Erntezeit im Oktober habe ich versucht, in Dresden eine feste Truppe zusammenzubekommen. Wie man heute nach fast 40 Jahren sieht, ist das ja auch großartig gelungen.

Ein heller Leitstern für den Chor war ein Jahrzehnt lang Heinrich Schütz. 2019 erschien die letzte CD der Gesamtausgabe. Wie fanden und finden Sie nach so einer langen und intensiven Beschäftigung, nach der Verleihung des Internationalen Schütz-Preises 2018 an Sie und dem OPUS KLASSIK für die „Beste editorische Leistung“ 2020, wieder neue Impulse und Repertoire-Herausforderungen?

Der Kammerchor hat tatsächlich eine große Entwicklung genommen im Bezug auf die Beschäftigung mit Heinrich Schütz. Das war viele Jahre unser zentrales Thema. Aber wir haben das Repertoire auch immer sehr weit in Richtung 20. Jahrhundert gezogen. Manchmal kommen Anregungen von den Sängern, was sie einmal gerne singen möchten. Ich habe da meinem Vertretungsdirigenten Stefan Parkman, der mich in der Saison 2023/24 auch an der Musikhochschule vertreten hat, sehr viel Freiheit gelassen. Nicht zuletzt, weil ich jüngeren Nachfolgern die Möglichkeit gebe, mit dem Chor zu arbeiten, dreht sich das Repertoire nicht immer wieder um seine eigene Achse, sondern erweitert sich. 

Ich selbst bin allerdings ein großer Freund der Kontinuität und Pflege bestimmter Werke, die einen lebenslang in Beschlag nehmen. Das Werkpaar „Verleih uns Frieden gnädiglich“ / „Gib unsern Fürsten“ von Heinrich Schütz, die Lieder für gemischten Chor von Mendelssohn, die einfachen Lieder „Die Nachtigall“ oder auch „O Täler weit, o Höhen“ – das sind so wertvolle und tiefgründige Stücke, dass man sich auch viele Jahrzehnte damit intensiv beschäftigen kann.

In Stuttgart leiten Sie seit 2013 die Internationale Bachakademie. Aber zum Dresdner Kammerchor kommen Sie als Chorleiter quasi immer wieder ‚zurück in die Heimat‘, kann man das so sagen?

Der Lebensmittelpunkt und die Heimat meiner Familie ist Stuttgart. Aber klar, Dresden ist auch Heimat geblieben. Ich habe jetzt quasi zwei Orte, an denen ich mich wohlfühle. Es ist mir immer eine Freude, zum Dresdner Kammerchor zurückzukehren, denn ich bin ja regelmäßig in Dresden, weil ich an der Musikhochschule eine Professur für Chorleitung habe.

Foto: Antje Kroeger

Wie entstehen die Programme des Chors? Gibt es dramaturgische Leitlinien von Ihnen, und das Dresdner Team setzt diese um? 

In Dresden haben wir die Gruppe, die sich um die Programmatik kümmert, jetzt etwas erweitert. Mit Oliver Geisler hatten wir lange Jahre einen ausgezeichneten Dramaturgen, der seine Arbeit leider nicht fortsetzen konnte. Jetzt habe ich mit Inga Distel eine junge Assistentin und mit Alexander Keuk einen Komponisten, der auch musikdramaturgisch vollständig gut aufgestellt ist. Wir haben daneben eine Befragung unter den Chormitgliedern gemacht über die Lieblingsstücke. Diese Liste werden wir uns jetzt genau ansehen. Insofern entsteht das Programm durch einen gemeinsamen Prozess, auch wenn der künstlerische Leiter dann final entscheidet. 

Die Musik von zeitgenössischen Komponisten wird besonders im 40. Jubiläumsjahr eine Rolle spielen. Es ist ohnehin in regelmäßiger Abfolge immer wieder zu Uraufführungen gekommen. Die Chorbesetzung ist sehr flexibel. Aufgrund dieser Tatsache können wir sehr unterschiedliche Programmatik in sehr hoher Qualität darstellen, von klein besetzten Werken bis zur großen Riege, die mit Orchestern wie der Dresdner Philharmonie oder den Bamberger Symphonikern zusammenarbeitet.

Wo sehen Sie den Dresdner Kammerchor zu seinem 50. Jubiläum?

Es wäre eine schöne Zukunftsvision, den Dresdner Kammerchor bis zu seinem 50. Jubiläum zu leiten. Dabei gilt es nicht nur, die musikalische Entwicklung voranzutreiben. Vor allem die finanziellen Rahmenbedingungen, das Chormanagement, die Marketingaufgaben, die Publikumsgewinnung usw., dafür brauchen wir kulturpolitische Weitsicht! Mein Wunsch wäre es, dass Stadt und Land den Chor da zukünftig gemeinsam noch stärker unterstützen. 

Derzeit eröffnen sich wunderbare Perspektiven in der Zusammenarbeit mit der Dresdner Philharmonie, den Dresdner Musikfestspielen und der Dresdner Frauenkirche. Ein Hauptschwerpunkt wird natürlich immer die Aktivität im Land Sachsen, insbesondere beim Musikfest Erzgebirge sein. Meine Vision ist es, den Dresdner Kammerchor zum festen Bestandteil der sächsischen Kulturlandschaft werden zu lassen. Das wäre doch ein schönes Lebenswerk!

6. September 2025 – 19.30 Uhr – Dreikönigskirche

ZentralVokal.Loben


Heinrich Schütz (1585–1672) – „Herr, auf dich traue ich“
Heinrich Schütz – „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“
Johann Hermann Schein (1586–1630) – „Ihr Heiligen, lobsinget dem Herrn“
Johann Sebastian Bach (1685–1750) – „Lobet den Herrn alle Heiden“
Reiko Füting (*1970) – „Mit Dank: denken; dankend, denkbares.“
Frank Martin (1890–1974) – „Messe pour double chœur a cappella“

Tickets
22,00 € (erm. 18,00 €)
5,00 € (bis 14 Jahre)
office@dresdner-kammerchor.de
+49 (0)351 80 44 100 oder unter reservix.de

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