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Fafner mit Flüstertüte

Was für ein Klangexperiment: Hanno Müller-Brachmann (Fafner) mit akustischer Verstärkung (Foto: Oliver Killig)

Oper im Konzertsaal erlaubt immer unerwartete Einsichten. Ohne Szene ist man dem Text, der Musik ganz anders ausgesetzt, sieht die Handlung mit den Ohren. Selbst Musikverrückte setzen sich selten in den heimischen Ohrensessel und geben sich die vier Stunden von Wagners »Siegfried« am Stück. Ich zumindest nicht, muss ich gestehen. Dafür fehlt mir schlicht die Zeit und bei »Siegfried«, ehrlich gesagt, auch der innere Drang.

In der konzertanten Aufführung im Kulturpalast wird mir dann auch bewusst, warum: »Siegfried« ist einfach nicht sehr kurzweilig. Am dritten Abend des »Rings« wird zusammengefasst, rekapituliert, wiederholt und das alles in wirklich langen Zwiegesprächen, deren dramaturgische Aufhänger eher fadenscheinig daherkommen: Quizshow bei Mime und Wotan, Auffrischung der Familientraumata bei Erda, Siegfried und Brünnhilde. Die Handlung selbst ist eher mager: junger, nerviger Held schmiedet Zauberschwert, tötet Wurm, findet Ring, und Weib. Warum Weib und Held aber füreinander entbrennen, quasi ungesehen, um sich dann eine gute halbe Stunde ineinander chromatisch zu verzehren, sollte man nicht psychologisch hinterfragen wollen. Märchenlogik? Schicksal? Männerphantasie?

Beim Sehen mit den Ohren fällt auf, wie viele Rösser, Schwerter und Speere moderne Inszenierungen im Fundus belassen oder geschickt zu Metaphern umdeuten. Es fällt aber auch auf, wie umfassend Wagners Wahn zu Geschlecht und Rasse im »Siegfried« waltet. Im Konzert liegt Wagners auskomponierter Antisemitismus vor uns wie auf dem akustischen Seziertisch. Siegfrieds melodiöse Kantilenen schwimmen im Klangstrom — hier hat jemand volles musikalisches Naturrecht, obwohl doch eigentlich nur unreifer Großklotz. Mime hingegen hämmert seine schrägen Sprachakzente, verschrobenen Intervalle immer gegen den orchestralen Fluss. Entwindet sich ins Falsett, verzerrt jede interpunktierende Kadenz, beherrscht nicht die Grammatik des Wagnerschen Idioms. Mime spricht “fremdartig und unangenehm”. Es ist “ein zischender, schrillender, summsender und murksender Lautausdruck”, wie Wagner in seinem berüchtigten Aufsatz zum »Judenthum in der Musik« seine Vorurteile zur “jüdischen Sprechweise” zusammenfasst.

Thomas Ebenstein als Mime präpariert das gewollt Unmusikalische dieser Partie mit höchstem musikalischen Sachverstand heraus, erlaubt uns den messerscharfen Blick in den Abgrund. Er singt, spricht, falsettiert, entfremdet den Vokalklang, schleift keine der musikalischen Schieflagen, sondern spitzt sie zu. Zugleich hat er Spaß an den Absonderlichkeiten des Zwerges als Märchen-Opern-Bösewicht. Er nutzt dabei eine höhere Bandbreite stimmlicher Möglichkeiten, als heutzutage üblich ist, und folgt damit der historischen Aufführungspraxis der Wagnerzeit, wie sie die Musikwissenschaft anhand von Quellen versteht. Ganz dem Bühnendeutsch des 19. Jahrhunderts entsprechend rollt Ebenstein nahezu ausnahmslos jedes R mit hämischer Freude. Immer wieder grenzt sein Gesang an ein melodisches Sprechen. Er krächzt, er speit, er süßraspelt — und all das mit einer Textverständlichkeit, bei der man sich eher im Schauspiel als in der Oper wähnt!

Unter Nagano sächselt das Orchester… (Foto: Oliver Killig)

Ein solch dynamisch differenziertes Rollenporträt ist möglich, weil auf historischen Instrumenten gespielt wird. Und die sind vor allem erstmal leiser! Bei Janowskis sinfonisch angelegtem »Ring« mit der Dresdner Philharmonie wurde man vom Orchester förmlich in die Sitze des Palasts gepresst und sah manchmal nur, wer da gerade sang. Bei Kent Nagano und dem Festspielorchester gerät der Kulturpalast in seiner fast kammermusikalischen Qualität nie auch nur ansatzweise an seine Schallgrenzen. Aber auch der Sound ist ein anderer: Darmsaiten und Naturhörner sind weicher, wärmer. Wagner sächselt beim Festspielorchester. Die Balance zwischen Bläsern und Streichern scheint sich mühelos, fast natürlich einzustellen. Franz Draxinger verwandelt das Hornsolo des zweiten Aktes ohne alle Ventile in moosweichen Honigwald. Zugleich ist der obertonreiche Klang dichter, was zum Teil dafür verantwortlich sein mag, dass hier und da Phrasen verwaschen. Insbesondere das glissandierende Legato der Streicher — eine weitere historische Spieltechnik — ist gewöhnungsbedürftig für modern geschulte Ohren. Gelegentlich klingt es uneinheitlich und führt zu einer Art weichem Klappern. Hier scheint der experimentelle Charakter des Projektes durch. Vermutlich bedarf es jahrelanger Vertrautheit mit Idiom, und mehr noch mit der Gruppe, um hier unisono immer überzeugende Ergebnisse zu erzielen.

Mediales Klangexperiment, im Sinne von Klangerfahrung, ist auch Hanno Müller-Brachmanns Interpretation des Fafners. Er singt den Riesen mittels einer großen kupfernen Flüstertüte aus der Mitte des Orchesters. Gen Decke gerichtet verstärkt dieses Sprachrohr seine Stimme ins Riesenhafte. Aus allen Richtungen dröhnt es, ortlos bedrohlicher Dolby Surround Sound vor der Erfindung elektroakustischer Anlagen.

Als Siegfried gibt Thomas Blondelle sein Rollendebüt, das es in sich hat. Denkt man an Kollo, Jerusalem oder Schager als typische Heldentenöre der modernen Tradition, wird man hier öfter überrascht. Man hört dem Siegfried des belgischen Tenors die Breite seines musikalischen Repertoires an: von Operette bis Debussy findet sich hier fast alles, was spezialisierte Wagnersänger, diese reisenden Stimmmaschinenwunder, gewöhnlich meiden. Und so gestaltet er auch den variantenreichsten Siegfried, den man sich vorstellen kann. Er wechselt mühelos zwischen spielerischem Witz und lyrischem Schmelz, baritonaler Wärme und tenoraler Furchtlosigkeit. Jede Zeile scheint neu, aus sich heraus gedacht. Und gerade im ersten Akt wetteifern Ebenstein und Blondelle mit einem Feuerwerk musikalischer Einfälle. Dieser Siegfried ist musikalisch eigentlich zu intelligent für die Partie – aber wahnsinnig unterhaltsam.

Nächstes Jahr findet dieses Experimentallabor bei den Dresdner Musikfestspielen und in ausgewählten Musikmetropolen, pünktlich zum 150-jährigen Jubiläum des Rings, seinen Abschluss mit der »Götterdämmerung«.

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