In Serbien gilt sie als Grande Dame der zeitgenössischen Musik, hierzulande ist sie nahezu unbekannt. Das soll sich nun ändern.
Noch ein Festival in Dresden? Aber ja! Ein Mikrofestival zu Ehren der serbischen Komponistin Ljubica Marić, um dem hiesigen Publikum Leben und Werk dieser vermutlich selbst Kennern der Musik des 20. Jahrhunderts eher unbekannten Künstlerin vorzustellen. Ljubica Marić lebte von 1909 bis zum Jahr 2003, hat mithin die wesentlichen Teile der Musikentwicklung des 20. Jahrhunderts begleitet. In Serbien gilt sie längst als Grande Dame der zeitgenössischen Musik, hierzulande ist sie nahezu unbekannt. Das soll sich ändern, deswegen gibt es vom 9. bis zum 11. Mai das Ljubica-Marić-Mikrofestival »Songs of Space«. Drei Tage lang wird zu Konzerten und einem Symposium in die Dresdner Musikhochschule, die SLUB (Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek) sowie in die Lukaskirche geladen.
Dort erklingen zum Abschluss des neuen Mikrofestivals Ljubica Marićs »Songs of Space«, Lieder für Chor und Orchester, interpretiert von der Vogtland Philharmonie und der Singakademie Dresden, musikalisch geleitet von Michael Käppler. Der Dirigent hat das Festival wesentlich initiiert, nachdem er bei einer Recherche zu serbischer Musik auf das Schaffen dieser Komponistin gestoßen ist. »Wow, was ist denn das?«, hat er mit Erstaunen gefragt und sich gewundert, dass die Musik von Ljubica Marić hierzulande weitgehend unbekannt ist. Dabei gab es vor knapp einem halben Jahrhundert sogar eine Begegnung mit der Sächsischen Staatskapelle, wie Käppler herausfinden konnte: »Sie ist 1976 in Dresden gewesen zu Proben unter Herbert Blomstedt für eine Tournee nach Jugoslawien und Italien, bei der ihre Passacaglia aufgeführt wurde, ein Orchesterstück.« Eine Aufführung in Dresden soll seinerzeit allerdings nicht stattgefunden haben.
Angesichts des Renommees, das Marić in Serbien genießt, geradezu erstaunlich. Zumal sie mit ihrem Schaffen einst selbst einen Dmitri Schostakowitsch beeindruckt haben soll. Die aus Belgrad stammende Pianistin Mirjana Rajic, seit 2008 Dozentin an der Dresdner Musikhochschule, ist daher sehr glücklich, dass die von ihr verehrte Ljubica Marić nun endlich auch hiesigem Publikum entdeckt werden soll: »Ich habe Ljubica Marić schon sehr früh gespielt, sie ist unsere erste und bedeutendste Komponistin. In Serbien wird sie sehr viel gespielt, deswegen freue ich mich umso mehr, dass dieses Festival jetzt in Dresden stattfinden kann.«

Mirjana Rajic wird gemeinsam mit Christiane und Daniel Thiele vom Freien Ensemble Dresden Kammermusik von Ljubica Marić interpretieren und darüber hinaus drei Preludes für Klavier solo aufführen. »Ich hatte leider keine Gelegenheit, sie persönlich kennenzulernen, aber ich freu mich, dass ich jetzt auch Werke, die ich noch nicht gespielt habe, bei diesem Festival spielen kann. Zum Beispiel „Torzo“, das ist ihr letztes Werk, da ist eine ganz andere Musiksprache zu hören.«
Für die serbische Pianistin kommt mit diesem Mikrofestival vielleicht ein Stück alte Heimat nach Dresden. Dabei dürfte Ljubica Marić durchaus als Europäerin gelten: »Sie hat auch in Prag studiert, war die erste Dirigentin aus Serbien und eine der ersten in Europa. Sie hat in ihrem Leben sehr viel und in ganz unterschiedlichen Richtungen komponiert, hat sich ausprobiert, war von Josef Suk ebenso beeinflusst wie von Schönberg und hat selbst gesagt, sie habe alles von der Volksmusik gelernt. Man kann sehr viel Volksmusikelemente in ihrem Werk erkennen.«
Für die Pianistin also eine willkommene Wiederbegegnung, für den Dresdner Dirigenten Michael Käppler hingegen eine erste Begegnung. Überraschende Folgen seiner Recherche. Die »Songs of Space« haben es ihm in besonderer Weise angetan, nicht nur aus musikalischen Gründen: »Die Texte sind ein gewisses Kuriosum. Sie stammen von Grabsteinen einer mittelalterlichen christlichen Sekte der Bogomilen, die sich in Bosnien und Herzegowina finden, und beleuchten das Thema Tod auf eine für uns sehr ungewöhnliche Weise. Ein Text sagt zum Beispiel, „ich habe mich vor langer Zeit hingelegt und lange habe ich noch zu liegen“. Also kein Gedenken, wie wir es heute pflegen. Die Grabsteine zeugen auch von den Konflikten, in denen sich diese Sekte befand, zum Teil in äußerster Brutalität, etwa „sie schlitzten mich auf, sie häuteten mich“. Aber auch Tod als Schicksal, zum Beispiel „Ich betete zu Gott und dann schlug der Blitz mich tot.“«
Makaber? Mag sein. Noch dazu in einer musikalisch faszinierenden, die Moderne mit historischen Einflüssen verschmelzenden Musik, die auf altkirchenslawischen Sprachen basiert. Käppler meint, die Komposition sei »auf jeden Fall illustrierend in der Musik, die eine absolute Zeitlosigkeit ausstrahlt. Das ist Raum, Zeit und Existenz, was sicherlich auch ein Grund dafür ist, dass sie so weit in die Vergangenheit zurückgeht, sowohl musikalisch als auch textlich.«
All diesen Rückbezügen zum Trotz gilt Ljubica Marić jedoch als bedeutende Erneuerin der serbischen Musik. Das Dresdner Mikrofestival ist somit die Chance zum Entdecken. Entdecken einer Künstlerin, die aus Michael Käpplers Sicht völlig zu Unrecht im Schatten anderer Größen des 20. Jahrhunderts steht.
Grund genug für den Deutschlandfunk, das Konzert aufzuzeichnen und in einer späteren Sendung auszustrahlen.