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In Bautzen wird gefeiert

»Bechmy, smy, budźemy« – Wir waren, wir sind, wir werden sein. 4. Satz: »Vorsommer«. Szene mit Ballett und Chor. Alle Fotos by i-design

70 Jahre Sorbisches Nationalensemble – nicht denkbar ohne das Ballett, das seit 2011 erfolgreich von Mia Facchinelli geleitet wird.

Zwei große Ereignisse stehen an für das Sorbische Nationalensemble in Bautzen. Vor 70 Jahren begannen die ersten Proben des damaligen Sorbischen Volkskunstensembles mit Orchester und Chor. Von Beginn an mit dem Tanz, bald dem Ballett des in seiner Art weithin einmaligen Ensembles, dessen künstlerische Bedeutung auch bald zu einer besonderen Kraft des optischen Ausdrucks, sowohl sorbischer Traditionen aus den Anregungen der Folklore und dann auch vor allem mit den ästhetischen Dialogen in den Spiegelungen zeitgenössischer Tanzkunst.

Im Oktober vor 70 Jahren wurde das Sorbische Volkskunstensemble gegründet. Der erste öffentliche Auftritt im Dezember 1952 am Cottbusser Theater war der eigentliche Start für die spätere Umbenennung: Sorbisches Nationalensemble. Inzwischen war dieses einmalige Ensemble auf vier Kontinenten in mehr als 40 Ländern als Kulturbotschafter des sorbischen Volkes unterwegs. Zum Jubiläum im Oktober wird zudem der Neubau für das Ensemble mit Aufführungs- und Probenräumen sowie einem Verwaltungstrakt eröffnet.

Da traf es sich aktuell wahrhaft gut, dass die wegen der Corona-Einschränkungen verschobene Großproduktion des Ensembles mit allen Sparten und Solisten, ein großes Tanz- Musik- und Bewegungstheater, in der Choreografie und Inszenierung von Mirko Mahr, mit dem Librette von Philipp J. Neumann, gewissermaßen als Start für die Jubiläumsfeiern seine Uraufführung am Theater in Bautzen feiern konnte.

Denise Boccia, Liam Gianccuzo, Ensemble

»Wir waren – Wir sind – Wir werden sein« heißt diese Produktion zur Musik von Korla Awgust Kocor, einem der bedeutendsten sorbischen Komponisten, der vor 200 Jahren geboren wurde. Die Musik wurde aus seinen Oratorien zu den Jahreszeiten zusammengestellt, teilweise neu orchestriert und als klangliche Verbindung zur Gegenart mit dezenten elektronischen Passagen verbunden. Mit dieser Abfolge der Jahreszeiten gelingt es, insbesondere durch die Kraft der choreografischen Inszenierung der Frage nachzugehen, wie es, „in den vergangenen einhundert Jahren einem als Minderheit lebenden Volk gelingen konnte, sich trotz allen drastischen Unterdrückungsversuchen zum Trotz am Leben zu erhalten.“, wie es im Begleitheft heißt.

Immer wieder ist es der Tanz, in der Kraft der Gruppe, nachdenklich oder auch verzweifelt, in solistischen Passagen, einander aufhelfend und auch schon mal in hoffnungsvollen Hebefiguren Visionen der Freiheit in der Kraft des Klanges und des Tanzes hör- und sichtbar zu machen. Auf den Herbst von 1919, nach dem Ende des Krieges, mit dem so hoffnungsvollen Aufbruch, bei dem natürlich die Traditionen des Tanzes in der Verbindung mit dem Erbe der Folklore von besonderer Bedeutung sind, folgt der Winter 1937, mit Verboten und Verfolgung, Verhaftungen durch die Gestapo, und doch auch mit den Momenten der Hoffnung und politischem Widerstand. Hier sind es die choreografischen Momente der Einsamkeit, der Verzweiflung und doch immer wieder des hoffnungsvollen Aufbruchs, wie an jenem Weihnachtsabend des dunklen Winters 1937.
Dann ein Sprung in den Frühling 1980, mitten hinein in die Versuche der DDR-Kulturpolitik alles einer Gleichschritt-Choreografie unterzuordnen, was auch die Abkehr junger Menschen vom Sorbentum mit sich bringt.

Und dann, im so widersprüchlichen wie dennoch auch hoffnungsvollen Finale, ganz gegenwärtig, im Frühsommer dieses Jahres, gilt es, sich zum einen, touristischer Vermarktung zu widersetzen. Aber eine größere Herausforderung bedeutet es, damit umzugehen, dass eine neue, junge Generation in eigenen Formen des Tanzes und Farben der Kleidung – da kann schon mal ein Regenbogenshirt dabei sein – sich mit Traditionen auseinander setzen muss um somit sich auch vor allem selbstbewusst der Gegenwart, um der Zukunft willen, nicht zu verschließen. Bester Anlass für das jubelnde Finale, mit stürmischem Tanz. Stürmisch ist dann auch der jubelnde Applaus des Publikums. Und ganz nach sorbischer Tradition wird gesungen, ein Lied des Dankes für die Künstlerinnen und Künstler.

Später wird der Choreograf und Regisseur, Mirko Mahr, selbst mit sorbischen Traditionen bestens vertraut, nach seiner Zeit als Tänzer beim Leipziger Ballett, vor allem auch geprägt durch Uwe Scholz, jetzt Chefchoreograf und Ballettdirektor der Musikalischen Komödie in Leipzig, ganz besonders die bestens aufgestellte Ballettkompanie des Sorbischen Nationalensembles betonen. Und das hat einen Grund, einen Namen: dafür steht vor allem Mia Facchinelli, die nun seit elf Jahren hier als Ballettmeisterin und Leiterin der Kompanie, wie ganz aktuell wahrnehmbar ist, hervorragende Arbeit leistet. Der Name sagt es, sie kommt aus Italien, aus Trento, besuchte die Ballettschule in Reggio Emilia, klassische Ausbildung, Folklore und Techniken des modernen Tanzes. Sie sammelt erste praktische Erfahrungen als Elevin im Tourneeensemble der Reggio Emilia Schule. Sie setzt ihre Ausbildung fort, in München, bei der Heinz-Bosel-Stiftung, nach einer Pause in Zürich, an der heutigen Ballettakademie. Erstes Engagement in Nordhausen, bei Stefan Haufe, danach tanzt sie bei der Deutschen Tanzkompanie in Neustrelitz und sammelt dann, zunächst als Tänzerin, erste Erfahrungen beim Ballett des Sorbischen Nationalensembles. Hier tanzt sie weiterhin als Gast, absolviert aber an der Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden die tanzpädagogische Ausbildung. Erfolgreicher Abschluss 2010 mit ihrer Choreografie in Bautzen »Le Sacre du Printemps«. Damals noch mit 25 Tänzerinnen und Tänzern, einen Tag vor der Premiere erfolgt die Halbierung der Kompanie, derzeit zwölf Tänzerinnen und Tänzer im festen Engagement, dazu kommen Eleven und Gäste.

3. Satz: »Frühling« (Denise Boccia, Liam Gianccuzo)

Ab 2011 leitet Mia Facchinelli diese Kompanie und sieht sich vor besondere Aufgaben und Anforderungen gestellt. Gilt es doch zum einen, klassische Erfahrungen, grundiert mit den Waganowa-Techniken, mit denen einer Martha Graham oder eines José Limón zu verbinden und zudem die Ansprüche folkloristischer Traditionen einzubinden. Aber diese ästhetische Kombination empfindet Mia Facchinelli als kreative Herausforderung, den Tanz, auch in erzählender Art, in die Gegenwart zu führen, wobei sorbische Impulse immer Beachtung finden sollten. Dabei ist natürlich auch zu bedenken, das Sorbische Nationalensemble ist ein Tourneetheater. Die meisten Aufführungen finden nicht vor sorbischem Publikum statt, was aber von großer Bedeutung ist; geht es doch darum, gerade durch die Kunst, die Musik, vor allem den Tanz, die ungebrochene Lebendigkeit dieser Minderheit zu vermitteln. Und dazu gehört auch immer wieder die Frage, wie Menschen in finsteren Zeiten, wie in denen des Nationalsozialismus, ihre Menschlichkeit bewahren konnten, indem sie sich widersetzten. Und so schuf Mia Facchinelli zu Musik von Bohuslav Martinů die Tanztheaterproduktion »Für Maria – Mitte der Nacht«, in der sie dem Weg der Lehrerin, Journalistin und Philosophin Dr. Maria Grollmuß, bis in das Konzentrationslager folgt, wo sie sich, nicht zuletzt kraft der Kunst ihrer Traditionen, der geistigen Zerstörung widersetzte. So entstand Mia Facchinellis Tanztheater als Hommage an die Kraft des kulturellen Widerstandes.  

Und in einem solchen Kontext bekommt diese Kraft der Musik, des Tanzes, der Bilder und Traditionen seine ganz eigene, besondere Bedeutung im weiten Spektrum der Künste. Im Hinblick auf ihre Arbeit mit dem Ballett des Sorbischen Nationalensembles kann sich für Mia Facchinelli diese aktuelle Produktion ihres Kollegen Mirko Mahr bestens in das von ihr in der Zusammenarbeit mit allen Sparten des Ensembles nicht besser zu formulierende Anliegen vermitteln lassen: »Wir waren – Wir sind – Wir werden sein«.

Aufführungstermine im Rahmen des 70-jährigen Bestehens:

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