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Erschreckend aktuell

Foto: Jens Gerber

Am vierten Festivaltag des Leipziger Schostakowitsch-Festivals muss es aus Andris Nelsons heraus. Nachdem das aus nah und fern angereiste Publikum wie in jedem Konzert der Vortage zum Applaus aufgesprungen ist und jubelnd, ja brüllend die vielen Ausnahmeleistungen im Konzert gefeiert hat, bedankt sich der Dirigent seinerseits in ruhigen Worten für die konzentrierte, meditative Atmosphäre, die noch wenige Momente zuvor im Großen Saal des Gewandhauses geherrscht hat. Für die Offenheit und das Interesse, das auch den beileibe nicht einfachen Werken Dmitri Schostakowitschs entgegengebracht wird. „Musik, besonders diese Musik ist doch die Sprache der Menschlichkeit“, sagt Nelsons nachdenklich. Gerade dies sei heute wichtig zu betonen, gerade sie müsse erklingen.

Was wir uns heute nur selten bewusst machen, ist: diese Zuschreibungen waren nicht immer so eindeutig. Als Nelsons Amtsvorgänger Kurt Masur vor knapp fünfzig Jahren den weltweit ersten Sinfonien-Zyklus des russischen Komponisten aufs Programm setzte, verließ ein Drittel der Zuhörer nach der Beethoven-Sinfonie in der ersten Konzerthälfte den Saal. Schostakowitsch galt als Günstling des Sowjetsystems, der scheinbar patriotische Ton seiner Werke, etwa der „Festlichen Ouvertüre op.96“ schreckte ab. Erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass der vermeintliche Pathos in seiner Musik vielleicht doch doppelbödig, aufgesetzt, zynisch, angstvoll jubelnd sein könnte.

Allerdings ist diese Auslegung auch heute noch problematisch und nicht ganz unumstritten – das zeigen etwa die Vorträge eines zeitgleich zum Musikfestival stattfindenden musikwissenschaftlichen Symposiums der Deutschen Schostakowitsch-Gesellschaft derzeit in Leipzig. Wiewohl es sich vor allem den vergessenen Schülern Schostakowitschs widmet, treten doch allerorten offene Fragen zu Schostakowitsch selbst, zur Deutung seiner Musik, zum eigentlichen Ausmaß der Anpassung des ängstlichen, manchmal ziemlich weltentrückten Musikers in einem absolutistischen, nicht nur in Fragen der Kunst grauenvoll repressiven Systems zutage.

Während also in Moskau gerade das Stalin-Relief mit dem Titel „Dankbarkeit des Volkes gegenüber dem Führer und Kriegsherrn“ auf der Metro-Ringlinie wiedereingeweiht wurde, beleuchten Musiker, Wissenschaftler und Publikum die Werke von Dmitri Schostakowitsch in Leipzig aus ganz verschiedenen Richtungen. Es stehen nicht nur sämtliche Sinfonien auf dem Programm, nicht nur sein Liedschaffen und einige Filmmusiken, sondern auch sämtliche Streichquartette, interpretiert durch das Quatuor Danel. Der Geiger Nikolaj Szeps-Znaider und der Pianist Daniil Trifonov widmen sich dem Sonatenwerk, Gautier Capuçon spielt die beiden Cellokonzerte. Die Geigerin Baiba Skride und der Bratscher Antoine Tamestit sind ebenso zu hören wie die Pianisten Dennis Russel Davies und Elena Bashkirova. Interessierte Dresdnerinnen und Dresdner sollten sich dieses absolut hochkarätige Festival nicht entgehen lassen, bevor sie (sicherlich) Ende Juni nach Gohrisch pilgern, um weitere Werke des vor fünfzig Jahren gestorbenen Komponisten, darunter wieder eine kleine Uraufführung, zu hören.

Schostakowitsch-Festival Leipzig 2025

15. Mai bis 1. Juni 2025
Sämtliche Sinfonien, sämtliche Streichquartette; Solokonzerte, Lieder, Filme etc.
Tickets ab 10 EUR hier.

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