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Klangerlebnis statt Mystik

Die Kulturbürgermeisterin spricht bereits von „Vorfreude auf den nächsten Chefdirigenten“, wenn es um Marek Janowski geht. Der Maestro selbst hält sich in Interviews vornehm zurück – bevor nicht die letzten Unterschriften gesetzt seien, sage er gar nichts zu dem Thema. Nun ja, wir vernehmen hier also einen „Chefdirigenten in spe“, auf den sich bereits die ganze Stadt freut. Auch das Publikum und der Musik-in-Dresden-Rezensent? Selbstverständlich, schon allein, weil Marek Janowski mit den zu DDR-Zeiten bereits entstandenen Aufnahmen von Webers „Euryanthe“ und Wagners „Ring des Nibelungen“ Musikgeschichte schrieb, und auch sein nur zwei Jahre währendes erstes Engagement in Dresden von 2001 bis 2003 herausragende musikalische Ereignisse hervorbrachte. Seinen Job als Chef der Dresdner Philharmonie knüpfte er damals an die Bedingung eines neuen Saals für das Orchester. Der kam nicht, Janowski ging. Konsequenz nennt man das, und es ist auch das ehrbare Festhalten an einem qualitativen Mindestanspruch, der das Umsetzen musikalischer Ideen erst ermöglicht.

Das nun kann Marek Janowski in großem Umfang angehen, und es verschafft ihm – und uns – mehr als nur Genugtuung. Längst ist die Genussebene wieder aufgegangen, konzentrieren sich Musiker und Dirigent vor allem auf das, was sie ja schon vor nunmehr siebzehn Jahren Bande schließen ließ: das Musikmachen. Bereits kurz nach der Wiedereröffnung des Dresdner Kulturpalastes durfte Janowski mit Mahler und Bruckner testen, was der neue Saal hergibt. Jetzt ist er für zwei Projekte wieder im Lande und hat erneut Bruckner und eben die – legendäre – „Euryanthe“ auf’s Programm gesetzt.

Marek Janowski bei den Proben zum Sinfoniekonzert im Kulturpalast. Foto (c) Björn Kadenbach

Doch im Sinfoniekonzert am vergangenen Wochenende war es auch Béla Bartók, der das Janowski-Erinnerungszentrum im Rezensentenkopf bemühte. Und richtig: ein spektakulärer Abend im alten Kulturpalast ereignete sich im September 2000, als Janowski in einem Sonderkonzert der Philharmonie alle drei Bartók-Klavierkonzerte mit dem Pianisten Barry Douglas aufführte. Nun saß der Italiener Francesco Piemontesi am Klavier, und da noch Anton Bruckners 9. Sinfonie nach der Pause wartete, tat man gut daran, es für dieses Mal mit dem 3. Klavierkonzert zu belassen. Doch möchte man von dieser Art, Bartók zu spielen, gerne mehr hören, denn Piemontesi und Janowski gingen hier eine überzeugende Verbindung ein. Rein biographisch gesehen hat man es hier auch mit einem Vermächtnis zu tun, doch der einem letzten Werk schnell angedichtete Pathos tritt zumeist zurück, wenn man die Partitur schlicht sprechen läßt.

In dieser bescheidenen Art konnten die Interpreten mit den unglaublichen Farben dieses Klavierkonzertes spielen, wobei der 1. Satz wie ein Aquarell wirkte: das Ineinandermischen des oft flächigen Klavierparts, flirrender Streicherbegleitung und der absichtsvoll ziellosen Motivik schuf eine besondere Atmosphäre. Piemontesi griff zwar beherzt zu, differenzierte aber vor allem im Anschlag, anstelle einer Extrovertiertheit zu erliegen, die wohl in keinem anderen Konzert unangebrachter ist als hier. Missverstandene Romantik gab es auch nicht im 2. Satz: das Adagio Religioso kündete in dieser Interpretation von Bitternis, Unabwendbarkeit, aber auch Entschlossenheit. So jedenfalls habe ich die Choral-Passagen im Klavier selten gehört, und Janowski setzte dazu einen passenden Streicher- und Bläserpart, der vor Härte und Kälte nicht zurückwich, sondern diese Farben ebenfalls klar zeichnete, benannte.

Erst auf diese Weise konnte der 3. Satz in seiner Sanftheit glänzen. Diesen Kontrast benötigt es, damit auch am Ende der Kehraus nicht den Hauch einer Prokofieff-Spülung bekommt, sondern die Bartóksche Eigenart in Melodie und Rhythmus bewahrt. Völlig souverän spielten sich Piemontesi und die Philharmoniker da am Ende frei, und in der Zugabe zeigte Piemontesi auch noch einen wunderbar entrückten Mozart (2. Satz aus der F-Dur Sonate, KV 332), der eben deshalb beim Hören davonflog, weil der Pianist sich keinerlei Spirenzchen hingab.

Spirenzchen sind auch Janowskis Sache nicht – für die 9. Sinfonie d-Moll von Anton Bruckner ist viel Hör-Arbeit notwendig, und in den Proben gibt es bei Bruckner viele im Detail zu klärende Spielhaltungen und Zielrichtungen. Janowski erreichte indes mit den Philharmonikern Erstaunliches: nicht nur war diese Interpretation einmütig und eindeutig, sie ließ im gegenseitigen Vertrauen eben auch wieder eine Offenheit zu. „Ja, das fortissimo geht, nur zu“ – wenn Marek Janowski mit dieser lässig mit der linken Hand winkenden Geste an das Blech appelliert, entsteht plötzlich Aufregendes. Im 1. Satz dieser einen unausweichlichen Lebensfortgang in den Mittelpunkt des musikalischen Geschehens rückenden Sinfonie leuchtete Janowski die Motive bedächtig aus: Klangerlebnis statt Mystik hieß die Devise. Das Ergebnis war vor allem in der Durchführung faszinierend, denn plötzlich traute sich das Orchester immer mehr und betrat in manchen Übergängen das harmonische Neuland des nächsten Taktes ohne die Sicherheit verheißende Taktstrichhandbremse. Furchtlos spielten auch im 3. Satz einfach alle forte, wo forte im Stück steht – das ist ein frappierender Moment eines neuen Klangerlebnisses in diesem Werk, der in diesem Saal, mit diesem Dirigenten und mit diesem Orchester möglich wird.

Zuvor gab es schon ein raffiniert angelegtes Scherzo, das mit bellend hereinbrechenden forte-Passagen und einem am Rhythmus-Schnürchen aufgereihten Trio kurzzeitig Weltenwandel verhieß, leider vorbeihuschend. Ein aschfahles, oktavenleeres Adagio folgte. Wenn etwas letzte Wärme verstrahlte, dann vor allem die Tuben und Holzbläser in ihren vereinsamten, wunderbar ausgeformten Soli. Den Höhepunkt dieses gewaltigen Satzes kostete Janowski nicht aus, sondern es schien natürlich getrieben, Gesetz. Mündend in den ebenso unausweichlichen finalen Akkord dieser Steigerung, der bei ihm in der Summe seiner Teile vor allem dissonant und hart klingt. Die Phantasie mag die Öffnung des Himmels an dieser Stelle gern beisteuern, im Hören bleibt es Musik. Musik, die anrührt, erst recht, weil der Komponist diesen Adagio-Satz nur noch matt-sanft ins Verstummen führt. Stürmischer, großer, willkommensagender Applaus im Kulturpalast.

Fotos (c) Felix Broede / Björn Kadenbach

 

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