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Versuch eines musikalischen Dialogs

Gruppenbild in Ternopil (Foto: Sebastian Pusl)

Als sich vor gut zwölf Jahren das Junge Ensemble Dresden auf Initiative des Musikstudierenden Tobias Walenciak gründete, war weder für ihn noch für seine Kommilitonen abzusehen, welche musikalischen Blüten, aber auch geografischen Tragweiten dieses Liebhaberensemble dereinst auf sich versammelt haben würde.

Dass sich fast alljährlich neue Vokalensembles hier in Dresden gründen, ist ein erfreuliches Verdienst vornehmlich der Dirigierstudenten der hiesigen Musikhochschule. Zwei Dinge aber waren von jeher anders beim Jungen Ensemble: Gründung und Leitung lagen mit Walenciak nicht bei einem Chordirigenten, sondern einem – zu dieser Zeit – Schulmusikstudenten. Was wiederum den zweiten Unterschied begünstigte: dass Schulmusiker- und „Nebenfächler-“, aber auch Amateursängerinnen und -sänger das Ensemble klanglich und charakterlich bildeten. Ein Erfolg, der ihnen allen recht gibt. Nicht viele studentische Ensembles erreichen eine solche Qualität; und wenige erreichen die magische Zehn-Jahre-Marke. Übrigens hat Walenciak, nicht zuletzt angespornt durch seine Arbeit mit dem Dresdner Ensemble, später auch noch ein Chordirigierstudium in Berlin absolviert und arbeitet jetzt als professioneller Chordirigent.

Dass das Junge Ensemble Dresden sein zehnjähriges Jubiläum erreicht hat, liegt neben der musikalischen Arbeit vor allem auch an der Reisefreudigkeit des Chores. Mit beeindruckendem Engagement und nicht enden wollendem Enthusiasmus bereisen die Sängerinnen und Sänger seit einigen Jahren die Länder Osteuropas: Weißrussland, Litauen, Polen — und zuletzt die Ukraine (3. bis 11. Juni 2017). Die knapp vierzig Stimmen starke Reisegruppe hatte neben ihrem neuen Dirigenten Olaf Katzer, der seit Frühjahr 2016 die musikalischen Geschicke des Ensembles lenkt, und zahlreichen Gastgeschenken natürlich auch Liedgut beider Länder im Gepäck — das gemeinsam mit den gastgebenden Chören in insgesamt vier Konzerten gesungen werden wollte. Der Versuch eines musikalischen Dialogs. Zwischen West und Ost, zwischen Brahms und Lysenko…

Konzert in Drohobytsch (Foto: Sebastian Pusl)

Entgegen aller Familien- und Freundesstimmen, die davor mahnten, „da runter zu fahren, wo es doch gerade so gefährlich ist“ — ein waghalsiges Unterfangen. Doch Neugierde und Notwendigkeit haben obsiegt, und vermittels großzügiger Unterstützungen durch das Goethe-Institut, die Allianz Kulturstiftung (Allianz-Vertretung Bierke und Zimmermann, Dresden) und das Studentenwerk Dresden konnte das Ensemble die Botschaftstournee antreten. Mit einem Kurzaufenthalt und einer spontanen öffentlichen Probe in Wroclaw — die ungewollt unter polizeilicher Beobachtung stattfand —, ging es mit dem Nachtzug nach Liss…, nach Lwiw.

Fahr nicht nach Lwiw

… denn „es existiert nicht“, schreibt Jurij Andruchowytsch, Schriftsteller und Leipziger Buchpreisträger zur Europäischen Verständigung (2006) in seinem Gedicht »Girl you will be a woman soon«. Und dennoch — oder gerade deswegen? — haben Olaf Katzer und das JED diese Reise angetreten. Dies sollte mit schönen Konzerten, herzlichen Bekanntschaften und vielen Erinnerungen belohnt und möchte hier nacherzählt werden.

Wir fahren mit Straßenbahnen — die mich eigenartig an meine früheste Nachwendekindheit erinnern — durch diese alte, kakanische Stadt, die nichts von dem hat, was ich mir unter einer osteuropäischen Stadt vorstelle. So westlich geprägt schauen Land und Leute uns an. Freundlich. Zurückhaltend. Dankbar. Diese Stimmung sollte unserer großen Gruppe die gesamte Zeit über begegnen. Hat man ja doch nicht alle Tage, dass ein Chor aus Deutschland zu Besuch kommt. Und dann in einer voll besetzten Kirche gemeinsam mit dem örtlichen Kirchen-, Universitäts- und/oder Kinderchor deutsches, aber eben auch ukrainisches Liedgut singt. Da steht das ukrainische Volk mitunter geschlossen auf, Hand aufs Herz, und singt aus voller Kehle und heißer Seele das Боже Великий, Єдиний (Gott, der Eine, ist groß) mit. Ein befremdendes Gefühl: singen wir hier gerade die „Nationalhymne der ukrainischen Herzen“ mit? Einen merkwürdigen Höhepunkt erreichte dies beim Abschlusskonzert in Kiew, gemeinsam mit dem Chor der Nationalen Technischen Universität Kiew, unter seinem aktuellen Leiter Ruslan Bondar. Das Konzert und das abschließende gemeinsame Singen war berückend und bedrückend zugleich: das inbrünstige Singen einer solchen Hymne (oder auch nur eines Volksliedes) ist uns Deutschen ja so ziemlich abhold.

Augenzeugenbericht vom Küster in Kiew (Foto: Cosima Vogel)

Noch merkwürdiger aber: das Konzert fand nicht, wie die anderen drei zuvor, in einer russisch-orthodoxen Kirche — schwer beladen mit Kunst- und Edelmetallschätzen und stickig durch den Weihrauch der letzten Jahrhunderte, der aus den Furchen der Steinböden und Holzbänke nicht mehr hinaus möchte, statt. Nein: inmitten der deutschen Gemeinde in Kiew, nahe des in den letzten Jahren zu kargem Ruhm gelangten Maidan, in der evangelisch-lutherischen Kirche St. Katharina — dem weit und breit einzigen Gotteshaus nicht osteuropäischer Prägung, das in diesem „Jerusalem des Ostens“ mit seinen über 900 Kirchen aufregend fragwürdig platziert wirkt —, sangen wir. Wie es zu dem Kirchenbau an eben dieser Stelle kam, erklärte uns der Küster des Hauses, der dazu noch einen Augenzeugenbericht über die Geschehnisse des Euromaidans (2013/14) lieferte, der uns nicht zuletzt die Bedeutung vor Augen führte, die dem anstehenden Abschlusskonzert unserer Tournee beizumessen war.

Wunderschön und elegant

Aufregende Kulturangebote wie diese, die Besichtigung der alten Festungsanlage Tustan, Stadtrundgänge durch die Universitätsstädte Drohobytsch und Ternopil (Partneruniversität der hiesigen TU Dresden) und ein spontanes Mitternachtssingen auf dem verregneten Ternopiler Bahnhof rundeten die elf Tage für alle Beteiligten in einer Weise ab, die man selten bei einer Konzerttournee erlebt. „Wunderschön und elegant“, wie der Leiter der Österreich-Bibliothek und des österreichischen Kultur- und Bildungszentrums der Universität Drohobytsch, Jaroslaw Lopuschansky, den Dirigenten Olaf Katzer beim herzlichen Get-together nach dem Konzert in Drohobytsch, umschrieb: so verlief für viele auch diese Konzert- und Bildungsreise. Auch das ist eben das Junge Ensemble Dresden. Bildung und Kultur nach außen und nach innen.

Mit den vielen Eindrücken, die das Land, die Leute, die Gebäude, die Sprache und die Musik bei uns hinterlassen haben, kehren wir nach Deutschland zurück, kommen wieder in Dresden an — und möchten allen davon erzählen, zeigen und singen. Am Samstag, 01. Juli gibt es dazu die Gelegenheit. In der Bethlehem-Kirche (Dresden-Tolkewitz) wollen wir ab 19.30 Uhr ukrainische und deutsche Chormusik in einen Dialog bringen. Dazu laden Olaf Katzer und das Junge Ensemble Dresden alle recht herzlich ein.

Peter Motzkus

Beginn: 19.30 Uhr
Eintritt Abendkasse: 10 €/7 € ermäßigt; 
Eintritt Vorverkauf: 8 €/ 5 € ermäßigt.
Karten unter: karten@jungesensembledresden.de

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